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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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in den Himmelserscheinungen nicht Götter, sondern in der Sonne allenfalls
ein glänzendes Stück Speck und in den übrigen Himmelskörpern ein von
Menschen angefertigtes Spielzeug. Die Götter seien aus Dämonen, diese aus
den Vorstellungen von der Menschenseele entstanden, und so müsse mit diesen
begonnen werden. Es finden sich nun drei Grundvorstellungen. Die erste ist
die der Körperseele. Diese ist genau besehn mit dem Leibe identisch und faßt
nur dessen Lebensüußerungen in einen Begriff zusammen. Sie ist also die
Seele unsrer heutigen Materialisten und Monisten, sodaß, wenn diese recht
hätten, die Menschheit auf dem ungeheuern Umwege einer viertausendjührigen
in die Irre gehenden Denk- und Forschungsarbeit zu der "Wahrheit" zurück¬
gelangt wäre, deren sich der Pithekanthropos schon gleich im allerersten Anfange
erfreut hätte. Für das Leben oder die Seele wurde sehr bald ein Sitz gesucht,
und da mehrere Organe von besondrer Wichtigkeit für die Erhaltung des Lebens
zu sein schienen, so ergab sich eine Ausgestaltung des Seelenbegriffs nach zwei
verschiednen Richtungen hin, indem entweder der Gesamtseele in diesem oder
jenem Organ ihr Sitz angewiesen oder in jedem wesentlichen Organ eine
besondre Seele vermutet wurde. Bevorzugt wurden die Nieren, wegen ihrer
scheinbaren Verbindung mit den Zeugungsorganen, und das Herz. Manchmal
erscheint die Gesamtheit der Eingeweide als Seelensitz, und diesen ganzen
Komplex scheint Homer mit dem Worte <p^es zu meinen, das gewöhnlich
Zwerchfell übersetzt wird. Im Gebrauch dieses Wortes tritt aber auch schon die
geistige Seite der Seele hervor, eben so in und "/"o^, Herz. Drei andre
Worte, die das geistige Leben bezeichnen: >>-^of, ^evag, po'ti^ erinnern wenigstens
an den leiblichen Ursprung des Geistigen: (Mut) an die Blutwallung,
voos an das Sehen, das Hauptmittel des Erkennens, und /"6>vL ist eben eine
zusammenfassende Bezeichnung für die geistige und die Muskelkraft. Außer den
Organen wird hauptsächlich das Blut als Seelensitz betrachtet (daneben galten
dafür auch die Ausscheidungen sowie Nägel und Haare, weil diese bis zum
Lebensende wachsen, also eine besondre Lebenstätigkeit verraten). Eine wie
wichtige Rolle das Blut im alttestamentlichen Ritus spielt, ist bekannt, und
nicht minder bekannt sind die Blutbrüderschafteu der Naturvölker. Das gegen¬
seitige Vlutsaugen und der Gebrauch des Blutes beim Opfer sind ursprünglich
keine bloßen Symbole gewesen, "sondern unmittelbare sinnliche Wirklichkeit: die
Blutsbrüder werden eines Sinnes, weil sich mit dem Blute ihre Seelen mischen,
und die Gottheit schützt das Bündnis, weil auch auf sie das vereinigte Blut
übergeht". Gerade auf das Organ, das wirklich der Sitz der geistigen Tätigkeit
ist, sind die Naturvölker uicht verfallen: die Bedeutung des Hirns ist erst sehr
spät erkannt worden. Die zweite Grundvorstellung geht vom Atem aus, der
mit dem Leben aufhört; dieses scheint also ein Hauch zu sein; die Seele wird
als ein Hauch, ein Wind, ein Lüftchen, eine Wolke vorgestellt, der oder die
beim Tode entweiche. Bis auf den heutigen Tag fordert darum der Aber-


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in den Himmelserscheinungen nicht Götter, sondern in der Sonne allenfalls
ein glänzendes Stück Speck und in den übrigen Himmelskörpern ein von
Menschen angefertigtes Spielzeug. Die Götter seien aus Dämonen, diese aus
den Vorstellungen von der Menschenseele entstanden, und so müsse mit diesen
begonnen werden. Es finden sich nun drei Grundvorstellungen. Die erste ist
die der Körperseele. Diese ist genau besehn mit dem Leibe identisch und faßt
nur dessen Lebensüußerungen in einen Begriff zusammen. Sie ist also die
Seele unsrer heutigen Materialisten und Monisten, sodaß, wenn diese recht
hätten, die Menschheit auf dem ungeheuern Umwege einer viertausendjührigen
in die Irre gehenden Denk- und Forschungsarbeit zu der „Wahrheit" zurück¬
gelangt wäre, deren sich der Pithekanthropos schon gleich im allerersten Anfange
erfreut hätte. Für das Leben oder die Seele wurde sehr bald ein Sitz gesucht,
und da mehrere Organe von besondrer Wichtigkeit für die Erhaltung des Lebens
zu sein schienen, so ergab sich eine Ausgestaltung des Seelenbegriffs nach zwei
verschiednen Richtungen hin, indem entweder der Gesamtseele in diesem oder
jenem Organ ihr Sitz angewiesen oder in jedem wesentlichen Organ eine
besondre Seele vermutet wurde. Bevorzugt wurden die Nieren, wegen ihrer
scheinbaren Verbindung mit den Zeugungsorganen, und das Herz. Manchmal
erscheint die Gesamtheit der Eingeweide als Seelensitz, und diesen ganzen
Komplex scheint Homer mit dem Worte <p^es zu meinen, das gewöhnlich
Zwerchfell übersetzt wird. Im Gebrauch dieses Wortes tritt aber auch schon die
geistige Seite der Seele hervor, eben so in und »/»o^, Herz. Drei andre
Worte, die das geistige Leben bezeichnen: >>-^of, ^evag, po'ti^ erinnern wenigstens
an den leiblichen Ursprung des Geistigen: (Mut) an die Blutwallung,
voos an das Sehen, das Hauptmittel des Erkennens, und /«6>vL ist eben eine
zusammenfassende Bezeichnung für die geistige und die Muskelkraft. Außer den
Organen wird hauptsächlich das Blut als Seelensitz betrachtet (daneben galten
dafür auch die Ausscheidungen sowie Nägel und Haare, weil diese bis zum
Lebensende wachsen, also eine besondre Lebenstätigkeit verraten). Eine wie
wichtige Rolle das Blut im alttestamentlichen Ritus spielt, ist bekannt, und
nicht minder bekannt sind die Blutbrüderschafteu der Naturvölker. Das gegen¬
seitige Vlutsaugen und der Gebrauch des Blutes beim Opfer sind ursprünglich
keine bloßen Symbole gewesen, „sondern unmittelbare sinnliche Wirklichkeit: die
Blutsbrüder werden eines Sinnes, weil sich mit dem Blute ihre Seelen mischen,
und die Gottheit schützt das Bündnis, weil auch auf sie das vereinigte Blut
übergeht". Gerade auf das Organ, das wirklich der Sitz der geistigen Tätigkeit
ist, sind die Naturvölker uicht verfallen: die Bedeutung des Hirns ist erst sehr
spät erkannt worden. Die zweite Grundvorstellung geht vom Atem aus, der
mit dem Leben aufhört; dieses scheint also ein Hauch zu sein; die Seele wird
als ein Hauch, ein Wind, ein Lüftchen, eine Wolke vorgestellt, der oder die
beim Tode entweiche. Bis auf den heutigen Tag fordert darum der Aber-


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[0328] Neues von konnte in den Himmelserscheinungen nicht Götter, sondern in der Sonne allenfalls ein glänzendes Stück Speck und in den übrigen Himmelskörpern ein von Menschen angefertigtes Spielzeug. Die Götter seien aus Dämonen, diese aus den Vorstellungen von der Menschenseele entstanden, und so müsse mit diesen begonnen werden. Es finden sich nun drei Grundvorstellungen. Die erste ist die der Körperseele. Diese ist genau besehn mit dem Leibe identisch und faßt nur dessen Lebensüußerungen in einen Begriff zusammen. Sie ist also die Seele unsrer heutigen Materialisten und Monisten, sodaß, wenn diese recht hätten, die Menschheit auf dem ungeheuern Umwege einer viertausendjührigen in die Irre gehenden Denk- und Forschungsarbeit zu der „Wahrheit" zurück¬ gelangt wäre, deren sich der Pithekanthropos schon gleich im allerersten Anfange erfreut hätte. Für das Leben oder die Seele wurde sehr bald ein Sitz gesucht, und da mehrere Organe von besondrer Wichtigkeit für die Erhaltung des Lebens zu sein schienen, so ergab sich eine Ausgestaltung des Seelenbegriffs nach zwei verschiednen Richtungen hin, indem entweder der Gesamtseele in diesem oder jenem Organ ihr Sitz angewiesen oder in jedem wesentlichen Organ eine besondre Seele vermutet wurde. Bevorzugt wurden die Nieren, wegen ihrer scheinbaren Verbindung mit den Zeugungsorganen, und das Herz. Manchmal erscheint die Gesamtheit der Eingeweide als Seelensitz, und diesen ganzen Komplex scheint Homer mit dem Worte <p^es zu meinen, das gewöhnlich Zwerchfell übersetzt wird. Im Gebrauch dieses Wortes tritt aber auch schon die geistige Seite der Seele hervor, eben so in und »/»o^, Herz. Drei andre Worte, die das geistige Leben bezeichnen: >>-^of, ^evag, po'ti^ erinnern wenigstens an den leiblichen Ursprung des Geistigen: (Mut) an die Blutwallung, voos an das Sehen, das Hauptmittel des Erkennens, und /«6>vL ist eben eine zusammenfassende Bezeichnung für die geistige und die Muskelkraft. Außer den Organen wird hauptsächlich das Blut als Seelensitz betrachtet (daneben galten dafür auch die Ausscheidungen sowie Nägel und Haare, weil diese bis zum Lebensende wachsen, also eine besondre Lebenstätigkeit verraten). Eine wie wichtige Rolle das Blut im alttestamentlichen Ritus spielt, ist bekannt, und nicht minder bekannt sind die Blutbrüderschafteu der Naturvölker. Das gegen¬ seitige Vlutsaugen und der Gebrauch des Blutes beim Opfer sind ursprünglich keine bloßen Symbole gewesen, „sondern unmittelbare sinnliche Wirklichkeit: die Blutsbrüder werden eines Sinnes, weil sich mit dem Blute ihre Seelen mischen, und die Gottheit schützt das Bündnis, weil auch auf sie das vereinigte Blut übergeht". Gerade auf das Organ, das wirklich der Sitz der geistigen Tätigkeit ist, sind die Naturvölker uicht verfallen: die Bedeutung des Hirns ist erst sehr spät erkannt worden. Die zweite Grundvorstellung geht vom Atem aus, der mit dem Leben aufhört; dieses scheint also ein Hauch zu sein; die Seele wird als ein Hauch, ein Wind, ein Lüftchen, eine Wolke vorgestellt, der oder die beim Tode entweiche. Bis auf den heutigen Tag fordert darum der Aber-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/328>, abgerufen am 22.07.2024.