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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Bedeutung der Befestigungen Westrußlands

des Wieprz-Piwonja-Abschnittes, die sich bei einem Vorgehn österreichisch-
ungarischer Kräfte über Ludim notwendig erweisen könnte; zur Kräftigung dieses
Abschnitts wird Kock als Brückenkopf ausgebaut.

Warschau ist eine große Gürtelfestung und ein doppelter Weichselbrücken¬
kopf; die Stadt selbst liegt innerhalb des Gürtels, der Hauptteil am linken
Ufer, die Vorstadt Praga am rechten. Warschau ist die größte, politisch wichtigste
und reichste Stadt Westrußlands, sie liegt inmitten des weit nach Westen vor¬
springenden russischen Staatsgebiets, dort wo die alten Verkehrswege aus
Österreich-Ungarn und Deutschland nach Rußland die Weichsel überschreiten, sie
bildet deshalb den wichtigsten Stützpunkt für die Verteidigung Russisch-Polens;
sie ist ein hervorragender Kommunikationsknoten; aus Rußland laufen drei
doppelgleisige Bahnen zusammen, nach Westen führen die ebenfalls doppel¬
gleisigen Bahnen nach Mtawa (Ostpreußen) und nach Skierniewice (Posen oder
Krakau), eine große Zahl jederzeit benutzbarer, sehr gut erhaltner Straßen
führt konzentrisch zu den Übergängen an der Weichsel; die Bedeutung des
Platzes wird durch die Benutzbarkeit der Weichsel als Transportlinie erhöht.
Warschau ist als großer Depotpunkt und durch den natürlichen Reichtum an
Hilfsquellen imstande, selbst sehr bedeutenden Kräften für längere Zeit Unter¬
kunft und Unterhalt zu gewähren, und wird deshalb zu einem hervorragenden
Stützpunkt des Aufmarschraumes; es sichert als doppelter Brückenkopf und
großer Kommunikationsknoten den in Westrußland operierenden Armeen eine
große Bewegungsfreiheit bei Ausnutzung der Weichsellinie und erscheint geeignet,
im Verein mit der Festung Rooo Georgiewsk und dem festen Platze Zegrze
zu einem Stützpunkt für eine rechts von der Weichsel geschlagne Armee zu
werdeu. Sie nötigt im Zusammenhang mit den genannten festen Plätzen zu
sehr bedeutenden Detachierungen bei Operationen aus Mittelgcilizien und Ost¬
preußen in das Innere Rußlands.

Die Befestigungen bestehn aus einer Hauptumfassung (der Alexander¬
zitadelle, die nach neuern Nachrichten ausgelassen werden soll) und aus dem
Kernwerk am linken Ufer, dann aus dem Fortsgürtel. Am rechten Ufer besteht
kein Kernwerk; der alte Brückenkopf Sliwicki (Halbredoute) wurde ausgelassen.
Die Alexanderzitadelle besitzt eine Hauptumfassung aus vier bastionierten
Fronten (einfacher Wall für Geschützverteidigung); innerhalb stehn zahlreiche
und große Militärgebüude; der Umfassung sind sechs Vorwerke vorgelegt, die
ebenfalls nur für die Geschützverteidiguug eingerichtet sind. Die Zitadelle
beherrscht Warschau vollständig; ihr war darum unter gewissen politischen Ver¬
hältnissen in frühern Zeiten ein ziemlicher Wert beizumessen; für die Verteidigung
der Stadt gegen einen mit schwerem Geschütz wirkenden Angreifer kommt ihr jedoch
keine Rolle mehr zu. was ihre Auflassung als Teil der Befestigung rechtfertigt.

Das Kernwerk, im Jahre 1886 in Bau genommen, besteht aus fünf Haupt-
und drei Zwischenwerken mit Verbindungslinien, die Hauptwerke sind Doppel¬
werke in Lünettform, nicht bombensicher, tief angelegt mit einem Niederwall


Die Bedeutung der Befestigungen Westrußlands

des Wieprz-Piwonja-Abschnittes, die sich bei einem Vorgehn österreichisch-
ungarischer Kräfte über Ludim notwendig erweisen könnte; zur Kräftigung dieses
Abschnitts wird Kock als Brückenkopf ausgebaut.

Warschau ist eine große Gürtelfestung und ein doppelter Weichselbrücken¬
kopf; die Stadt selbst liegt innerhalb des Gürtels, der Hauptteil am linken
Ufer, die Vorstadt Praga am rechten. Warschau ist die größte, politisch wichtigste
und reichste Stadt Westrußlands, sie liegt inmitten des weit nach Westen vor¬
springenden russischen Staatsgebiets, dort wo die alten Verkehrswege aus
Österreich-Ungarn und Deutschland nach Rußland die Weichsel überschreiten, sie
bildet deshalb den wichtigsten Stützpunkt für die Verteidigung Russisch-Polens;
sie ist ein hervorragender Kommunikationsknoten; aus Rußland laufen drei
doppelgleisige Bahnen zusammen, nach Westen führen die ebenfalls doppel¬
gleisigen Bahnen nach Mtawa (Ostpreußen) und nach Skierniewice (Posen oder
Krakau), eine große Zahl jederzeit benutzbarer, sehr gut erhaltner Straßen
führt konzentrisch zu den Übergängen an der Weichsel; die Bedeutung des
Platzes wird durch die Benutzbarkeit der Weichsel als Transportlinie erhöht.
Warschau ist als großer Depotpunkt und durch den natürlichen Reichtum an
Hilfsquellen imstande, selbst sehr bedeutenden Kräften für längere Zeit Unter¬
kunft und Unterhalt zu gewähren, und wird deshalb zu einem hervorragenden
Stützpunkt des Aufmarschraumes; es sichert als doppelter Brückenkopf und
großer Kommunikationsknoten den in Westrußland operierenden Armeen eine
große Bewegungsfreiheit bei Ausnutzung der Weichsellinie und erscheint geeignet,
im Verein mit der Festung Rooo Georgiewsk und dem festen Platze Zegrze
zu einem Stützpunkt für eine rechts von der Weichsel geschlagne Armee zu
werdeu. Sie nötigt im Zusammenhang mit den genannten festen Plätzen zu
sehr bedeutenden Detachierungen bei Operationen aus Mittelgcilizien und Ost¬
preußen in das Innere Rußlands.

Die Befestigungen bestehn aus einer Hauptumfassung (der Alexander¬
zitadelle, die nach neuern Nachrichten ausgelassen werden soll) und aus dem
Kernwerk am linken Ufer, dann aus dem Fortsgürtel. Am rechten Ufer besteht
kein Kernwerk; der alte Brückenkopf Sliwicki (Halbredoute) wurde ausgelassen.
Die Alexanderzitadelle besitzt eine Hauptumfassung aus vier bastionierten
Fronten (einfacher Wall für Geschützverteidigung); innerhalb stehn zahlreiche
und große Militärgebüude; der Umfassung sind sechs Vorwerke vorgelegt, die
ebenfalls nur für die Geschützverteidiguug eingerichtet sind. Die Zitadelle
beherrscht Warschau vollständig; ihr war darum unter gewissen politischen Ver¬
hältnissen in frühern Zeiten ein ziemlicher Wert beizumessen; für die Verteidigung
der Stadt gegen einen mit schwerem Geschütz wirkenden Angreifer kommt ihr jedoch
keine Rolle mehr zu. was ihre Auflassung als Teil der Befestigung rechtfertigt.

Das Kernwerk, im Jahre 1886 in Bau genommen, besteht aus fünf Haupt-
und drei Zwischenwerken mit Verbindungslinien, die Hauptwerke sind Doppel¬
werke in Lünettform, nicht bombensicher, tief angelegt mit einem Niederwall


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[0312] Die Bedeutung der Befestigungen Westrußlands des Wieprz-Piwonja-Abschnittes, die sich bei einem Vorgehn österreichisch- ungarischer Kräfte über Ludim notwendig erweisen könnte; zur Kräftigung dieses Abschnitts wird Kock als Brückenkopf ausgebaut. Warschau ist eine große Gürtelfestung und ein doppelter Weichselbrücken¬ kopf; die Stadt selbst liegt innerhalb des Gürtels, der Hauptteil am linken Ufer, die Vorstadt Praga am rechten. Warschau ist die größte, politisch wichtigste und reichste Stadt Westrußlands, sie liegt inmitten des weit nach Westen vor¬ springenden russischen Staatsgebiets, dort wo die alten Verkehrswege aus Österreich-Ungarn und Deutschland nach Rußland die Weichsel überschreiten, sie bildet deshalb den wichtigsten Stützpunkt für die Verteidigung Russisch-Polens; sie ist ein hervorragender Kommunikationsknoten; aus Rußland laufen drei doppelgleisige Bahnen zusammen, nach Westen führen die ebenfalls doppel¬ gleisigen Bahnen nach Mtawa (Ostpreußen) und nach Skierniewice (Posen oder Krakau), eine große Zahl jederzeit benutzbarer, sehr gut erhaltner Straßen führt konzentrisch zu den Übergängen an der Weichsel; die Bedeutung des Platzes wird durch die Benutzbarkeit der Weichsel als Transportlinie erhöht. Warschau ist als großer Depotpunkt und durch den natürlichen Reichtum an Hilfsquellen imstande, selbst sehr bedeutenden Kräften für längere Zeit Unter¬ kunft und Unterhalt zu gewähren, und wird deshalb zu einem hervorragenden Stützpunkt des Aufmarschraumes; es sichert als doppelter Brückenkopf und großer Kommunikationsknoten den in Westrußland operierenden Armeen eine große Bewegungsfreiheit bei Ausnutzung der Weichsellinie und erscheint geeignet, im Verein mit der Festung Rooo Georgiewsk und dem festen Platze Zegrze zu einem Stützpunkt für eine rechts von der Weichsel geschlagne Armee zu werdeu. Sie nötigt im Zusammenhang mit den genannten festen Plätzen zu sehr bedeutenden Detachierungen bei Operationen aus Mittelgcilizien und Ost¬ preußen in das Innere Rußlands. Die Befestigungen bestehn aus einer Hauptumfassung (der Alexander¬ zitadelle, die nach neuern Nachrichten ausgelassen werden soll) und aus dem Kernwerk am linken Ufer, dann aus dem Fortsgürtel. Am rechten Ufer besteht kein Kernwerk; der alte Brückenkopf Sliwicki (Halbredoute) wurde ausgelassen. Die Alexanderzitadelle besitzt eine Hauptumfassung aus vier bastionierten Fronten (einfacher Wall für Geschützverteidigung); innerhalb stehn zahlreiche und große Militärgebüude; der Umfassung sind sechs Vorwerke vorgelegt, die ebenfalls nur für die Geschützverteidiguug eingerichtet sind. Die Zitadelle beherrscht Warschau vollständig; ihr war darum unter gewissen politischen Ver¬ hältnissen in frühern Zeiten ein ziemlicher Wert beizumessen; für die Verteidigung der Stadt gegen einen mit schwerem Geschütz wirkenden Angreifer kommt ihr jedoch keine Rolle mehr zu. was ihre Auflassung als Teil der Befestigung rechtfertigt. Das Kernwerk, im Jahre 1886 in Bau genommen, besteht aus fünf Haupt- und drei Zwischenwerken mit Verbindungslinien, die Hauptwerke sind Doppel¬ werke in Lünettform, nicht bombensicher, tief angelegt mit einem Niederwall

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/312>, abgerufen am 24.08.2024.