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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Winterausstellung der Akademie der Aünste in Berlin

Charakteristik besonders der weiblichen Bildnisse ist oft von einer erschreckenden
Oberflächlichkeit und nicht fern von theatralischen Effekten. Man erinnert sich,
daß Sargent einmal Ellen Terry als Lady Macbeth gemalt hat: eine sehr un¬
freiwillige Parodie auf die hohle Majestät des Bühnenkönigtums ist daraus
geworden. Ich glaube nicht, daß Gemälde wie die hier ausgestellten der drei
Ladies Unschön, der Gräfin Warwick mit Kind und der Frau Robert Mathias,
sämtlich aus den letzten Jahren, vor der Kunstgeschichte soviel Gnade wie
zweifellos vor den Augen der Besteller finden werden. Auch die Eleganz der
Geste und die hinreißend geschmackvolle Stoffmalerei, die besonders in dem
schneeigen Weiß der schlanken Ladies Unschön ihre höchsten Trümpfe ausspielt,
täuschen nicht über den gefährlichen Mangel an innerer Beseelung hinweg. Ein
General mit vielen Soldaten ist noch kein guter Feldherr, sagt einmal Chamfort.
Und Sargent ist noch kein großer Porträtist, weil er über alle Vorzüge einer
blendenden Technik verfügt. So wird man von den acht in Berlin ausgestellten
Bildnissen Sargents gerade denen den Preis zuerkennen, bei denen an die Stelle
einer oft lärmenden "Aufmachung" Ansätze zu einer schüchtern und energischem
Charakterisierung treten: vor allem den Porträts des Generalleutnants Sir
Jan Hamilton und des greisen Architekten Herrn Penrose (von 1898). Denkt
man freilich an die große Porträtausstellung des Kunstsalons Keller und Reiner
zur Feier seines zehnjährigen Bestehens zurück, die der Berliner Gesellschaft
ein so wenig schmeichelhaftes Zeugnis für ihren Geschmack ausstellte und eine
so weitgehende Unterwerfung unter die Satzungen einer nur modischen, aber
nicht zugleich künstlerischen Kultur bewies, so wird man beinahe geneigt sein,
jene Schwächen der Sargentschen Kunst für Vorzüge zu halten und ein Land
zu beneiden, dessen gesuchteste Porträtisten sich den Luxus eines unverfälschten
Malertemperaments erlauben dürfen! Wir haben Conrad Kiesel und Josef
Scheurenberg . . .

Arthur Kampf, wenn er nicht Historienbilder malt, sucht sich gern Vor¬
würfe aus, die seiner resoluter, frisch zugreifenden Art durch einfache Fassung
des Gegenständlichen entsprechen. Diesmal stellt er in einer riesigen Leinwand
einen Stallknecht in roter Jacke auf die Beine, im Begriff, auf staubiger Land¬
straße ein störrisches, sich aufbäumendes Pferd zu bändigen. Das ist prächtig
und sehr wirkungsvoll heruntergemalt, mit der Sicherheit, die alles auszeichnet,
was dieser frische und selbstbewußte Rheinländer auch unternehmen mag. Eine
tiefergehende Wirkung bleibt ihm freilich auch hier versagt, und ein Bildnis
Dame in Gelb am Teetisch -- ist sogar in einer ziemlich äußerlichen Mache
stecken geblieben. Eine gewisse Verwandtschaft mit Kampf zeigt Otto H. Engel,
auch diesmal wieder mit Bildern aus dem friesischen Volksleben vertreten, in
der gesunden, saftigen Malweise, dem geschickten Erfassen des Bildmäßigen.
Gemälde wie die "junge Mutter" bezeugen, daß auch das solange verpönte
Sittenbild, das Anekdotische gemildert zugunsten des Malerischen, einer Neu¬
belebung noch fähig ist. Von den ältern in Berlin wirkenden Mitgliedern der


Die Winterausstellung der Akademie der Aünste in Berlin

Charakteristik besonders der weiblichen Bildnisse ist oft von einer erschreckenden
Oberflächlichkeit und nicht fern von theatralischen Effekten. Man erinnert sich,
daß Sargent einmal Ellen Terry als Lady Macbeth gemalt hat: eine sehr un¬
freiwillige Parodie auf die hohle Majestät des Bühnenkönigtums ist daraus
geworden. Ich glaube nicht, daß Gemälde wie die hier ausgestellten der drei
Ladies Unschön, der Gräfin Warwick mit Kind und der Frau Robert Mathias,
sämtlich aus den letzten Jahren, vor der Kunstgeschichte soviel Gnade wie
zweifellos vor den Augen der Besteller finden werden. Auch die Eleganz der
Geste und die hinreißend geschmackvolle Stoffmalerei, die besonders in dem
schneeigen Weiß der schlanken Ladies Unschön ihre höchsten Trümpfe ausspielt,
täuschen nicht über den gefährlichen Mangel an innerer Beseelung hinweg. Ein
General mit vielen Soldaten ist noch kein guter Feldherr, sagt einmal Chamfort.
Und Sargent ist noch kein großer Porträtist, weil er über alle Vorzüge einer
blendenden Technik verfügt. So wird man von den acht in Berlin ausgestellten
Bildnissen Sargents gerade denen den Preis zuerkennen, bei denen an die Stelle
einer oft lärmenden „Aufmachung" Ansätze zu einer schüchtern und energischem
Charakterisierung treten: vor allem den Porträts des Generalleutnants Sir
Jan Hamilton und des greisen Architekten Herrn Penrose (von 1898). Denkt
man freilich an die große Porträtausstellung des Kunstsalons Keller und Reiner
zur Feier seines zehnjährigen Bestehens zurück, die der Berliner Gesellschaft
ein so wenig schmeichelhaftes Zeugnis für ihren Geschmack ausstellte und eine
so weitgehende Unterwerfung unter die Satzungen einer nur modischen, aber
nicht zugleich künstlerischen Kultur bewies, so wird man beinahe geneigt sein,
jene Schwächen der Sargentschen Kunst für Vorzüge zu halten und ein Land
zu beneiden, dessen gesuchteste Porträtisten sich den Luxus eines unverfälschten
Malertemperaments erlauben dürfen! Wir haben Conrad Kiesel und Josef
Scheurenberg . . .

Arthur Kampf, wenn er nicht Historienbilder malt, sucht sich gern Vor¬
würfe aus, die seiner resoluter, frisch zugreifenden Art durch einfache Fassung
des Gegenständlichen entsprechen. Diesmal stellt er in einer riesigen Leinwand
einen Stallknecht in roter Jacke auf die Beine, im Begriff, auf staubiger Land¬
straße ein störrisches, sich aufbäumendes Pferd zu bändigen. Das ist prächtig
und sehr wirkungsvoll heruntergemalt, mit der Sicherheit, die alles auszeichnet,
was dieser frische und selbstbewußte Rheinländer auch unternehmen mag. Eine
tiefergehende Wirkung bleibt ihm freilich auch hier versagt, und ein Bildnis
Dame in Gelb am Teetisch — ist sogar in einer ziemlich äußerlichen Mache
stecken geblieben. Eine gewisse Verwandtschaft mit Kampf zeigt Otto H. Engel,
auch diesmal wieder mit Bildern aus dem friesischen Volksleben vertreten, in
der gesunden, saftigen Malweise, dem geschickten Erfassen des Bildmäßigen.
Gemälde wie die „junge Mutter" bezeugen, daß auch das solange verpönte
Sittenbild, das Anekdotische gemildert zugunsten des Malerischen, einer Neu¬
belebung noch fähig ist. Von den ältern in Berlin wirkenden Mitgliedern der


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[0031] Die Winterausstellung der Akademie der Aünste in Berlin Charakteristik besonders der weiblichen Bildnisse ist oft von einer erschreckenden Oberflächlichkeit und nicht fern von theatralischen Effekten. Man erinnert sich, daß Sargent einmal Ellen Terry als Lady Macbeth gemalt hat: eine sehr un¬ freiwillige Parodie auf die hohle Majestät des Bühnenkönigtums ist daraus geworden. Ich glaube nicht, daß Gemälde wie die hier ausgestellten der drei Ladies Unschön, der Gräfin Warwick mit Kind und der Frau Robert Mathias, sämtlich aus den letzten Jahren, vor der Kunstgeschichte soviel Gnade wie zweifellos vor den Augen der Besteller finden werden. Auch die Eleganz der Geste und die hinreißend geschmackvolle Stoffmalerei, die besonders in dem schneeigen Weiß der schlanken Ladies Unschön ihre höchsten Trümpfe ausspielt, täuschen nicht über den gefährlichen Mangel an innerer Beseelung hinweg. Ein General mit vielen Soldaten ist noch kein guter Feldherr, sagt einmal Chamfort. Und Sargent ist noch kein großer Porträtist, weil er über alle Vorzüge einer blendenden Technik verfügt. So wird man von den acht in Berlin ausgestellten Bildnissen Sargents gerade denen den Preis zuerkennen, bei denen an die Stelle einer oft lärmenden „Aufmachung" Ansätze zu einer schüchtern und energischem Charakterisierung treten: vor allem den Porträts des Generalleutnants Sir Jan Hamilton und des greisen Architekten Herrn Penrose (von 1898). Denkt man freilich an die große Porträtausstellung des Kunstsalons Keller und Reiner zur Feier seines zehnjährigen Bestehens zurück, die der Berliner Gesellschaft ein so wenig schmeichelhaftes Zeugnis für ihren Geschmack ausstellte und eine so weitgehende Unterwerfung unter die Satzungen einer nur modischen, aber nicht zugleich künstlerischen Kultur bewies, so wird man beinahe geneigt sein, jene Schwächen der Sargentschen Kunst für Vorzüge zu halten und ein Land zu beneiden, dessen gesuchteste Porträtisten sich den Luxus eines unverfälschten Malertemperaments erlauben dürfen! Wir haben Conrad Kiesel und Josef Scheurenberg . . . Arthur Kampf, wenn er nicht Historienbilder malt, sucht sich gern Vor¬ würfe aus, die seiner resoluter, frisch zugreifenden Art durch einfache Fassung des Gegenständlichen entsprechen. Diesmal stellt er in einer riesigen Leinwand einen Stallknecht in roter Jacke auf die Beine, im Begriff, auf staubiger Land¬ straße ein störrisches, sich aufbäumendes Pferd zu bändigen. Das ist prächtig und sehr wirkungsvoll heruntergemalt, mit der Sicherheit, die alles auszeichnet, was dieser frische und selbstbewußte Rheinländer auch unternehmen mag. Eine tiefergehende Wirkung bleibt ihm freilich auch hier versagt, und ein Bildnis Dame in Gelb am Teetisch — ist sogar in einer ziemlich äußerlichen Mache stecken geblieben. Eine gewisse Verwandtschaft mit Kampf zeigt Otto H. Engel, auch diesmal wieder mit Bildern aus dem friesischen Volksleben vertreten, in der gesunden, saftigen Malweise, dem geschickten Erfassen des Bildmäßigen. Gemälde wie die „junge Mutter" bezeugen, daß auch das solange verpönte Sittenbild, das Anekdotische gemildert zugunsten des Malerischen, einer Neu¬ belebung noch fähig ist. Von den ältern in Berlin wirkenden Mitgliedern der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/31>, abgerufen am 03.07.2024.