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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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nur unbewußt fühlte. Noch sah er mit so vielen seiner Landsleute in
Goethe nur den Verfasser des "tränenreichen, weinerlichen Werther" -- den
jungen Goethe, nicht den Dichter des Faust und der Iphigenie. In der
Schilderung seiner Zusammenkunft mit Goethe in dem erwähnten Briefe an
Lewis kann er sich eines ebenso launigen als boshaften Ausfalls auf das
schlechte Französisch des Meisters nicht enthalten, und der "weinerliche"
Werther kommt in einem parodistischen Gedicht "Der junge Werther" übel
genug weg. Aber ein menschlicher Zug, eine große Tatsache in ihrer Ent¬
wicklung ist ihnen gemein, und Thackeray mußte sich damals, als er im
Weimarer Kreise zur Belustigung der Kinder Karikaturen zeichnete und ihm
doch schon eine literarische Zukunft dämmerte, dessen bewußt gewesen sein.
Sie hatten beide, ihre Fähigkeiten mißverstehend, nach einer Kunst gestrebt,
die nicht ihr Beruf war. Der Goethe des Wilhelm Meister stand Thackeray
am nächsten.

Ein Jahr nach dem kurzen, aber an Eindrücken reichen Aufenthalt in
Weimar finden wir ihn zum zweitenmal in Paris, dann nach dem Beispiel
Lord Byrons in Italien, in den Kunstsammlungen der Villa Borghese, auf
den Ruinen von Herkulanum und Pompeji und auf all den Stätten, die durch
die Abenteuer des englischen Lords und durch Goethe berüchtigt und geheiligt
waren. Paris aber blieb selbst nach seiner stündigen Ansiedlung in London
im Jahre 1837 seine zweite Heimat. seinem künstlerischen Naturell mochte
der leichtere Gang des Pariser Lebens besser behagen als das geräuschvolle
Treiben der englischen Metropole. Ihn, den Stockbriten -- und das blieb er
trotz und vielleicht gerade infolge der Schmiegsamkeit seines Wesens -- mußte
allerdings vieles an dem Wesen der Franzosen, die Selbstgefälligkeit ihres
Patriotismus, ihre nach englischen Begriffen mangelnde Gründlichkeit, die Un¬
zulänglichkeit ihrer politischen Anläufe abstoßen: die Julirevolution und das
beginnende Bürgerkönigtum hatten alle diese Schwächen in greller Beleuchtung
erscheinen lassen. Wir haben Äußerungen, in denen sich seine nationale Haltung
und Entrüstung in einer Weise Luft macht, die an Hogarths Karikaturen
der magern limonadetrinkenden Franzosengerippe gemahnt und einem Land¬
edelmann aus der Zeit Fieldings Ehre gemacht hätten. Grimmig nennt er
Ludwig Philipp einen Usurpator, der einem rechtmäßigen Könige die Krone
gestohlen habe; die alljährliche Feier der Julirevolution erscheint ihm als ein
eitler Firlefanz, einer Nation würdig, die einer ernsten Handlung nicht fähig
sei. Als die Leiche Napoleons mit nationalen! Gepränge in Paris beigesetzt
wird, sieht er in alledem nur ein theatralisches Schaustück, und nichts gewährt
ihm mehr Freude als die komischen Zeichnungen, in denen der berühmte
Karikaturist des Charivari König und Regierung geißelt. Dagegen finden
die gesellschaftlichen Tugenden, die Beweglichkeit und der überlegne Intellekt
des Franzosen in ihm einen aufrichtigen Bewundrer. Seine Übersetzungen
Berangerscher Lieder zeigen, wie sehr der französische ritterliche Geist, der Welt-


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nur unbewußt fühlte. Noch sah er mit so vielen seiner Landsleute in
Goethe nur den Verfasser des „tränenreichen, weinerlichen Werther" — den
jungen Goethe, nicht den Dichter des Faust und der Iphigenie. In der
Schilderung seiner Zusammenkunft mit Goethe in dem erwähnten Briefe an
Lewis kann er sich eines ebenso launigen als boshaften Ausfalls auf das
schlechte Französisch des Meisters nicht enthalten, und der „weinerliche"
Werther kommt in einem parodistischen Gedicht „Der junge Werther" übel
genug weg. Aber ein menschlicher Zug, eine große Tatsache in ihrer Ent¬
wicklung ist ihnen gemein, und Thackeray mußte sich damals, als er im
Weimarer Kreise zur Belustigung der Kinder Karikaturen zeichnete und ihm
doch schon eine literarische Zukunft dämmerte, dessen bewußt gewesen sein.
Sie hatten beide, ihre Fähigkeiten mißverstehend, nach einer Kunst gestrebt,
die nicht ihr Beruf war. Der Goethe des Wilhelm Meister stand Thackeray
am nächsten.

Ein Jahr nach dem kurzen, aber an Eindrücken reichen Aufenthalt in
Weimar finden wir ihn zum zweitenmal in Paris, dann nach dem Beispiel
Lord Byrons in Italien, in den Kunstsammlungen der Villa Borghese, auf
den Ruinen von Herkulanum und Pompeji und auf all den Stätten, die durch
die Abenteuer des englischen Lords und durch Goethe berüchtigt und geheiligt
waren. Paris aber blieb selbst nach seiner stündigen Ansiedlung in London
im Jahre 1837 seine zweite Heimat. seinem künstlerischen Naturell mochte
der leichtere Gang des Pariser Lebens besser behagen als das geräuschvolle
Treiben der englischen Metropole. Ihn, den Stockbriten — und das blieb er
trotz und vielleicht gerade infolge der Schmiegsamkeit seines Wesens — mußte
allerdings vieles an dem Wesen der Franzosen, die Selbstgefälligkeit ihres
Patriotismus, ihre nach englischen Begriffen mangelnde Gründlichkeit, die Un¬
zulänglichkeit ihrer politischen Anläufe abstoßen: die Julirevolution und das
beginnende Bürgerkönigtum hatten alle diese Schwächen in greller Beleuchtung
erscheinen lassen. Wir haben Äußerungen, in denen sich seine nationale Haltung
und Entrüstung in einer Weise Luft macht, die an Hogarths Karikaturen
der magern limonadetrinkenden Franzosengerippe gemahnt und einem Land¬
edelmann aus der Zeit Fieldings Ehre gemacht hätten. Grimmig nennt er
Ludwig Philipp einen Usurpator, der einem rechtmäßigen Könige die Krone
gestohlen habe; die alljährliche Feier der Julirevolution erscheint ihm als ein
eitler Firlefanz, einer Nation würdig, die einer ernsten Handlung nicht fähig
sei. Als die Leiche Napoleons mit nationalen! Gepränge in Paris beigesetzt
wird, sieht er in alledem nur ein theatralisches Schaustück, und nichts gewährt
ihm mehr Freude als die komischen Zeichnungen, in denen der berühmte
Karikaturist des Charivari König und Regierung geißelt. Dagegen finden
die gesellschaftlichen Tugenden, die Beweglichkeit und der überlegne Intellekt
des Franzosen in ihm einen aufrichtigen Bewundrer. Seine Übersetzungen
Berangerscher Lieder zeigen, wie sehr der französische ritterliche Geist, der Welt-


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[0294] Thcickeray nur unbewußt fühlte. Noch sah er mit so vielen seiner Landsleute in Goethe nur den Verfasser des „tränenreichen, weinerlichen Werther" — den jungen Goethe, nicht den Dichter des Faust und der Iphigenie. In der Schilderung seiner Zusammenkunft mit Goethe in dem erwähnten Briefe an Lewis kann er sich eines ebenso launigen als boshaften Ausfalls auf das schlechte Französisch des Meisters nicht enthalten, und der „weinerliche" Werther kommt in einem parodistischen Gedicht „Der junge Werther" übel genug weg. Aber ein menschlicher Zug, eine große Tatsache in ihrer Ent¬ wicklung ist ihnen gemein, und Thackeray mußte sich damals, als er im Weimarer Kreise zur Belustigung der Kinder Karikaturen zeichnete und ihm doch schon eine literarische Zukunft dämmerte, dessen bewußt gewesen sein. Sie hatten beide, ihre Fähigkeiten mißverstehend, nach einer Kunst gestrebt, die nicht ihr Beruf war. Der Goethe des Wilhelm Meister stand Thackeray am nächsten. Ein Jahr nach dem kurzen, aber an Eindrücken reichen Aufenthalt in Weimar finden wir ihn zum zweitenmal in Paris, dann nach dem Beispiel Lord Byrons in Italien, in den Kunstsammlungen der Villa Borghese, auf den Ruinen von Herkulanum und Pompeji und auf all den Stätten, die durch die Abenteuer des englischen Lords und durch Goethe berüchtigt und geheiligt waren. Paris aber blieb selbst nach seiner stündigen Ansiedlung in London im Jahre 1837 seine zweite Heimat. seinem künstlerischen Naturell mochte der leichtere Gang des Pariser Lebens besser behagen als das geräuschvolle Treiben der englischen Metropole. Ihn, den Stockbriten — und das blieb er trotz und vielleicht gerade infolge der Schmiegsamkeit seines Wesens — mußte allerdings vieles an dem Wesen der Franzosen, die Selbstgefälligkeit ihres Patriotismus, ihre nach englischen Begriffen mangelnde Gründlichkeit, die Un¬ zulänglichkeit ihrer politischen Anläufe abstoßen: die Julirevolution und das beginnende Bürgerkönigtum hatten alle diese Schwächen in greller Beleuchtung erscheinen lassen. Wir haben Äußerungen, in denen sich seine nationale Haltung und Entrüstung in einer Weise Luft macht, die an Hogarths Karikaturen der magern limonadetrinkenden Franzosengerippe gemahnt und einem Land¬ edelmann aus der Zeit Fieldings Ehre gemacht hätten. Grimmig nennt er Ludwig Philipp einen Usurpator, der einem rechtmäßigen Könige die Krone gestohlen habe; die alljährliche Feier der Julirevolution erscheint ihm als ein eitler Firlefanz, einer Nation würdig, die einer ernsten Handlung nicht fähig sei. Als die Leiche Napoleons mit nationalen! Gepränge in Paris beigesetzt wird, sieht er in alledem nur ein theatralisches Schaustück, und nichts gewährt ihm mehr Freude als die komischen Zeichnungen, in denen der berühmte Karikaturist des Charivari König und Regierung geißelt. Dagegen finden die gesellschaftlichen Tugenden, die Beweglichkeit und der überlegne Intellekt des Franzosen in ihm einen aufrichtigen Bewundrer. Seine Übersetzungen Berangerscher Lieder zeigen, wie sehr der französische ritterliche Geist, der Welt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/294>, abgerufen am 28.06.2024.