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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Thackeray

und dem benachbarten Somersetshire war es, wo die Kriege zwischen den Rund¬
köpfen und Kavalieren ausgefochten wurden, wo der Boden mit dem Blute
der treuen Anhänger Monmouths getränkt wurde, wo die Bauern mit Sicheln
und Sensen bewaffnet unter dem Rufe "ein Monmouth" die protestantische
Sache vertraten, und auf demselben Boden erreichte den flüchtigen Herzog sein
Schicksal auf dem Schafott,

Das historische Gefühl, mehr ein Prinzip der Empfindung als des be¬
wußten Denkens, ist doch wohl zu berücksichtigen, wenn man Thackerciys rück¬
wärtsschauendes Wesen begreifen will, es wurde geweckt und entwickelt, als sich
dein Knaben die Pforten der alten Kartäuserschule in London öffneten, wo
er mit den ersten Anfängen klassischer Gelehrsamkeit, nach damaliger englischer
Anschauung der wichtigsten Grundlage jeder Erziehung, versorgt, mit den
Schätzen der römischen und der griechischen Literatur vertraut werden sollte und
so jene humane Denkart in sich aufnahm, die das Anschauen längst vergangner
Kulturperioden in uns rege macht. Eine klösterliche Abgeschiedenheit nahm ihn
hier auf inmitten des regen Treibens einer Weltstadt, und vielleicht bemächtigte
sich dort seiner die Sehnsucht nach Weltabgeschiedenheit, die sich in ihm
später mit einem überschäumenden Element zu so wunderlicher Mischung ver¬
einen sollte.

Ungefähr um diese Zeit, wo Dickens nach Beendigung einer sehr zweifel¬
haften Erziehung als Stenograph unter die Reporter ging und auf der Galerie
des alten Hauses der Gemeinen die politische Luft atmete, die das Tory-
regiment Wellingtons hinwegfegte, den Fabrikherren das Wahlrecht zuführte,
in die modrigen Gemächer der Gefängnisse und Armenhäuser wehte, und deren
Hauch wir in den gewaltigen Apostrophen des jungen Booz an die Lords
und Gentlemen des Hohen Rats verspüren, legte Thackeray das Kleid der
Stiftlinge ab und hüllte sich in die ehrwürdige Tracht der Studenten vom
Trinitätskollegium von Cambridge. Eine Art legitimistischer Atmosphäre, der
Abglanz des Lebens unter Ludwig dem Achtzehnter und Karl dem Zehnten,
umfängt ihn hier. Wie zur Zeit der Stuarts betätigt die Universität auch
jetzt ihre loyalen Gesinnungen, und in die abgeschiednen Kollegien, wo neben
Ovid und Homer der Fechtmeister und der Kapitän der Boote der Abgott der
aristokratischen töllmv oommcmers sind, füllt ein letzter Strahl der alten
Herrlichkeit. Es ist bezeichnend, daß der Dichter Tennyson, der Sänger der
"Maud" und der Idyllen der Könige, Thackerays Freund und Studiengenosse
in Cambridge war. Aber um seine Anregungen zu begreifen, müssen wir der
literarischen Tendenzen, die dort herrschten, mit einem Worte gedenken, und
in dieser Beziehung können wir Bulwers "Pelham" und Disraelis "Vivian
Grey", vor allem aber Byrons "Don Juan" als Marksteine bezeichnen. In
allen dreien werden die galanten Abenteuer eines mehr oder minder geist¬
reichen Modegecken im Tone des blasierten oder wenigstens blasiert sein
wollenden Weltmannes geschildert und nicht ohne einen Beigeschmack jenes


Thackeray

und dem benachbarten Somersetshire war es, wo die Kriege zwischen den Rund¬
köpfen und Kavalieren ausgefochten wurden, wo der Boden mit dem Blute
der treuen Anhänger Monmouths getränkt wurde, wo die Bauern mit Sicheln
und Sensen bewaffnet unter dem Rufe „ein Monmouth" die protestantische
Sache vertraten, und auf demselben Boden erreichte den flüchtigen Herzog sein
Schicksal auf dem Schafott,

Das historische Gefühl, mehr ein Prinzip der Empfindung als des be¬
wußten Denkens, ist doch wohl zu berücksichtigen, wenn man Thackerciys rück¬
wärtsschauendes Wesen begreifen will, es wurde geweckt und entwickelt, als sich
dein Knaben die Pforten der alten Kartäuserschule in London öffneten, wo
er mit den ersten Anfängen klassischer Gelehrsamkeit, nach damaliger englischer
Anschauung der wichtigsten Grundlage jeder Erziehung, versorgt, mit den
Schätzen der römischen und der griechischen Literatur vertraut werden sollte und
so jene humane Denkart in sich aufnahm, die das Anschauen längst vergangner
Kulturperioden in uns rege macht. Eine klösterliche Abgeschiedenheit nahm ihn
hier auf inmitten des regen Treibens einer Weltstadt, und vielleicht bemächtigte
sich dort seiner die Sehnsucht nach Weltabgeschiedenheit, die sich in ihm
später mit einem überschäumenden Element zu so wunderlicher Mischung ver¬
einen sollte.

Ungefähr um diese Zeit, wo Dickens nach Beendigung einer sehr zweifel¬
haften Erziehung als Stenograph unter die Reporter ging und auf der Galerie
des alten Hauses der Gemeinen die politische Luft atmete, die das Tory-
regiment Wellingtons hinwegfegte, den Fabrikherren das Wahlrecht zuführte,
in die modrigen Gemächer der Gefängnisse und Armenhäuser wehte, und deren
Hauch wir in den gewaltigen Apostrophen des jungen Booz an die Lords
und Gentlemen des Hohen Rats verspüren, legte Thackeray das Kleid der
Stiftlinge ab und hüllte sich in die ehrwürdige Tracht der Studenten vom
Trinitätskollegium von Cambridge. Eine Art legitimistischer Atmosphäre, der
Abglanz des Lebens unter Ludwig dem Achtzehnter und Karl dem Zehnten,
umfängt ihn hier. Wie zur Zeit der Stuarts betätigt die Universität auch
jetzt ihre loyalen Gesinnungen, und in die abgeschiednen Kollegien, wo neben
Ovid und Homer der Fechtmeister und der Kapitän der Boote der Abgott der
aristokratischen töllmv oommcmers sind, füllt ein letzter Strahl der alten
Herrlichkeit. Es ist bezeichnend, daß der Dichter Tennyson, der Sänger der
„Maud" und der Idyllen der Könige, Thackerays Freund und Studiengenosse
in Cambridge war. Aber um seine Anregungen zu begreifen, müssen wir der
literarischen Tendenzen, die dort herrschten, mit einem Worte gedenken, und
in dieser Beziehung können wir Bulwers „Pelham" und Disraelis „Vivian
Grey", vor allem aber Byrons „Don Juan" als Marksteine bezeichnen. In
allen dreien werden die galanten Abenteuer eines mehr oder minder geist¬
reichen Modegecken im Tone des blasierten oder wenigstens blasiert sein
wollenden Weltmannes geschildert und nicht ohne einen Beigeschmack jenes


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[0292] Thackeray und dem benachbarten Somersetshire war es, wo die Kriege zwischen den Rund¬ köpfen und Kavalieren ausgefochten wurden, wo der Boden mit dem Blute der treuen Anhänger Monmouths getränkt wurde, wo die Bauern mit Sicheln und Sensen bewaffnet unter dem Rufe „ein Monmouth" die protestantische Sache vertraten, und auf demselben Boden erreichte den flüchtigen Herzog sein Schicksal auf dem Schafott, Das historische Gefühl, mehr ein Prinzip der Empfindung als des be¬ wußten Denkens, ist doch wohl zu berücksichtigen, wenn man Thackerciys rück¬ wärtsschauendes Wesen begreifen will, es wurde geweckt und entwickelt, als sich dein Knaben die Pforten der alten Kartäuserschule in London öffneten, wo er mit den ersten Anfängen klassischer Gelehrsamkeit, nach damaliger englischer Anschauung der wichtigsten Grundlage jeder Erziehung, versorgt, mit den Schätzen der römischen und der griechischen Literatur vertraut werden sollte und so jene humane Denkart in sich aufnahm, die das Anschauen längst vergangner Kulturperioden in uns rege macht. Eine klösterliche Abgeschiedenheit nahm ihn hier auf inmitten des regen Treibens einer Weltstadt, und vielleicht bemächtigte sich dort seiner die Sehnsucht nach Weltabgeschiedenheit, die sich in ihm später mit einem überschäumenden Element zu so wunderlicher Mischung ver¬ einen sollte. Ungefähr um diese Zeit, wo Dickens nach Beendigung einer sehr zweifel¬ haften Erziehung als Stenograph unter die Reporter ging und auf der Galerie des alten Hauses der Gemeinen die politische Luft atmete, die das Tory- regiment Wellingtons hinwegfegte, den Fabrikherren das Wahlrecht zuführte, in die modrigen Gemächer der Gefängnisse und Armenhäuser wehte, und deren Hauch wir in den gewaltigen Apostrophen des jungen Booz an die Lords und Gentlemen des Hohen Rats verspüren, legte Thackeray das Kleid der Stiftlinge ab und hüllte sich in die ehrwürdige Tracht der Studenten vom Trinitätskollegium von Cambridge. Eine Art legitimistischer Atmosphäre, der Abglanz des Lebens unter Ludwig dem Achtzehnter und Karl dem Zehnten, umfängt ihn hier. Wie zur Zeit der Stuarts betätigt die Universität auch jetzt ihre loyalen Gesinnungen, und in die abgeschiednen Kollegien, wo neben Ovid und Homer der Fechtmeister und der Kapitän der Boote der Abgott der aristokratischen töllmv oommcmers sind, füllt ein letzter Strahl der alten Herrlichkeit. Es ist bezeichnend, daß der Dichter Tennyson, der Sänger der „Maud" und der Idyllen der Könige, Thackerays Freund und Studiengenosse in Cambridge war. Aber um seine Anregungen zu begreifen, müssen wir der literarischen Tendenzen, die dort herrschten, mit einem Worte gedenken, und in dieser Beziehung können wir Bulwers „Pelham" und Disraelis „Vivian Grey", vor allem aber Byrons „Don Juan" als Marksteine bezeichnen. In allen dreien werden die galanten Abenteuer eines mehr oder minder geist¬ reichen Modegecken im Tone des blasierten oder wenigstens blasiert sein wollenden Weltmannes geschildert und nicht ohne einen Beigeschmack jenes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/292>, abgerufen am 02.07.2024.