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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Thackeray

höfischen Zeit, mit einem neugebornen Sinn für das Künstlerische oder doch
Gekünstelte und einem Abscheu gegen Neuerungsgedanken, die ihr ebenso un¬
verständlich als unerquicklich sind. Eine Art Nachblüte der Negierung Karls
des Zweiten haftet der Regentschaft an, ein Schimmer einer höhern, feinern
Kultur, wie sie nur die Herrschaft der obern Stände zuwege bringt -- der
Parfüm einer humanen Zeit, die Voltaire als ihren Führer anerkennt, die
Wildnis eines englischen Parks durch die geschniegelte Regelmäßigkeit eines
Schloßgartens ersetzt und im tändelnden Schritt eines Menuetts, die Allonge-
Perücke im Genick und den Galadegen an der Seite, durchs Leben trippelt.
Thackeray atmet auf der Höhe einer Existenz, in die man sich aus dem Drang
und Sturm der Arbeiterbewegungen und Brotunruhen zum ruhigen, wenngleich
selbstsüchtigen Lebensgenuß gerettet hat, diese mildere Luft, die die höhern Re¬
gionen der Kultur und Zivilisation erfüllt. Er ist von der Zeitströmung weder
gehoben noch ergriffen noch begeistert worden.

Erziehung und früheste Jugendeindrücke begünstigen dies. Der Sohn
eines Beamten der Indischen Kompagnie, wurde er am 18. Juli 1811 zu
Kalkutta in Indien geboren, ein Jahr vor Dickens, sieben Jahre nach Bulwer
und Benjamin Disraeli. Nach dem Verluste seines Vaters, der ihn in seinem
fünften Jahre traf, trat er die Reise nach England an und erhielt hier in
einer kleinen Landstadt durch seine Mutter, eine Dame von tiefen Gemüts¬
anlagen und feiner Bildung, seine erste Erziehung. In dem kleinen Städtchen
der Grafschaft Devonshire war vieles, was die Phantasie, dieses erste Bildungs¬
mittel, ergriff und die beschauliche Natur des nach dem Zeugnis seiner Ge¬
nossen schüchternen Knaben mächtig zu beschäftigen geeignet war. Die garten¬
reiche englische Landschaft mit ihren vorzeitlichen Ruinen, altertümlichen Kirchen
und dem Schlosse, von dem der Landedelmann wie von einer Hochwart aus
nach patriarchalischen Brauche die Gegend beherrschte, und um das sich die
vielgestaltigen Häuser und gartcnumsäumten Cottciges in malerischer Traulichkeit
lagerten -- dies fiel als erster Eindruck zum bleibenden Bilde in seine Seele.
In diese Einsamkeit drang der Lärm der Stadt nicht, und die Ereignisse, die
zum Beispiel Dickens in nächster Nähe erlebte, die Brotunruhen der Jahre 1816
und 1819, bildeten dort nur den Stoff zu freundnachbarlichcm Gespräch und
beschränkt spießbürgerlichen Kannegießern. Der historischen Erinnerungen gab
es manche, um den Knaben anzuregen. Hatte dieser auf seiner ersten Reise,
die eine Weltreise war, und die zu der ersten Postkntschenrcise des jungen Booz
von Portsmouth nach Chatham einen so eigentümlichen Kontrast bildet -- hatte
er auf dieser Fahrt über den Ozean ein Stück Weltgeschichte geschaut, indem
er. wie er mit Humor erzählt, Napoleon hinter der Gartenmauer von Sankt
Helena wandeln sah, so trat ihm jetzt in der Umgebung einer von der Sage
heimgesuchten und in der Geschichte merkwürdigen Landschaft das Leben ver¬
gangner Tage, in Ruinen versunken und in der Tradition aufbewahrt, aus
dem dunkeln Schoß der Zeiten entgegen. In den Grafschaften Devonshire


Thackeray

höfischen Zeit, mit einem neugebornen Sinn für das Künstlerische oder doch
Gekünstelte und einem Abscheu gegen Neuerungsgedanken, die ihr ebenso un¬
verständlich als unerquicklich sind. Eine Art Nachblüte der Negierung Karls
des Zweiten haftet der Regentschaft an, ein Schimmer einer höhern, feinern
Kultur, wie sie nur die Herrschaft der obern Stände zuwege bringt — der
Parfüm einer humanen Zeit, die Voltaire als ihren Führer anerkennt, die
Wildnis eines englischen Parks durch die geschniegelte Regelmäßigkeit eines
Schloßgartens ersetzt und im tändelnden Schritt eines Menuetts, die Allonge-
Perücke im Genick und den Galadegen an der Seite, durchs Leben trippelt.
Thackeray atmet auf der Höhe einer Existenz, in die man sich aus dem Drang
und Sturm der Arbeiterbewegungen und Brotunruhen zum ruhigen, wenngleich
selbstsüchtigen Lebensgenuß gerettet hat, diese mildere Luft, die die höhern Re¬
gionen der Kultur und Zivilisation erfüllt. Er ist von der Zeitströmung weder
gehoben noch ergriffen noch begeistert worden.

Erziehung und früheste Jugendeindrücke begünstigen dies. Der Sohn
eines Beamten der Indischen Kompagnie, wurde er am 18. Juli 1811 zu
Kalkutta in Indien geboren, ein Jahr vor Dickens, sieben Jahre nach Bulwer
und Benjamin Disraeli. Nach dem Verluste seines Vaters, der ihn in seinem
fünften Jahre traf, trat er die Reise nach England an und erhielt hier in
einer kleinen Landstadt durch seine Mutter, eine Dame von tiefen Gemüts¬
anlagen und feiner Bildung, seine erste Erziehung. In dem kleinen Städtchen
der Grafschaft Devonshire war vieles, was die Phantasie, dieses erste Bildungs¬
mittel, ergriff und die beschauliche Natur des nach dem Zeugnis seiner Ge¬
nossen schüchternen Knaben mächtig zu beschäftigen geeignet war. Die garten¬
reiche englische Landschaft mit ihren vorzeitlichen Ruinen, altertümlichen Kirchen
und dem Schlosse, von dem der Landedelmann wie von einer Hochwart aus
nach patriarchalischen Brauche die Gegend beherrschte, und um das sich die
vielgestaltigen Häuser und gartcnumsäumten Cottciges in malerischer Traulichkeit
lagerten — dies fiel als erster Eindruck zum bleibenden Bilde in seine Seele.
In diese Einsamkeit drang der Lärm der Stadt nicht, und die Ereignisse, die
zum Beispiel Dickens in nächster Nähe erlebte, die Brotunruhen der Jahre 1816
und 1819, bildeten dort nur den Stoff zu freundnachbarlichcm Gespräch und
beschränkt spießbürgerlichen Kannegießern. Der historischen Erinnerungen gab
es manche, um den Knaben anzuregen. Hatte dieser auf seiner ersten Reise,
die eine Weltreise war, und die zu der ersten Postkntschenrcise des jungen Booz
von Portsmouth nach Chatham einen so eigentümlichen Kontrast bildet — hatte
er auf dieser Fahrt über den Ozean ein Stück Weltgeschichte geschaut, indem
er. wie er mit Humor erzählt, Napoleon hinter der Gartenmauer von Sankt
Helena wandeln sah, so trat ihm jetzt in der Umgebung einer von der Sage
heimgesuchten und in der Geschichte merkwürdigen Landschaft das Leben ver¬
gangner Tage, in Ruinen versunken und in der Tradition aufbewahrt, aus
dem dunkeln Schoß der Zeiten entgegen. In den Grafschaften Devonshire


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[0291] Thackeray höfischen Zeit, mit einem neugebornen Sinn für das Künstlerische oder doch Gekünstelte und einem Abscheu gegen Neuerungsgedanken, die ihr ebenso un¬ verständlich als unerquicklich sind. Eine Art Nachblüte der Negierung Karls des Zweiten haftet der Regentschaft an, ein Schimmer einer höhern, feinern Kultur, wie sie nur die Herrschaft der obern Stände zuwege bringt — der Parfüm einer humanen Zeit, die Voltaire als ihren Führer anerkennt, die Wildnis eines englischen Parks durch die geschniegelte Regelmäßigkeit eines Schloßgartens ersetzt und im tändelnden Schritt eines Menuetts, die Allonge- Perücke im Genick und den Galadegen an der Seite, durchs Leben trippelt. Thackeray atmet auf der Höhe einer Existenz, in die man sich aus dem Drang und Sturm der Arbeiterbewegungen und Brotunruhen zum ruhigen, wenngleich selbstsüchtigen Lebensgenuß gerettet hat, diese mildere Luft, die die höhern Re¬ gionen der Kultur und Zivilisation erfüllt. Er ist von der Zeitströmung weder gehoben noch ergriffen noch begeistert worden. Erziehung und früheste Jugendeindrücke begünstigen dies. Der Sohn eines Beamten der Indischen Kompagnie, wurde er am 18. Juli 1811 zu Kalkutta in Indien geboren, ein Jahr vor Dickens, sieben Jahre nach Bulwer und Benjamin Disraeli. Nach dem Verluste seines Vaters, der ihn in seinem fünften Jahre traf, trat er die Reise nach England an und erhielt hier in einer kleinen Landstadt durch seine Mutter, eine Dame von tiefen Gemüts¬ anlagen und feiner Bildung, seine erste Erziehung. In dem kleinen Städtchen der Grafschaft Devonshire war vieles, was die Phantasie, dieses erste Bildungs¬ mittel, ergriff und die beschauliche Natur des nach dem Zeugnis seiner Ge¬ nossen schüchternen Knaben mächtig zu beschäftigen geeignet war. Die garten¬ reiche englische Landschaft mit ihren vorzeitlichen Ruinen, altertümlichen Kirchen und dem Schlosse, von dem der Landedelmann wie von einer Hochwart aus nach patriarchalischen Brauche die Gegend beherrschte, und um das sich die vielgestaltigen Häuser und gartcnumsäumten Cottciges in malerischer Traulichkeit lagerten — dies fiel als erster Eindruck zum bleibenden Bilde in seine Seele. In diese Einsamkeit drang der Lärm der Stadt nicht, und die Ereignisse, die zum Beispiel Dickens in nächster Nähe erlebte, die Brotunruhen der Jahre 1816 und 1819, bildeten dort nur den Stoff zu freundnachbarlichcm Gespräch und beschränkt spießbürgerlichen Kannegießern. Der historischen Erinnerungen gab es manche, um den Knaben anzuregen. Hatte dieser auf seiner ersten Reise, die eine Weltreise war, und die zu der ersten Postkntschenrcise des jungen Booz von Portsmouth nach Chatham einen so eigentümlichen Kontrast bildet — hatte er auf dieser Fahrt über den Ozean ein Stück Weltgeschichte geschaut, indem er. wie er mit Humor erzählt, Napoleon hinter der Gartenmauer von Sankt Helena wandeln sah, so trat ihm jetzt in der Umgebung einer von der Sage heimgesuchten und in der Geschichte merkwürdigen Landschaft das Leben ver¬ gangner Tage, in Ruinen versunken und in der Tradition aufbewahrt, aus dem dunkeln Schoß der Zeiten entgegen. In den Grafschaften Devonshire

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/291>, abgerufen am 02.07.2024.