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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Über de" Kanzleistil

eine Verfügung der Königlich Preußischen Breslauischen Regierung von Schlesien
vom 14. Januar 1810 an. Erwähnt sei dann noch die Regierungsinstrnktion
vom 23. Oktober 1817, in der es heißt (Paragraph 33), daß Berichte "gründlich,
klar, bestimmt und erschöpfend, aber auch möglichst kurz und gedrängt, ohne
unnütze Weitschweifigkeit und Wortüberfüllung abgefaßt werden" sollen. Trotz
all dieser Bemtthnngen blühte der Kanzleistil weiter. Erst in der letzten Zeit
ist man ihm wieder kraftvoll zu Leibe gegangen. In den Jahren 1896
und 1897 erließen zum Beispiel verschiedne preußische Minister auf Grund von
Beschlüssen des Staatsministeriums Anordnungen über die Vereinfachung des
Geschäftsganges und die Verminderung des Schreibwerks, die mit vielem Über¬
flüssigem aufräumten und zweifellos einen sehr guten Einfluß gehabt haben.

Trotzdem besteht uoch immer der Kanzleistil als Stil für sich, aber nicht
als guter Stil, wie vordem, wo er als Muster galt -- nein, herabgewürdigt
zu einer Stilgattung zweiten Ranges, in der er so schlechte Gesellschaft hat wie
den Kanfmannsstil und das Zeitungsdeutsch. Zum Troste für den Kanzleistil
kann man sagen, daß in der neuesten Zeit überhaupt gegen unsre Sprache der
Vorwurf erhoben worden ist, sie sei verwildert und verwüstet. Wustmanns
temperamentvolle Ausführungen in diesen Blättern und später in seinem Buche
"Allerhand Sprachdummheiten" sind des Zeuge. Von der größten Bedeutung auf
diesem Gebiete ist ferner das Wirken des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins,
der nicht bloß die Fremdwörter bekämpft, sondern namentlich darauf ausgeht,
das Sprachgewissen zu schärfen und dadurch die Sprache zu reinigen.

Alles in allem nennt man das verderbte jetzige Deutsch den "papiernen
Stil" (nach Schroeder) oder das "Tintendentsch", ein Ausdruck, den schon
der große Satiriker Fischart geprägt hat. Die gemeinsame Verderbnis bringt
uns von selbst auf die Frage, welche Stilart darau mehr schuld habe. Das
neueste Urteil (von Eduard Engel in seiner Geschichte der Deutschen Literatur)
ist dem Kanzleistil ungünstig; Engel behauptet, daß "die Amtssprache weit
ärger und mit geringerer Entschuldigung sündige als die deutsche Presse". Nach
ihm ist der Amtssprache "die immer noch zunehmende Wortmacherei und Ver<
Wässerung" zuzuschreiben. Auch Wustmann scheint dem zuzuneigen, wenigstens
sagt er an einer Stelle: "sowie der Deutsche die Feder in die Tinte taucht,
fährt ihm der Registrator oder der Kanzlist in die Glieder". Gewiß entstammt
manche "Sprachdummheit" dein Kanzleistil, aber der Kanfmannsstil und
namentlich das Zeitungsdeutsch sind doch auch nicht ganz schuldlos. Die
Wahrheit trifft wohl Günther, der eine gegenseitige Einwirkung beider haupt¬
sächlichen Stilarten (des Zeitungsdeutsch und des Amtsdeutsch) aufeinander
annimmt.

Doch nun zum Kanzleistil oder besser Amtsstil selbst. Welche Erfordernisse
sind an den Amtsstil zu stellen? Man verlangt von ihn, keine Schönrednerei,
keine gekünstelter Phrasen (kein Feuilleton), keine rollenden Perioden. Knapp,
schlicht, sachlich soll er sein. Weniger als von den andern Stilarten gilt von


Über de» Kanzleistil

eine Verfügung der Königlich Preußischen Breslauischen Regierung von Schlesien
vom 14. Januar 1810 an. Erwähnt sei dann noch die Regierungsinstrnktion
vom 23. Oktober 1817, in der es heißt (Paragraph 33), daß Berichte „gründlich,
klar, bestimmt und erschöpfend, aber auch möglichst kurz und gedrängt, ohne
unnütze Weitschweifigkeit und Wortüberfüllung abgefaßt werden" sollen. Trotz
all dieser Bemtthnngen blühte der Kanzleistil weiter. Erst in der letzten Zeit
ist man ihm wieder kraftvoll zu Leibe gegangen. In den Jahren 1896
und 1897 erließen zum Beispiel verschiedne preußische Minister auf Grund von
Beschlüssen des Staatsministeriums Anordnungen über die Vereinfachung des
Geschäftsganges und die Verminderung des Schreibwerks, die mit vielem Über¬
flüssigem aufräumten und zweifellos einen sehr guten Einfluß gehabt haben.

Trotzdem besteht uoch immer der Kanzleistil als Stil für sich, aber nicht
als guter Stil, wie vordem, wo er als Muster galt — nein, herabgewürdigt
zu einer Stilgattung zweiten Ranges, in der er so schlechte Gesellschaft hat wie
den Kanfmannsstil und das Zeitungsdeutsch. Zum Troste für den Kanzleistil
kann man sagen, daß in der neuesten Zeit überhaupt gegen unsre Sprache der
Vorwurf erhoben worden ist, sie sei verwildert und verwüstet. Wustmanns
temperamentvolle Ausführungen in diesen Blättern und später in seinem Buche
„Allerhand Sprachdummheiten" sind des Zeuge. Von der größten Bedeutung auf
diesem Gebiete ist ferner das Wirken des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins,
der nicht bloß die Fremdwörter bekämpft, sondern namentlich darauf ausgeht,
das Sprachgewissen zu schärfen und dadurch die Sprache zu reinigen.

Alles in allem nennt man das verderbte jetzige Deutsch den „papiernen
Stil" (nach Schroeder) oder das „Tintendentsch", ein Ausdruck, den schon
der große Satiriker Fischart geprägt hat. Die gemeinsame Verderbnis bringt
uns von selbst auf die Frage, welche Stilart darau mehr schuld habe. Das
neueste Urteil (von Eduard Engel in seiner Geschichte der Deutschen Literatur)
ist dem Kanzleistil ungünstig; Engel behauptet, daß „die Amtssprache weit
ärger und mit geringerer Entschuldigung sündige als die deutsche Presse". Nach
ihm ist der Amtssprache „die immer noch zunehmende Wortmacherei und Ver<
Wässerung" zuzuschreiben. Auch Wustmann scheint dem zuzuneigen, wenigstens
sagt er an einer Stelle: „sowie der Deutsche die Feder in die Tinte taucht,
fährt ihm der Registrator oder der Kanzlist in die Glieder". Gewiß entstammt
manche „Sprachdummheit" dein Kanzleistil, aber der Kanfmannsstil und
namentlich das Zeitungsdeutsch sind doch auch nicht ganz schuldlos. Die
Wahrheit trifft wohl Günther, der eine gegenseitige Einwirkung beider haupt¬
sächlichen Stilarten (des Zeitungsdeutsch und des Amtsdeutsch) aufeinander
annimmt.

Doch nun zum Kanzleistil oder besser Amtsstil selbst. Welche Erfordernisse
sind an den Amtsstil zu stellen? Man verlangt von ihn, keine Schönrednerei,
keine gekünstelter Phrasen (kein Feuilleton), keine rollenden Perioden. Knapp,
schlicht, sachlich soll er sein. Weniger als von den andern Stilarten gilt von


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[0281] Über de» Kanzleistil eine Verfügung der Königlich Preußischen Breslauischen Regierung von Schlesien vom 14. Januar 1810 an. Erwähnt sei dann noch die Regierungsinstrnktion vom 23. Oktober 1817, in der es heißt (Paragraph 33), daß Berichte „gründlich, klar, bestimmt und erschöpfend, aber auch möglichst kurz und gedrängt, ohne unnütze Weitschweifigkeit und Wortüberfüllung abgefaßt werden" sollen. Trotz all dieser Bemtthnngen blühte der Kanzleistil weiter. Erst in der letzten Zeit ist man ihm wieder kraftvoll zu Leibe gegangen. In den Jahren 1896 und 1897 erließen zum Beispiel verschiedne preußische Minister auf Grund von Beschlüssen des Staatsministeriums Anordnungen über die Vereinfachung des Geschäftsganges und die Verminderung des Schreibwerks, die mit vielem Über¬ flüssigem aufräumten und zweifellos einen sehr guten Einfluß gehabt haben. Trotzdem besteht uoch immer der Kanzleistil als Stil für sich, aber nicht als guter Stil, wie vordem, wo er als Muster galt — nein, herabgewürdigt zu einer Stilgattung zweiten Ranges, in der er so schlechte Gesellschaft hat wie den Kanfmannsstil und das Zeitungsdeutsch. Zum Troste für den Kanzleistil kann man sagen, daß in der neuesten Zeit überhaupt gegen unsre Sprache der Vorwurf erhoben worden ist, sie sei verwildert und verwüstet. Wustmanns temperamentvolle Ausführungen in diesen Blättern und später in seinem Buche „Allerhand Sprachdummheiten" sind des Zeuge. Von der größten Bedeutung auf diesem Gebiete ist ferner das Wirken des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, der nicht bloß die Fremdwörter bekämpft, sondern namentlich darauf ausgeht, das Sprachgewissen zu schärfen und dadurch die Sprache zu reinigen. Alles in allem nennt man das verderbte jetzige Deutsch den „papiernen Stil" (nach Schroeder) oder das „Tintendentsch", ein Ausdruck, den schon der große Satiriker Fischart geprägt hat. Die gemeinsame Verderbnis bringt uns von selbst auf die Frage, welche Stilart darau mehr schuld habe. Das neueste Urteil (von Eduard Engel in seiner Geschichte der Deutschen Literatur) ist dem Kanzleistil ungünstig; Engel behauptet, daß „die Amtssprache weit ärger und mit geringerer Entschuldigung sündige als die deutsche Presse". Nach ihm ist der Amtssprache „die immer noch zunehmende Wortmacherei und Ver< Wässerung" zuzuschreiben. Auch Wustmann scheint dem zuzuneigen, wenigstens sagt er an einer Stelle: „sowie der Deutsche die Feder in die Tinte taucht, fährt ihm der Registrator oder der Kanzlist in die Glieder". Gewiß entstammt manche „Sprachdummheit" dein Kanzleistil, aber der Kanfmannsstil und namentlich das Zeitungsdeutsch sind doch auch nicht ganz schuldlos. Die Wahrheit trifft wohl Günther, der eine gegenseitige Einwirkung beider haupt¬ sächlichen Stilarten (des Zeitungsdeutsch und des Amtsdeutsch) aufeinander annimmt. Doch nun zum Kanzleistil oder besser Amtsstil selbst. Welche Erfordernisse sind an den Amtsstil zu stellen? Man verlangt von ihn, keine Schönrednerei, keine gekünstelter Phrasen (kein Feuilleton), keine rollenden Perioden. Knapp, schlicht, sachlich soll er sein. Weniger als von den andern Stilarten gilt von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/281>, abgerufen am 22.07.2024.