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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Über den Kanzleistil

geschrieben worden ist,*) war es selbstverständlich nicht möglich, eine vollständig
eigne Arbeit zu liefern. Von der ursprünglich beabsichtigten Anführung der
einzelnen Quellenstellen haben wir abgesehen, um nicht die Darstellung zu
schleppend zu gestalten.

Die jetzt so sehr verlästerte Kanzleisprache hat in der Geschichte der deutschen
Sprache insofern eine hervorragende Bedeutung, als die Notwendigkeit, eine
einheitliche Kanzleisprache zu erhalten, zur Vereinigung des Oberdeutschen und
des Niederdeutschen und damit zur Bildung des Hochdeutschen führte, und zwar
schon um 1350. Zu dieser Zeit verlassen die meisten Kanzleien die reine
Mundart. Unter ihnen gewann früh das Übergewicht die kaiserliche Kanzlei;
ihr schloß sich um 1470 die kursächsische an. Die so geschaffne Sprache wurde
Luthers Werkzeug für die Bibelübersetzung. Es sei gestattet, seine viel ge¬
brauchten Worte hier nochmals anzuführen: "Ich rede nach der sächsischen
Kanzellei, welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland." Der
Kanzleistil galt damals als Muster; er war nach Jakob Grimm "voll der
trefflichsten Formen, der treuherzigsten Wörter und gar gefüger Wendungen".
Aber das änderte sich schnell. Die Verderbnis, die die deutsche Sprache zu
Anfang des siebzehnten Jahrhunderts befiel, machte auch vor der Kanzleisprache
nicht Halt. So war sie bald mit Fremdwörtern über die Maßen gespickt,
schwülstig und überladen, und es galt als besondre Kunst, natürlich auf Kosten
der Verständlichkeit, möglichst lange Perioden zu bilden.

Später als in die andern Stilgattungen der Sprache schien in den Kanzleistil
das Licht der Aufklärung. An Bestrebungen zur Vereinfachung der Kanzlei¬
sprache fehlte es nicht. Im Jahre 1779 erschien im Deutschen Museum über
sie ein kritischer Aufsatz. Unter den Kämpfern für die Vereinfachung des
Kanzleistils finden wir Friedrich den Großen. Von ihm ist der Satz über-
liefert worden: "Ich erinnere Euch nochmalen, in Eueren Berichten nicht so
abscheulich weitläuftig zu sein, sondern gleich act rem zu kommen, und nicht
hundert Wörter zu einer Sache zu brauchen, die mit zwei Wörtern gesagt
werden kann." Sein Geist spricht auch aus der "Allgemeinen Gerichtsordnung
für die preußischen Staaten" vom 6. Juli 1793, die von den "Gerichten und
Expedienten" eine "gute deutsche und allgemein verständliche Schreibart" forderte
und namentlich verlangte, daß sie sich "des verworrenen, dunklen und weit¬
schweifigen f. g. alten Kanzelleistyls" zu enthalten hätten.

Eine besondre Eigentümlichkeit des Kanzleistils waren damals (sind es ja
leider teilweise jetzt noch) die Kurialien, worunter namentlich die schwülstigen
Anrede- und Schlußformeln zu verstehen sind. Sie wegzulassen, ordnete schon



Ich nenne nur: Bruns, Die Amtssprache. (Verdeutschungsbuch des Deutschen Sprach¬
vereins.) Derselbe. Gutes Amtsdeutsch (Berlin, 1898). Rothe, Vortrag über den Kanzleistil.
Günther, Recht und Sprache (Berlin, Heymann). Schroeder, Vom papiernen Stil, 6. Auflage 1S06.
Wustmann, Allerhand Sprachdummheiten, 3. Auflage 1903, 4. Auslage, 101. bis 120. Tausend,
1908. Gnmows grammatisches Nachschlagebuch, I90S.
Über den Kanzleistil

geschrieben worden ist,*) war es selbstverständlich nicht möglich, eine vollständig
eigne Arbeit zu liefern. Von der ursprünglich beabsichtigten Anführung der
einzelnen Quellenstellen haben wir abgesehen, um nicht die Darstellung zu
schleppend zu gestalten.

Die jetzt so sehr verlästerte Kanzleisprache hat in der Geschichte der deutschen
Sprache insofern eine hervorragende Bedeutung, als die Notwendigkeit, eine
einheitliche Kanzleisprache zu erhalten, zur Vereinigung des Oberdeutschen und
des Niederdeutschen und damit zur Bildung des Hochdeutschen führte, und zwar
schon um 1350. Zu dieser Zeit verlassen die meisten Kanzleien die reine
Mundart. Unter ihnen gewann früh das Übergewicht die kaiserliche Kanzlei;
ihr schloß sich um 1470 die kursächsische an. Die so geschaffne Sprache wurde
Luthers Werkzeug für die Bibelübersetzung. Es sei gestattet, seine viel ge¬
brauchten Worte hier nochmals anzuführen: „Ich rede nach der sächsischen
Kanzellei, welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland." Der
Kanzleistil galt damals als Muster; er war nach Jakob Grimm „voll der
trefflichsten Formen, der treuherzigsten Wörter und gar gefüger Wendungen".
Aber das änderte sich schnell. Die Verderbnis, die die deutsche Sprache zu
Anfang des siebzehnten Jahrhunderts befiel, machte auch vor der Kanzleisprache
nicht Halt. So war sie bald mit Fremdwörtern über die Maßen gespickt,
schwülstig und überladen, und es galt als besondre Kunst, natürlich auf Kosten
der Verständlichkeit, möglichst lange Perioden zu bilden.

Später als in die andern Stilgattungen der Sprache schien in den Kanzleistil
das Licht der Aufklärung. An Bestrebungen zur Vereinfachung der Kanzlei¬
sprache fehlte es nicht. Im Jahre 1779 erschien im Deutschen Museum über
sie ein kritischer Aufsatz. Unter den Kämpfern für die Vereinfachung des
Kanzleistils finden wir Friedrich den Großen. Von ihm ist der Satz über-
liefert worden: „Ich erinnere Euch nochmalen, in Eueren Berichten nicht so
abscheulich weitläuftig zu sein, sondern gleich act rem zu kommen, und nicht
hundert Wörter zu einer Sache zu brauchen, die mit zwei Wörtern gesagt
werden kann." Sein Geist spricht auch aus der „Allgemeinen Gerichtsordnung
für die preußischen Staaten" vom 6. Juli 1793, die von den „Gerichten und
Expedienten" eine „gute deutsche und allgemein verständliche Schreibart" forderte
und namentlich verlangte, daß sie sich „des verworrenen, dunklen und weit¬
schweifigen f. g. alten Kanzelleistyls" zu enthalten hätten.

Eine besondre Eigentümlichkeit des Kanzleistils waren damals (sind es ja
leider teilweise jetzt noch) die Kurialien, worunter namentlich die schwülstigen
Anrede- und Schlußformeln zu verstehen sind. Sie wegzulassen, ordnete schon



Ich nenne nur: Bruns, Die Amtssprache. (Verdeutschungsbuch des Deutschen Sprach¬
vereins.) Derselbe. Gutes Amtsdeutsch (Berlin, 1898). Rothe, Vortrag über den Kanzleistil.
Günther, Recht und Sprache (Berlin, Heymann). Schroeder, Vom papiernen Stil, 6. Auflage 1S06.
Wustmann, Allerhand Sprachdummheiten, 3. Auflage 1903, 4. Auslage, 101. bis 120. Tausend,
1908. Gnmows grammatisches Nachschlagebuch, I90S.
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[0280] Über den Kanzleistil geschrieben worden ist,*) war es selbstverständlich nicht möglich, eine vollständig eigne Arbeit zu liefern. Von der ursprünglich beabsichtigten Anführung der einzelnen Quellenstellen haben wir abgesehen, um nicht die Darstellung zu schleppend zu gestalten. Die jetzt so sehr verlästerte Kanzleisprache hat in der Geschichte der deutschen Sprache insofern eine hervorragende Bedeutung, als die Notwendigkeit, eine einheitliche Kanzleisprache zu erhalten, zur Vereinigung des Oberdeutschen und des Niederdeutschen und damit zur Bildung des Hochdeutschen führte, und zwar schon um 1350. Zu dieser Zeit verlassen die meisten Kanzleien die reine Mundart. Unter ihnen gewann früh das Übergewicht die kaiserliche Kanzlei; ihr schloß sich um 1470 die kursächsische an. Die so geschaffne Sprache wurde Luthers Werkzeug für die Bibelübersetzung. Es sei gestattet, seine viel ge¬ brauchten Worte hier nochmals anzuführen: „Ich rede nach der sächsischen Kanzellei, welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland." Der Kanzleistil galt damals als Muster; er war nach Jakob Grimm „voll der trefflichsten Formen, der treuherzigsten Wörter und gar gefüger Wendungen". Aber das änderte sich schnell. Die Verderbnis, die die deutsche Sprache zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts befiel, machte auch vor der Kanzleisprache nicht Halt. So war sie bald mit Fremdwörtern über die Maßen gespickt, schwülstig und überladen, und es galt als besondre Kunst, natürlich auf Kosten der Verständlichkeit, möglichst lange Perioden zu bilden. Später als in die andern Stilgattungen der Sprache schien in den Kanzleistil das Licht der Aufklärung. An Bestrebungen zur Vereinfachung der Kanzlei¬ sprache fehlte es nicht. Im Jahre 1779 erschien im Deutschen Museum über sie ein kritischer Aufsatz. Unter den Kämpfern für die Vereinfachung des Kanzleistils finden wir Friedrich den Großen. Von ihm ist der Satz über- liefert worden: „Ich erinnere Euch nochmalen, in Eueren Berichten nicht so abscheulich weitläuftig zu sein, sondern gleich act rem zu kommen, und nicht hundert Wörter zu einer Sache zu brauchen, die mit zwei Wörtern gesagt werden kann." Sein Geist spricht auch aus der „Allgemeinen Gerichtsordnung für die preußischen Staaten" vom 6. Juli 1793, die von den „Gerichten und Expedienten" eine „gute deutsche und allgemein verständliche Schreibart" forderte und namentlich verlangte, daß sie sich „des verworrenen, dunklen und weit¬ schweifigen f. g. alten Kanzelleistyls" zu enthalten hätten. Eine besondre Eigentümlichkeit des Kanzleistils waren damals (sind es ja leider teilweise jetzt noch) die Kurialien, worunter namentlich die schwülstigen Anrede- und Schlußformeln zu verstehen sind. Sie wegzulassen, ordnete schon Ich nenne nur: Bruns, Die Amtssprache. (Verdeutschungsbuch des Deutschen Sprach¬ vereins.) Derselbe. Gutes Amtsdeutsch (Berlin, 1898). Rothe, Vortrag über den Kanzleistil. Günther, Recht und Sprache (Berlin, Heymann). Schroeder, Vom papiernen Stil, 6. Auflage 1S06. Wustmann, Allerhand Sprachdummheiten, 3. Auflage 1903, 4. Auslage, 101. bis 120. Tausend, 1908. Gnmows grammatisches Nachschlagebuch, I90S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/280>, abgerufen am 22.07.2024.