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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Ästerreich und der Krimkrieg

daß das Ringen zwischen den Ratgebern des Kaisers fortdauerte, und daß
die nächsten Maßregeln bald die eine, bald die andre Farbe trugen." Zwei
Wochen später schon zeigt sich ein Rückschlag. Am 2. Dezember, dem Glücks¬
tage der napoleoniden, schließt Österreich das Bündnis mit den Westmächten.
Das förmliche Ultimatum, das nach dem überraschenden Umschwung im No¬
vember auf Betreiben Napoleons ihm gestellt worden ist, macht es Österreich
unmöglich, auch nach einem Einlenken Rußlands aus der Sackgasse heraus¬
zukommen.

Wert und Wirkung des Bündnisses illustrieren am besten die Worte und
Handlungen der Zeitgenossen. Wenig Tage vor Abschluß des Bündnisses sagt
Palmerston zu Hübner: "Wir werden nun einen Allianzvertrag unterzeichnen.
Er wird ein totgebornes Kind sein. Wenn wir uns dazu hergeben, so geschieht es
gegen unsern Willen, und wir geben nur dem Drängen des Kaisers Napoleon
nach. Unter Allianz verstehe ich Ihre Beteiligung am Kriege. Nun aber werden
Sie nie gegen Nußland Krieg führen, und das einzige Resultat dieses Vertrages
wird eine Spannung zwischen Österreich und den Westmächten sein." Die Tat¬
sachen bestätigten Wort für Wort die Prophetie des Engländers. An den
Herzog von Koburg schreibt kurz darauf Friedrich Wilhelm der Vierte: "Nach
dem frechen Hintergehn durch Österreich unterhandle ich mit dieser Macht nicht
mehr, die Lehre war zu stark." Der Zar schenkt die Statue Kaiser Franz
Josephs, die bisher in seinem Arbeitszimmer gestanden hatte -- seinem Kammer¬
diener. Unauslöschlichen Haß aber sog Gortschakow in seine Seele. "Nie hat
er die Bitterkeit dieser Stunden vergessen, und in vollen Zügen genoß er die
Vergeltung, als er 1859 und 1866 Österreich seinem Schicksal überließ."

Das Bündnis mit den Westmächten war Buols letzter Erfolg, obgleich er
noch aus kurze Zeit die Politik seines Staates in seinem Sinne lenkte. Er
handelte gewiß konsequent, wenn er das Einverständnis mit den Westmünster
zu erhalten suchte, zu dem überdies die Stellung des Pariser Hofes nötigte.
Auf der einen Seite drohte Napoleon mit einem Bündnis Sardiniens, dessen
Fahnen an der Seite der französischen für Österreich nur feindliche Feldzeichen
sein konnten, auf der andern Seite ging er bereitwillig auf den Wunsch Öster¬
reichs ein, die Donaufürstentümer dauernd zu besitzen. Die Festigung des
italienischen Besitzes, der Besitz der Donaufürstentümer in Aussicht! Buol mußte
glauben, daß er sich in unaufhaltsamem Siegeszuge befände. Seine einzigen
Gegner waren in Wien; er suchte sie nun vollends stumm zu machen. Heß
hatte ihm stets entgegnet, der Bruch mit Rußland sei ein Abenteuer, wenn
Preußen und der Deutsche Bund nicht an Österreichs Seite aufmarschierten.
Deshalb beantragte er in Frankfurt die Mobilisierung der deutschen Bundes¬
truppen; das unwillige Preußen sollte durch den Bundesbeschluß überrannt
werden. Bismarcks Werk war es, daß am 8. Februar 1855 der Bundestag
den Antrag ablehnte und dadurch die Niederlage der Buolschen Kriegspolitik
besiegelte.


Ästerreich und der Krimkrieg

daß das Ringen zwischen den Ratgebern des Kaisers fortdauerte, und daß
die nächsten Maßregeln bald die eine, bald die andre Farbe trugen." Zwei
Wochen später schon zeigt sich ein Rückschlag. Am 2. Dezember, dem Glücks¬
tage der napoleoniden, schließt Österreich das Bündnis mit den Westmächten.
Das förmliche Ultimatum, das nach dem überraschenden Umschwung im No¬
vember auf Betreiben Napoleons ihm gestellt worden ist, macht es Österreich
unmöglich, auch nach einem Einlenken Rußlands aus der Sackgasse heraus¬
zukommen.

Wert und Wirkung des Bündnisses illustrieren am besten die Worte und
Handlungen der Zeitgenossen. Wenig Tage vor Abschluß des Bündnisses sagt
Palmerston zu Hübner: „Wir werden nun einen Allianzvertrag unterzeichnen.
Er wird ein totgebornes Kind sein. Wenn wir uns dazu hergeben, so geschieht es
gegen unsern Willen, und wir geben nur dem Drängen des Kaisers Napoleon
nach. Unter Allianz verstehe ich Ihre Beteiligung am Kriege. Nun aber werden
Sie nie gegen Nußland Krieg führen, und das einzige Resultat dieses Vertrages
wird eine Spannung zwischen Österreich und den Westmächten sein." Die Tat¬
sachen bestätigten Wort für Wort die Prophetie des Engländers. An den
Herzog von Koburg schreibt kurz darauf Friedrich Wilhelm der Vierte: „Nach
dem frechen Hintergehn durch Österreich unterhandle ich mit dieser Macht nicht
mehr, die Lehre war zu stark." Der Zar schenkt die Statue Kaiser Franz
Josephs, die bisher in seinem Arbeitszimmer gestanden hatte — seinem Kammer¬
diener. Unauslöschlichen Haß aber sog Gortschakow in seine Seele. „Nie hat
er die Bitterkeit dieser Stunden vergessen, und in vollen Zügen genoß er die
Vergeltung, als er 1859 und 1866 Österreich seinem Schicksal überließ."

Das Bündnis mit den Westmächten war Buols letzter Erfolg, obgleich er
noch aus kurze Zeit die Politik seines Staates in seinem Sinne lenkte. Er
handelte gewiß konsequent, wenn er das Einverständnis mit den Westmünster
zu erhalten suchte, zu dem überdies die Stellung des Pariser Hofes nötigte.
Auf der einen Seite drohte Napoleon mit einem Bündnis Sardiniens, dessen
Fahnen an der Seite der französischen für Österreich nur feindliche Feldzeichen
sein konnten, auf der andern Seite ging er bereitwillig auf den Wunsch Öster¬
reichs ein, die Donaufürstentümer dauernd zu besitzen. Die Festigung des
italienischen Besitzes, der Besitz der Donaufürstentümer in Aussicht! Buol mußte
glauben, daß er sich in unaufhaltsamem Siegeszuge befände. Seine einzigen
Gegner waren in Wien; er suchte sie nun vollends stumm zu machen. Heß
hatte ihm stets entgegnet, der Bruch mit Rußland sei ein Abenteuer, wenn
Preußen und der Deutsche Bund nicht an Österreichs Seite aufmarschierten.
Deshalb beantragte er in Frankfurt die Mobilisierung der deutschen Bundes¬
truppen; das unwillige Preußen sollte durch den Bundesbeschluß überrannt
werden. Bismarcks Werk war es, daß am 8. Februar 1855 der Bundestag
den Antrag ablehnte und dadurch die Niederlage der Buolschen Kriegspolitik
besiegelte.


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[0275] Ästerreich und der Krimkrieg daß das Ringen zwischen den Ratgebern des Kaisers fortdauerte, und daß die nächsten Maßregeln bald die eine, bald die andre Farbe trugen." Zwei Wochen später schon zeigt sich ein Rückschlag. Am 2. Dezember, dem Glücks¬ tage der napoleoniden, schließt Österreich das Bündnis mit den Westmächten. Das förmliche Ultimatum, das nach dem überraschenden Umschwung im No¬ vember auf Betreiben Napoleons ihm gestellt worden ist, macht es Österreich unmöglich, auch nach einem Einlenken Rußlands aus der Sackgasse heraus¬ zukommen. Wert und Wirkung des Bündnisses illustrieren am besten die Worte und Handlungen der Zeitgenossen. Wenig Tage vor Abschluß des Bündnisses sagt Palmerston zu Hübner: „Wir werden nun einen Allianzvertrag unterzeichnen. Er wird ein totgebornes Kind sein. Wenn wir uns dazu hergeben, so geschieht es gegen unsern Willen, und wir geben nur dem Drängen des Kaisers Napoleon nach. Unter Allianz verstehe ich Ihre Beteiligung am Kriege. Nun aber werden Sie nie gegen Nußland Krieg führen, und das einzige Resultat dieses Vertrages wird eine Spannung zwischen Österreich und den Westmächten sein." Die Tat¬ sachen bestätigten Wort für Wort die Prophetie des Engländers. An den Herzog von Koburg schreibt kurz darauf Friedrich Wilhelm der Vierte: „Nach dem frechen Hintergehn durch Österreich unterhandle ich mit dieser Macht nicht mehr, die Lehre war zu stark." Der Zar schenkt die Statue Kaiser Franz Josephs, die bisher in seinem Arbeitszimmer gestanden hatte — seinem Kammer¬ diener. Unauslöschlichen Haß aber sog Gortschakow in seine Seele. „Nie hat er die Bitterkeit dieser Stunden vergessen, und in vollen Zügen genoß er die Vergeltung, als er 1859 und 1866 Österreich seinem Schicksal überließ." Das Bündnis mit den Westmächten war Buols letzter Erfolg, obgleich er noch aus kurze Zeit die Politik seines Staates in seinem Sinne lenkte. Er handelte gewiß konsequent, wenn er das Einverständnis mit den Westmünster zu erhalten suchte, zu dem überdies die Stellung des Pariser Hofes nötigte. Auf der einen Seite drohte Napoleon mit einem Bündnis Sardiniens, dessen Fahnen an der Seite der französischen für Österreich nur feindliche Feldzeichen sein konnten, auf der andern Seite ging er bereitwillig auf den Wunsch Öster¬ reichs ein, die Donaufürstentümer dauernd zu besitzen. Die Festigung des italienischen Besitzes, der Besitz der Donaufürstentümer in Aussicht! Buol mußte glauben, daß er sich in unaufhaltsamem Siegeszuge befände. Seine einzigen Gegner waren in Wien; er suchte sie nun vollends stumm zu machen. Heß hatte ihm stets entgegnet, der Bruch mit Rußland sei ein Abenteuer, wenn Preußen und der Deutsche Bund nicht an Österreichs Seite aufmarschierten. Deshalb beantragte er in Frankfurt die Mobilisierung der deutschen Bundes¬ truppen; das unwillige Preußen sollte durch den Bundesbeschluß überrannt werden. Bismarcks Werk war es, daß am 8. Februar 1855 der Bundestag den Antrag ablehnte und dadurch die Niederlage der Buolschen Kriegspolitik besiegelte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/275>, abgerufen am 22.07.2024.