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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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(Österreich und der Urimkrieg

Seit dieser Abstimmung am Bundestage ist Buol gerichtet. Er bleibt zwar
in seiner Stellung, aber als bloße Dekoration. Die wichtigsten Akten werden
ihm vorenthalten. Franz Joseph macht jetzt selbst die Politik. Während die Ver¬
treter der Mächte auf dem am 15. März 1855 eröffneten Kongreß in Wien
zusammentreten, um die Herrschaft auf dem Schwarzen Meer zu regeln, finden
geheime Verhandlungen zwischen dem Kaiser und Drouyn de l'Huys statt;
folgenschwerer für die Zukunft als die ebenfalls ergebnislosen Beratungen des
Wiener Friedenskongresses. Franz Joseph läßt den Vorschlag Napoleons, dem
an einer raschen Beendigung des Krieges liegt, unter den Tisch fallen. Als
Drouyn de l'Huys ohne positive Ergebnisse zurückkehrt, findet er in Paris eine
völlig veränderte Situation vor. Napoleon und seine Gemahlin sind die Gäste
der Königin Viktoria gewesen -- und Lord Palmerston ist Premierminister
geworden. Mit einundsiebzig Jahren am Ziel seiner Wünsche dürstet er nach
Taten. Er gewinnt Napoleon für die Fortsetzung des Krieges. Die Abmachungen
der Wiener Friedenskonferenz werden für null und nichtig erklärt. Drouyn und
Lord Russel müssen den Abschied nehmen. Von dieser Zeit datiert die Ent¬
fremdung Frankreichs von Österreich, die 1859 zum Kriege führte.

Für den Moment aber ist Österreich geholfen. Was konnte es dafür, wenn
die Friedenspräliminarien, die Rußland anerkannte, an den übertriebnen Forde¬
rungen der Westmächte, die russische Kriegsflagge vom Schwarzen Meer weg¬
zufegen, scheiterten? Es erklärte sich zu der im Dezembervertrag in Aussicht
gestellten Hilfe nicht mehr verpflichtet. Aber das formelle Recht gilt wenig im
politischen Leben der Staaten; die Auffassung der Westmächte, nicht minder
einseitig als die österreichische, ging dahin, daß Österreich unter allen Umständen
zum Kriege verpflichtet sei. Gegen diesen aber sprach Österreichs Finanzlage.
"Gott erhalte die österreichische Armee, ich, der Finanzminister, kanns nicht mehr",
soll Brück, der nach der Niederlage Buols, seines intimsten Gegners, das Ressort
der Finanzen bekommen hatte, gesagt haben.

In Paris und London aber ist man sich jetzt klar: Fortsetzung des Krieges,
aber beim Friedensschluß darf auf Österreich keine Rücksicht genommen werden.
Nun erfolgt das große Ereignis: der Fall Sebastopols. Am 8. September 1855
erstürmen die Franzosen den Schlüssel der Festung, den Malakow, während die
Engländer am Redan zurückgeschlagen werden. Gloire umstrahlt die Krone
Napoleons, ihm ist Genüge getan. Der Friedenskongreß wird nach Paris
gerufen. Frankreich ist wieder der Eckstein der europäischen Politik, Napoleon
der großmütige Schiedsrichter. Auch England erlangt nicht sein Ziel: der
Friedensvertrag legt Rußland zwar namhafte Opfer auf, aber er trifft dank
der Haltung Napoleons nicht den Kern seiner Macht. Für Österreich aber
bedeutete der Pariser Vertrag eine vollständige Niederlage: die Donau¬
fürstentümer mußten geräumt werden (übrigens unter dem Bedauern der Be¬
völkerung, der die kurze österreichische Herrschaft geordnete Verhältnisse ge¬
bracht hatte).


(Österreich und der Urimkrieg

Seit dieser Abstimmung am Bundestage ist Buol gerichtet. Er bleibt zwar
in seiner Stellung, aber als bloße Dekoration. Die wichtigsten Akten werden
ihm vorenthalten. Franz Joseph macht jetzt selbst die Politik. Während die Ver¬
treter der Mächte auf dem am 15. März 1855 eröffneten Kongreß in Wien
zusammentreten, um die Herrschaft auf dem Schwarzen Meer zu regeln, finden
geheime Verhandlungen zwischen dem Kaiser und Drouyn de l'Huys statt;
folgenschwerer für die Zukunft als die ebenfalls ergebnislosen Beratungen des
Wiener Friedenskongresses. Franz Joseph läßt den Vorschlag Napoleons, dem
an einer raschen Beendigung des Krieges liegt, unter den Tisch fallen. Als
Drouyn de l'Huys ohne positive Ergebnisse zurückkehrt, findet er in Paris eine
völlig veränderte Situation vor. Napoleon und seine Gemahlin sind die Gäste
der Königin Viktoria gewesen — und Lord Palmerston ist Premierminister
geworden. Mit einundsiebzig Jahren am Ziel seiner Wünsche dürstet er nach
Taten. Er gewinnt Napoleon für die Fortsetzung des Krieges. Die Abmachungen
der Wiener Friedenskonferenz werden für null und nichtig erklärt. Drouyn und
Lord Russel müssen den Abschied nehmen. Von dieser Zeit datiert die Ent¬
fremdung Frankreichs von Österreich, die 1859 zum Kriege führte.

Für den Moment aber ist Österreich geholfen. Was konnte es dafür, wenn
die Friedenspräliminarien, die Rußland anerkannte, an den übertriebnen Forde¬
rungen der Westmächte, die russische Kriegsflagge vom Schwarzen Meer weg¬
zufegen, scheiterten? Es erklärte sich zu der im Dezembervertrag in Aussicht
gestellten Hilfe nicht mehr verpflichtet. Aber das formelle Recht gilt wenig im
politischen Leben der Staaten; die Auffassung der Westmächte, nicht minder
einseitig als die österreichische, ging dahin, daß Österreich unter allen Umständen
zum Kriege verpflichtet sei. Gegen diesen aber sprach Österreichs Finanzlage.
„Gott erhalte die österreichische Armee, ich, der Finanzminister, kanns nicht mehr",
soll Brück, der nach der Niederlage Buols, seines intimsten Gegners, das Ressort
der Finanzen bekommen hatte, gesagt haben.

In Paris und London aber ist man sich jetzt klar: Fortsetzung des Krieges,
aber beim Friedensschluß darf auf Österreich keine Rücksicht genommen werden.
Nun erfolgt das große Ereignis: der Fall Sebastopols. Am 8. September 1855
erstürmen die Franzosen den Schlüssel der Festung, den Malakow, während die
Engländer am Redan zurückgeschlagen werden. Gloire umstrahlt die Krone
Napoleons, ihm ist Genüge getan. Der Friedenskongreß wird nach Paris
gerufen. Frankreich ist wieder der Eckstein der europäischen Politik, Napoleon
der großmütige Schiedsrichter. Auch England erlangt nicht sein Ziel: der
Friedensvertrag legt Rußland zwar namhafte Opfer auf, aber er trifft dank
der Haltung Napoleons nicht den Kern seiner Macht. Für Österreich aber
bedeutete der Pariser Vertrag eine vollständige Niederlage: die Donau¬
fürstentümer mußten geräumt werden (übrigens unter dem Bedauern der Be¬
völkerung, der die kurze österreichische Herrschaft geordnete Verhältnisse ge¬
bracht hatte).


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/276>, abgerufen am 22.07.2024.