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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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(Österreich und der Urimkrieg

Donaufürstentümer am Ende nicht festhalten, so war für eine Seifenblase die
Frucht der diplomatischen Arbeit Metternichs und Schwarzenbergs dcchin-
gegebeu." Grollend stehen dieser Politik die Vertreter des alten Österreich
gegenüber: Radetzky, der seine Kontingente aus Venezien, der verwundbarsten
Stelle der habslmrgischen Monarchie, hergeben muß, und Metternich, der wie
1813 das Abwarten befürwortet hat.

Franz Joseph aber sah sich bitter enttäuscht, wenn er gehofft hatte, nach
diesem Erfolge durch Einstellung der Rüstungen die intimen Beziehungen zu
Rußland wiederherstellen zu können. Ebenso froh wie er über die Räumung
der Moldau und Walachei, waren die Westmächte, Österreich in den Streit um
das Schwarze Meer hineingezogen zu haben. Folgerichtig verlangten sie nun
den Beitritt Österreichs zum Kriegsbündnis. Statt einem Abschluß sieht man
sich neuen Verlegenheiten gegenüber.

Das "Schaukelspiel" der österreichischen Politik beginnt. Hübner in Paris
und Buol betreiben um so eifriger den Anschluß an die Westmächte, als Äuße¬
rungen Napoleons die Besorgnis erwecken, daß nach dem Kriege eine Ver¬
bindung Frankreichs mit Rußland auf Kosten Österreichs zustande kommt.
Alles scheint sich zu vereinigen, um Buol zu unterstützen. In der Hofburg ist
die ehrgeizige Mutter Franz Josephs, die Erzherzogin Sophie, eifrig für seine
Pläne tätig. Trotz des Widerstandes Vismarcks erklärt Preußen und der deutsche
Bundestag, daß auch die österreichischen Truppen in den Donaufürstentümern
unter dem Schutze des Bündnisses vom 20. April stehn. Die für die Orient¬
politik Österreichs so notwendige Rückendeckung ist dadurch gewonnen. Nach
den Erfolgen der Truppen der Westmächte ist auch der Kaiser für das Bündnis.
Immer mehr kommt man den Westmächten entgegen. Da sich der Rückzug der
Russen aus den Donaufürstentümern nur langsam vollzieht, ist es Buol inzwischen
gelungen, seinen Herrscher auch zur Annahme der sogenannten vier Punkte zu
bewegen, einer Abmachung, die durch Beschränkung der Zahl der russischen
Kriegsschiffe die Herrschaft Rußlands im Schwarzen Meer brechen und ihm
dadurch den Seeweg nach Konstantinopel verlegen wollte. Um den Zaren zu
ihrer Annahme und vor allem zum vollständigen Verzicht auf die Moldau
und Walachei zu bewegen, unterzeichnet Franz Joseph am 22. Oktober die
Mobilisierung der gesamten Armee, nachdem schon vorher Heß zu seinem großen
Unwillen die Instruktion erhalten hat, den Türken nichts in den Weg zu legen,
wenn sie gegen Bessarabien zum Angriffe vorgehn wollten.

Ob aber nach dieser vielversprechenden Annäherung an die Westmächte
der Krieg wirklich eintrat, hing auch jetzt noch von der Entscheidung des Kaisers
ab. Mit verdoppeltem Eifer arbeitet die Friedenspartei der Generale der Kriegs¬
partei der Minister entgegen; mit Erfolg. In den Ministerkonferenzen vom
17. und 19. November wird der Mobilisierungsbefehl zurückgenommen. Damit
ist noch nicht die von Buol befolgte antirussische Politik verlassen; das Bündnis
mit den Westmünster bleibt in Schwebe. "Und darin lag überhaupt das Mißliche,


(Österreich und der Urimkrieg

Donaufürstentümer am Ende nicht festhalten, so war für eine Seifenblase die
Frucht der diplomatischen Arbeit Metternichs und Schwarzenbergs dcchin-
gegebeu." Grollend stehen dieser Politik die Vertreter des alten Österreich
gegenüber: Radetzky, der seine Kontingente aus Venezien, der verwundbarsten
Stelle der habslmrgischen Monarchie, hergeben muß, und Metternich, der wie
1813 das Abwarten befürwortet hat.

Franz Joseph aber sah sich bitter enttäuscht, wenn er gehofft hatte, nach
diesem Erfolge durch Einstellung der Rüstungen die intimen Beziehungen zu
Rußland wiederherstellen zu können. Ebenso froh wie er über die Räumung
der Moldau und Walachei, waren die Westmächte, Österreich in den Streit um
das Schwarze Meer hineingezogen zu haben. Folgerichtig verlangten sie nun
den Beitritt Österreichs zum Kriegsbündnis. Statt einem Abschluß sieht man
sich neuen Verlegenheiten gegenüber.

Das „Schaukelspiel" der österreichischen Politik beginnt. Hübner in Paris
und Buol betreiben um so eifriger den Anschluß an die Westmächte, als Äuße¬
rungen Napoleons die Besorgnis erwecken, daß nach dem Kriege eine Ver¬
bindung Frankreichs mit Rußland auf Kosten Österreichs zustande kommt.
Alles scheint sich zu vereinigen, um Buol zu unterstützen. In der Hofburg ist
die ehrgeizige Mutter Franz Josephs, die Erzherzogin Sophie, eifrig für seine
Pläne tätig. Trotz des Widerstandes Vismarcks erklärt Preußen und der deutsche
Bundestag, daß auch die österreichischen Truppen in den Donaufürstentümern
unter dem Schutze des Bündnisses vom 20. April stehn. Die für die Orient¬
politik Österreichs so notwendige Rückendeckung ist dadurch gewonnen. Nach
den Erfolgen der Truppen der Westmächte ist auch der Kaiser für das Bündnis.
Immer mehr kommt man den Westmächten entgegen. Da sich der Rückzug der
Russen aus den Donaufürstentümern nur langsam vollzieht, ist es Buol inzwischen
gelungen, seinen Herrscher auch zur Annahme der sogenannten vier Punkte zu
bewegen, einer Abmachung, die durch Beschränkung der Zahl der russischen
Kriegsschiffe die Herrschaft Rußlands im Schwarzen Meer brechen und ihm
dadurch den Seeweg nach Konstantinopel verlegen wollte. Um den Zaren zu
ihrer Annahme und vor allem zum vollständigen Verzicht auf die Moldau
und Walachei zu bewegen, unterzeichnet Franz Joseph am 22. Oktober die
Mobilisierung der gesamten Armee, nachdem schon vorher Heß zu seinem großen
Unwillen die Instruktion erhalten hat, den Türken nichts in den Weg zu legen,
wenn sie gegen Bessarabien zum Angriffe vorgehn wollten.

Ob aber nach dieser vielversprechenden Annäherung an die Westmächte
der Krieg wirklich eintrat, hing auch jetzt noch von der Entscheidung des Kaisers
ab. Mit verdoppeltem Eifer arbeitet die Friedenspartei der Generale der Kriegs¬
partei der Minister entgegen; mit Erfolg. In den Ministerkonferenzen vom
17. und 19. November wird der Mobilisierungsbefehl zurückgenommen. Damit
ist noch nicht die von Buol befolgte antirussische Politik verlassen; das Bündnis
mit den Westmünster bleibt in Schwebe. „Und darin lag überhaupt das Mißliche,


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[0274] (Österreich und der Urimkrieg Donaufürstentümer am Ende nicht festhalten, so war für eine Seifenblase die Frucht der diplomatischen Arbeit Metternichs und Schwarzenbergs dcchin- gegebeu." Grollend stehen dieser Politik die Vertreter des alten Österreich gegenüber: Radetzky, der seine Kontingente aus Venezien, der verwundbarsten Stelle der habslmrgischen Monarchie, hergeben muß, und Metternich, der wie 1813 das Abwarten befürwortet hat. Franz Joseph aber sah sich bitter enttäuscht, wenn er gehofft hatte, nach diesem Erfolge durch Einstellung der Rüstungen die intimen Beziehungen zu Rußland wiederherstellen zu können. Ebenso froh wie er über die Räumung der Moldau und Walachei, waren die Westmächte, Österreich in den Streit um das Schwarze Meer hineingezogen zu haben. Folgerichtig verlangten sie nun den Beitritt Österreichs zum Kriegsbündnis. Statt einem Abschluß sieht man sich neuen Verlegenheiten gegenüber. Das „Schaukelspiel" der österreichischen Politik beginnt. Hübner in Paris und Buol betreiben um so eifriger den Anschluß an die Westmächte, als Äuße¬ rungen Napoleons die Besorgnis erwecken, daß nach dem Kriege eine Ver¬ bindung Frankreichs mit Rußland auf Kosten Österreichs zustande kommt. Alles scheint sich zu vereinigen, um Buol zu unterstützen. In der Hofburg ist die ehrgeizige Mutter Franz Josephs, die Erzherzogin Sophie, eifrig für seine Pläne tätig. Trotz des Widerstandes Vismarcks erklärt Preußen und der deutsche Bundestag, daß auch die österreichischen Truppen in den Donaufürstentümern unter dem Schutze des Bündnisses vom 20. April stehn. Die für die Orient¬ politik Österreichs so notwendige Rückendeckung ist dadurch gewonnen. Nach den Erfolgen der Truppen der Westmächte ist auch der Kaiser für das Bündnis. Immer mehr kommt man den Westmächten entgegen. Da sich der Rückzug der Russen aus den Donaufürstentümern nur langsam vollzieht, ist es Buol inzwischen gelungen, seinen Herrscher auch zur Annahme der sogenannten vier Punkte zu bewegen, einer Abmachung, die durch Beschränkung der Zahl der russischen Kriegsschiffe die Herrschaft Rußlands im Schwarzen Meer brechen und ihm dadurch den Seeweg nach Konstantinopel verlegen wollte. Um den Zaren zu ihrer Annahme und vor allem zum vollständigen Verzicht auf die Moldau und Walachei zu bewegen, unterzeichnet Franz Joseph am 22. Oktober die Mobilisierung der gesamten Armee, nachdem schon vorher Heß zu seinem großen Unwillen die Instruktion erhalten hat, den Türken nichts in den Weg zu legen, wenn sie gegen Bessarabien zum Angriffe vorgehn wollten. Ob aber nach dieser vielversprechenden Annäherung an die Westmächte der Krieg wirklich eintrat, hing auch jetzt noch von der Entscheidung des Kaisers ab. Mit verdoppeltem Eifer arbeitet die Friedenspartei der Generale der Kriegs¬ partei der Minister entgegen; mit Erfolg. In den Ministerkonferenzen vom 17. und 19. November wird der Mobilisierungsbefehl zurückgenommen. Damit ist noch nicht die von Buol befolgte antirussische Politik verlassen; das Bündnis mit den Westmünster bleibt in Schwebe. „Und darin lag überhaupt das Mißliche,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/274>, abgerufen am 22.07.2024.