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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die neue Armada -- gegen Japan

Bedeutung des Entschlusses zu erhöhen. Bald genug mußte man ihn zugeben.
Und nun suchte man nach einem plausibeln Erklärungsgrund. Der Präsident
selbst betonte, daß die Reise nur Manöverzwecken dienen solle; die Flotte mache
nicht genug Reisen aufweite Entfernungen, um so recht auszufinden, was ihr
fehle. Sie bedürfe der Zeit und der Gelegenheit zu eingehenden Manövern.
Offiziere und Mannschaft müßten sich aneinander gewöhnen; die Besatzungen
müßten besser mit ihrem Schiff vertraut werden. Das Recht, die Flotte zu
Manöverzwecken von einer Küste an die andre zu verlegen, könnte den Vereinigten
Staaten nicht streitig gemacht werden (sicherlich nicht, es geschah auch nicht),
andre Mächte täten dasselbe. Was der Präsident hier berührte, das machten
Kritiker von außerhalb der Verwaltung mit noch viel größerer Schärfe geltend.
Auch andre Dinge tadelte man bitter. Über Panzerplatten, Geschütze und Ge¬
schossewaren oft Klagen laut geworden; sie seien mangelhaft, geradezu betrügerisch
geliefert, und durch Bestechung der Kontrollbeamten sei ihre Abnahme bewirkt
worden. Mit den Besatzungen sei es mißlich bestellt. Amerikaner könne man nur in
unzureichender Zahl erlangen, da sie lieber auf dem Lande blieben und dort weit
mehr Geld verdienten. Man müsse sich mit Negern und Fremden behelfen; die
Fremden seien die besten Elemente eben auch nicht, da diese im Heimatlande zu
bleiben pflegen. Infolgedessen habe man einen beunruhigend hohen Prozentsatz
von Desertationen. Die Manöver seien so unzureichend, daß sogar die Offiziere
nicht gehörig herangebildet würden, vielmehr allzulange am Lande blieben und
daher an nautischen Erfahrungen zurückstünden.

An allen diesen Bemängelungen ist manches wahr. Sie sind dem Präsidenten
auch wohl eben nicht ungelegen gekommen. Er bemüht sich ja seit lange, die
Augen seines Volks mehr auf die Notwendigkeit einer bessern Pflege der
Marine zu lenken. Sie treffen auch mit den Vorwänden zusammen, die er der
Flottenverlegung gibt. Es ist nun weiterhin sehr aufgefallen, daß die Flotte
ihre Reise mit so wenig Gepränge und Posaunenschall vollzieht. Am 15. De¬
zember hat das Gros den Kriegshafen von Newport News am Südeingange
der Chesapeakebai verlassen. Einen Monat später ist es in Rio de Janeiro
angekommen. In der Zwischenzeit ist es nur in dem englischen Hafen Port of
Spain in Trinidad eingelaufen, um Kohlen einzunehmen. Von unterwegs sind
keine Meldungen eingetroffen, daß die Flotte gesichtet sei. Man nimmt an, daß
der Geschwaderchef Admiral Evans absichtlich seitwärts ausgewichen sei, um nicht
in dem gewöhnlichen Kurse der Handelsdampfer zu fahren und daher unbeobachtet
seine Evolutionen und Übungen machen zu können. Dabei mag die Kohlen¬
übernahme eine Rolle gespielt haben. Erst beinahe zwei Wochen später hat die
Flotte Rio de Janeiro wieder verlassen.

Alle diese Dinge sind sehr beherzigenswert, sie erklären aber die Verlegung
der ganzen Flotte aus den atlantischen Gewässern nach den pazifischen nicht.
Der ganzen Flotte -- das ist nahezu buchstäblich richtig. Zwei Panzerkreuzer,
die beiden neusten und besten, verließen schon am 12. Oktober als Aufklärungs-


Die neue Armada — gegen Japan

Bedeutung des Entschlusses zu erhöhen. Bald genug mußte man ihn zugeben.
Und nun suchte man nach einem plausibeln Erklärungsgrund. Der Präsident
selbst betonte, daß die Reise nur Manöverzwecken dienen solle; die Flotte mache
nicht genug Reisen aufweite Entfernungen, um so recht auszufinden, was ihr
fehle. Sie bedürfe der Zeit und der Gelegenheit zu eingehenden Manövern.
Offiziere und Mannschaft müßten sich aneinander gewöhnen; die Besatzungen
müßten besser mit ihrem Schiff vertraut werden. Das Recht, die Flotte zu
Manöverzwecken von einer Küste an die andre zu verlegen, könnte den Vereinigten
Staaten nicht streitig gemacht werden (sicherlich nicht, es geschah auch nicht),
andre Mächte täten dasselbe. Was der Präsident hier berührte, das machten
Kritiker von außerhalb der Verwaltung mit noch viel größerer Schärfe geltend.
Auch andre Dinge tadelte man bitter. Über Panzerplatten, Geschütze und Ge¬
schossewaren oft Klagen laut geworden; sie seien mangelhaft, geradezu betrügerisch
geliefert, und durch Bestechung der Kontrollbeamten sei ihre Abnahme bewirkt
worden. Mit den Besatzungen sei es mißlich bestellt. Amerikaner könne man nur in
unzureichender Zahl erlangen, da sie lieber auf dem Lande blieben und dort weit
mehr Geld verdienten. Man müsse sich mit Negern und Fremden behelfen; die
Fremden seien die besten Elemente eben auch nicht, da diese im Heimatlande zu
bleiben pflegen. Infolgedessen habe man einen beunruhigend hohen Prozentsatz
von Desertationen. Die Manöver seien so unzureichend, daß sogar die Offiziere
nicht gehörig herangebildet würden, vielmehr allzulange am Lande blieben und
daher an nautischen Erfahrungen zurückstünden.

An allen diesen Bemängelungen ist manches wahr. Sie sind dem Präsidenten
auch wohl eben nicht ungelegen gekommen. Er bemüht sich ja seit lange, die
Augen seines Volks mehr auf die Notwendigkeit einer bessern Pflege der
Marine zu lenken. Sie treffen auch mit den Vorwänden zusammen, die er der
Flottenverlegung gibt. Es ist nun weiterhin sehr aufgefallen, daß die Flotte
ihre Reise mit so wenig Gepränge und Posaunenschall vollzieht. Am 15. De¬
zember hat das Gros den Kriegshafen von Newport News am Südeingange
der Chesapeakebai verlassen. Einen Monat später ist es in Rio de Janeiro
angekommen. In der Zwischenzeit ist es nur in dem englischen Hafen Port of
Spain in Trinidad eingelaufen, um Kohlen einzunehmen. Von unterwegs sind
keine Meldungen eingetroffen, daß die Flotte gesichtet sei. Man nimmt an, daß
der Geschwaderchef Admiral Evans absichtlich seitwärts ausgewichen sei, um nicht
in dem gewöhnlichen Kurse der Handelsdampfer zu fahren und daher unbeobachtet
seine Evolutionen und Übungen machen zu können. Dabei mag die Kohlen¬
übernahme eine Rolle gespielt haben. Erst beinahe zwei Wochen später hat die
Flotte Rio de Janeiro wieder verlassen.

Alle diese Dinge sind sehr beherzigenswert, sie erklären aber die Verlegung
der ganzen Flotte aus den atlantischen Gewässern nach den pazifischen nicht.
Der ganzen Flotte — das ist nahezu buchstäblich richtig. Zwei Panzerkreuzer,
die beiden neusten und besten, verließen schon am 12. Oktober als Aufklärungs-


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[0268] Die neue Armada — gegen Japan Bedeutung des Entschlusses zu erhöhen. Bald genug mußte man ihn zugeben. Und nun suchte man nach einem plausibeln Erklärungsgrund. Der Präsident selbst betonte, daß die Reise nur Manöverzwecken dienen solle; die Flotte mache nicht genug Reisen aufweite Entfernungen, um so recht auszufinden, was ihr fehle. Sie bedürfe der Zeit und der Gelegenheit zu eingehenden Manövern. Offiziere und Mannschaft müßten sich aneinander gewöhnen; die Besatzungen müßten besser mit ihrem Schiff vertraut werden. Das Recht, die Flotte zu Manöverzwecken von einer Küste an die andre zu verlegen, könnte den Vereinigten Staaten nicht streitig gemacht werden (sicherlich nicht, es geschah auch nicht), andre Mächte täten dasselbe. Was der Präsident hier berührte, das machten Kritiker von außerhalb der Verwaltung mit noch viel größerer Schärfe geltend. Auch andre Dinge tadelte man bitter. Über Panzerplatten, Geschütze und Ge¬ schossewaren oft Klagen laut geworden; sie seien mangelhaft, geradezu betrügerisch geliefert, und durch Bestechung der Kontrollbeamten sei ihre Abnahme bewirkt worden. Mit den Besatzungen sei es mißlich bestellt. Amerikaner könne man nur in unzureichender Zahl erlangen, da sie lieber auf dem Lande blieben und dort weit mehr Geld verdienten. Man müsse sich mit Negern und Fremden behelfen; die Fremden seien die besten Elemente eben auch nicht, da diese im Heimatlande zu bleiben pflegen. Infolgedessen habe man einen beunruhigend hohen Prozentsatz von Desertationen. Die Manöver seien so unzureichend, daß sogar die Offiziere nicht gehörig herangebildet würden, vielmehr allzulange am Lande blieben und daher an nautischen Erfahrungen zurückstünden. An allen diesen Bemängelungen ist manches wahr. Sie sind dem Präsidenten auch wohl eben nicht ungelegen gekommen. Er bemüht sich ja seit lange, die Augen seines Volks mehr auf die Notwendigkeit einer bessern Pflege der Marine zu lenken. Sie treffen auch mit den Vorwänden zusammen, die er der Flottenverlegung gibt. Es ist nun weiterhin sehr aufgefallen, daß die Flotte ihre Reise mit so wenig Gepränge und Posaunenschall vollzieht. Am 15. De¬ zember hat das Gros den Kriegshafen von Newport News am Südeingange der Chesapeakebai verlassen. Einen Monat später ist es in Rio de Janeiro angekommen. In der Zwischenzeit ist es nur in dem englischen Hafen Port of Spain in Trinidad eingelaufen, um Kohlen einzunehmen. Von unterwegs sind keine Meldungen eingetroffen, daß die Flotte gesichtet sei. Man nimmt an, daß der Geschwaderchef Admiral Evans absichtlich seitwärts ausgewichen sei, um nicht in dem gewöhnlichen Kurse der Handelsdampfer zu fahren und daher unbeobachtet seine Evolutionen und Übungen machen zu können. Dabei mag die Kohlen¬ übernahme eine Rolle gespielt haben. Erst beinahe zwei Wochen später hat die Flotte Rio de Janeiro wieder verlassen. Alle diese Dinge sind sehr beherzigenswert, sie erklären aber die Verlegung der ganzen Flotte aus den atlantischen Gewässern nach den pazifischen nicht. Der ganzen Flotte — das ist nahezu buchstäblich richtig. Zwei Panzerkreuzer, die beiden neusten und besten, verließen schon am 12. Oktober als Aufklärungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/268>, abgerufen am 04.07.2024.