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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die neue Armada -- gegen Japan

müssen. Japan hat nur einen einzigen Grund, den Gegensatz einer beschleunigten
Abwicklung entgegenzuführen. Das wäre die steigende Macht der amerikanischen
Flotte und vollends die Vollendung des Panamakanals. Die Amerikaner werfen
sich mit der ihnen eignen Energie auf die Vervollständigung ihrer Seerüstung.
Jedes Jahr fügt ihrer Flotte rund das Doppelte hinzu von dem, was die Japaner
schaffen können. Und wenn der Panamakanal eröffnet wird, haben sie den großen
Borten, ihre ganze schwimmende Kriegsmacht in wenigen Tagen aus einem Ozean
in den andern verlegen zu können. Demgegenüber müssen sich die Japaner sagen,
daß sie noch entfernt nicht die wirtschaftlichen und finanziellen Kräfte haben,
einen Kampf mit dem nordamerikanischen Riesen aufzunehmen. Gegen Rußland
konnten sie Geld in England leihen. In einem Kampfe Japans gegen die
Vereinigten Staaten wird sich der englische Geldmarkt vermutlich neutral Ver¬
halten, teils um nicht den Amerikanern Grund zur Klage zu geben, teils auch
um nicht Hunderte von Millionen auf eine unsichere Karte zu setzen.

Trotz alledem traut die Regierung zu Washington dem Handel nicht. Als
der Gegensatz zwischen Japan und Kalifornien nicht gleich zu regeln war, als
man einsehen mußte, daß man es mit einer zähen Materie zu tun habe, entschloß
man sich auch sofort, ernstere Borkehrungen zu treffen. Was hatte man denn
im sullen Ozean an Streitkräften, um mit einem gewissen Gewicht aufzutreten,
um nötigenfalls auch die Küsten zu schützen? Nur drei Panzerlinienschiffe waren
dort: Oregon (gebaut 1893), Wisconsin (1898) und Nebraska (1904). Von
diesen kann nur das letzte, ein Schiff von 16357 Tonnen, dem ersten Rang
zugezählt werden. Ferner verfügte man dort über dreizehn Kreuzer, nämlich vier
Panzerkreuzer, zwei Kreuzer erster Klasse, einen zweiter und sechs dritter Klasse.
Aber diese sehr bescheidne Macht konnte man auch noch nicht einmal an der
eignen Küste konzentrieren. Einige Kreuzer waren in den Philippinen unent¬
behrlich, andre vor der chinesischen Küste. Demgegenüber besitzt Japan, das alle
seine Schiffe bei Hause halten kann, nach dem Nauticus Ende Mai folgende
Seemacht: zwölf Panzerlinienschiffe fertig und vier im Bau; unter den Panzer¬
linienschiffen sind sechs ehemalige russische. Nur eins ist älter als 1894. Ferner
zwei Panzerküstenschiffe, zehn fertige Panzerkreuzer (darunter einen ehemals
russischen) und fünf im Bau; zwei große und dreizehn kleine geschützte Kreuzer
(außerdem einen im Bau); vier kleine Kreuzer und ein Kanonenboot. Endlich
55 größere und einige kleinere Torpedoboote.

Das ist eine sehr ansehnliche Macht, bei der die Regierung zu Washington
Wohl der Gedanke an den Rat Oliver Cromwells beschlichen haben mag: Ver¬
trauet auf Gott und haltet euer Pulver trocken. Man mußte doch auch mit der
Möglichkeit rechnen, daß man sich in Japan irre. Und nun faßte Präsident
Roosevelt den heroischen Entschluß, die ganze amerikanische Seemacht mit Aus¬
nahme geringer Überbleibsel aus dem Atlantischen in den Stillen Ozean zu
verlegen. Die Sache wurde durch einen Vertrauensbruch schon sehr frühzeitig
bekannt und anfänglich verlegen in Abrede gestellt. Das war nur geeignet, die


Die neue Armada — gegen Japan

müssen. Japan hat nur einen einzigen Grund, den Gegensatz einer beschleunigten
Abwicklung entgegenzuführen. Das wäre die steigende Macht der amerikanischen
Flotte und vollends die Vollendung des Panamakanals. Die Amerikaner werfen
sich mit der ihnen eignen Energie auf die Vervollständigung ihrer Seerüstung.
Jedes Jahr fügt ihrer Flotte rund das Doppelte hinzu von dem, was die Japaner
schaffen können. Und wenn der Panamakanal eröffnet wird, haben sie den großen
Borten, ihre ganze schwimmende Kriegsmacht in wenigen Tagen aus einem Ozean
in den andern verlegen zu können. Demgegenüber müssen sich die Japaner sagen,
daß sie noch entfernt nicht die wirtschaftlichen und finanziellen Kräfte haben,
einen Kampf mit dem nordamerikanischen Riesen aufzunehmen. Gegen Rußland
konnten sie Geld in England leihen. In einem Kampfe Japans gegen die
Vereinigten Staaten wird sich der englische Geldmarkt vermutlich neutral Ver¬
halten, teils um nicht den Amerikanern Grund zur Klage zu geben, teils auch
um nicht Hunderte von Millionen auf eine unsichere Karte zu setzen.

Trotz alledem traut die Regierung zu Washington dem Handel nicht. Als
der Gegensatz zwischen Japan und Kalifornien nicht gleich zu regeln war, als
man einsehen mußte, daß man es mit einer zähen Materie zu tun habe, entschloß
man sich auch sofort, ernstere Borkehrungen zu treffen. Was hatte man denn
im sullen Ozean an Streitkräften, um mit einem gewissen Gewicht aufzutreten,
um nötigenfalls auch die Küsten zu schützen? Nur drei Panzerlinienschiffe waren
dort: Oregon (gebaut 1893), Wisconsin (1898) und Nebraska (1904). Von
diesen kann nur das letzte, ein Schiff von 16357 Tonnen, dem ersten Rang
zugezählt werden. Ferner verfügte man dort über dreizehn Kreuzer, nämlich vier
Panzerkreuzer, zwei Kreuzer erster Klasse, einen zweiter und sechs dritter Klasse.
Aber diese sehr bescheidne Macht konnte man auch noch nicht einmal an der
eignen Küste konzentrieren. Einige Kreuzer waren in den Philippinen unent¬
behrlich, andre vor der chinesischen Küste. Demgegenüber besitzt Japan, das alle
seine Schiffe bei Hause halten kann, nach dem Nauticus Ende Mai folgende
Seemacht: zwölf Panzerlinienschiffe fertig und vier im Bau; unter den Panzer¬
linienschiffen sind sechs ehemalige russische. Nur eins ist älter als 1894. Ferner
zwei Panzerküstenschiffe, zehn fertige Panzerkreuzer (darunter einen ehemals
russischen) und fünf im Bau; zwei große und dreizehn kleine geschützte Kreuzer
(außerdem einen im Bau); vier kleine Kreuzer und ein Kanonenboot. Endlich
55 größere und einige kleinere Torpedoboote.

Das ist eine sehr ansehnliche Macht, bei der die Regierung zu Washington
Wohl der Gedanke an den Rat Oliver Cromwells beschlichen haben mag: Ver¬
trauet auf Gott und haltet euer Pulver trocken. Man mußte doch auch mit der
Möglichkeit rechnen, daß man sich in Japan irre. Und nun faßte Präsident
Roosevelt den heroischen Entschluß, die ganze amerikanische Seemacht mit Aus¬
nahme geringer Überbleibsel aus dem Atlantischen in den Stillen Ozean zu
verlegen. Die Sache wurde durch einen Vertrauensbruch schon sehr frühzeitig
bekannt und anfänglich verlegen in Abrede gestellt. Das war nur geeignet, die


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[0267] Die neue Armada — gegen Japan müssen. Japan hat nur einen einzigen Grund, den Gegensatz einer beschleunigten Abwicklung entgegenzuführen. Das wäre die steigende Macht der amerikanischen Flotte und vollends die Vollendung des Panamakanals. Die Amerikaner werfen sich mit der ihnen eignen Energie auf die Vervollständigung ihrer Seerüstung. Jedes Jahr fügt ihrer Flotte rund das Doppelte hinzu von dem, was die Japaner schaffen können. Und wenn der Panamakanal eröffnet wird, haben sie den großen Borten, ihre ganze schwimmende Kriegsmacht in wenigen Tagen aus einem Ozean in den andern verlegen zu können. Demgegenüber müssen sich die Japaner sagen, daß sie noch entfernt nicht die wirtschaftlichen und finanziellen Kräfte haben, einen Kampf mit dem nordamerikanischen Riesen aufzunehmen. Gegen Rußland konnten sie Geld in England leihen. In einem Kampfe Japans gegen die Vereinigten Staaten wird sich der englische Geldmarkt vermutlich neutral Ver¬ halten, teils um nicht den Amerikanern Grund zur Klage zu geben, teils auch um nicht Hunderte von Millionen auf eine unsichere Karte zu setzen. Trotz alledem traut die Regierung zu Washington dem Handel nicht. Als der Gegensatz zwischen Japan und Kalifornien nicht gleich zu regeln war, als man einsehen mußte, daß man es mit einer zähen Materie zu tun habe, entschloß man sich auch sofort, ernstere Borkehrungen zu treffen. Was hatte man denn im sullen Ozean an Streitkräften, um mit einem gewissen Gewicht aufzutreten, um nötigenfalls auch die Küsten zu schützen? Nur drei Panzerlinienschiffe waren dort: Oregon (gebaut 1893), Wisconsin (1898) und Nebraska (1904). Von diesen kann nur das letzte, ein Schiff von 16357 Tonnen, dem ersten Rang zugezählt werden. Ferner verfügte man dort über dreizehn Kreuzer, nämlich vier Panzerkreuzer, zwei Kreuzer erster Klasse, einen zweiter und sechs dritter Klasse. Aber diese sehr bescheidne Macht konnte man auch noch nicht einmal an der eignen Küste konzentrieren. Einige Kreuzer waren in den Philippinen unent¬ behrlich, andre vor der chinesischen Küste. Demgegenüber besitzt Japan, das alle seine Schiffe bei Hause halten kann, nach dem Nauticus Ende Mai folgende Seemacht: zwölf Panzerlinienschiffe fertig und vier im Bau; unter den Panzer¬ linienschiffen sind sechs ehemalige russische. Nur eins ist älter als 1894. Ferner zwei Panzerküstenschiffe, zehn fertige Panzerkreuzer (darunter einen ehemals russischen) und fünf im Bau; zwei große und dreizehn kleine geschützte Kreuzer (außerdem einen im Bau); vier kleine Kreuzer und ein Kanonenboot. Endlich 55 größere und einige kleinere Torpedoboote. Das ist eine sehr ansehnliche Macht, bei der die Regierung zu Washington Wohl der Gedanke an den Rat Oliver Cromwells beschlichen haben mag: Ver¬ trauet auf Gott und haltet euer Pulver trocken. Man mußte doch auch mit der Möglichkeit rechnen, daß man sich in Japan irre. Und nun faßte Präsident Roosevelt den heroischen Entschluß, die ganze amerikanische Seemacht mit Aus¬ nahme geringer Überbleibsel aus dem Atlantischen in den Stillen Ozean zu verlegen. Die Sache wurde durch einen Vertrauensbruch schon sehr frühzeitig bekannt und anfänglich verlegen in Abrede gestellt. Das war nur geeignet, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/267>, abgerufen am 02.07.2024.