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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Internationale Wirtschaftspolitik

unsre Nachkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert zwar allstündlich ihre
Hemden wechseln, allwöchentlich einen neuen Anzug anschaffen, ihre Wohnungen
mit trio^-brae vollstopfen, für hundert Mark eine ganze Gemäldegalerie kaufen
oder eine Luftfahrt um die Erde machen können, aber weder Brot noch Fleisch
mehr haben und darum freilich auch auf die vorgenannten Genüsse verzichten
müssen, denn der allgemeine Hungertod würde der Herstellung wie dem Ver¬
brauch der Jndustriewaren und der Beförderungsmittel ein Ende machen.

Im letzten Abschnitt, der den Internationalismus, also die Abschlußstufe
und das wahrscheinliche Ziel der wirtschaftlichen wie der politischen Entwicklung
darstellt, werden die privaten und die offiziellen Akte internationaler Ver¬
ständigung behandelt. Unter anderm die mancherlei wissenschaftlichen Verein¬
barungen wie die internationalen Kongresse für Astronomie, Geologie, Geodäsie,
Tubcrkulosebehandlung, Hygiene und Demographie, Jrrenfürsorge, gewerbliche
Berufskrankheiten, Versicherungswissenschaft, das Internationale Institut für
Statistik, das institut als etroit intörrmtionÄl, die Internationale Vereinigung
für vergleichende Rechtswissenschaft. Unmittelbar in die Praxis greift schon ein
der Internationale Verband für Vereinbarung einheitlicher Prüfungsmcthodeu
von Bau- und Konstruktionsmaterialien. Auch die Internationale kriminalistische
Vereinigung wird nicht auf theoretische Erörterungen beschränkt bleiben, sondern
die Rechtspflege aller Kulturstaaten kräftig beeinflussen. Ganz neue Perspektiven
eröffnet der deutsch-amerikanische Professorenaustausch. Von vornherein wissen¬
schaftlich und praktisch zugleich gedacht sind Einrichtungen wie das Internationale
landwirtschaftliche Institut in Rom, das dem Verfasser zu einer hübschen Be¬
trachtung Anlaß gibt über den verschiednen Klang, der das Wort "international"
in den Ohren gewisser maßgebender Personen hat, je nachdem es sich aus ein
Unternehmen der einen oder der audern Bevölkerungsschicht bezieht. Wenn die
grüne Internationale über die Mittel zur Hebung des Getreidepreises (was
andre Leute wieder Brotwucher nennen) berät, so handelt sie nicht bloß inter¬
national, sondern höchst patriotisch zum Nutzen der eignen Nation. Verein¬
barungen der goldnen Internationale gelten allermindestens für verdächtig und
ihre Teilnehmer für vaterlandslvs; die der roten Internationale aber sind
entschieden antinational und bedeuten Vaterlandsverrat. (Auch die schwarze ist
bekanntlich schlecht genug angeschrieben, doch berühren deren Operationen das
Wirtschaftsleben nur wenig, unmittelbar keinesfalls.)

Interessant ist der Umstand, den Kobatsch hervorhebt, daß die zu allererst
und vorzugsweise so genannte Internationale, die im Jahre 1864 zu London
von den Häuptern der Sozialisten und Anarchisten gegründet wurde, verschwunden
ist, ohne irgendwelche Wirkungen hinterlassen zu haben, sich als ein ganz un¬
fruchtbares Unternehmen erwiesen hat. Ferner sind zu nennen der Handels¬
vertragsverein und der Mitteleuropäische Wirtschaftsverein. Private und amtliche
Tätigkeit haben zusammengewirkt, die internationalen Ausstellungen ins Leben
zu rufen und durch internationale Beratungen die Sozialpolitik zu fördern.
Zu der Einwendung gegen Vereinbarungen auf diesem Gebiete, daß jede Nation


Internationale Wirtschaftspolitik

unsre Nachkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert zwar allstündlich ihre
Hemden wechseln, allwöchentlich einen neuen Anzug anschaffen, ihre Wohnungen
mit trio^-brae vollstopfen, für hundert Mark eine ganze Gemäldegalerie kaufen
oder eine Luftfahrt um die Erde machen können, aber weder Brot noch Fleisch
mehr haben und darum freilich auch auf die vorgenannten Genüsse verzichten
müssen, denn der allgemeine Hungertod würde der Herstellung wie dem Ver¬
brauch der Jndustriewaren und der Beförderungsmittel ein Ende machen.

Im letzten Abschnitt, der den Internationalismus, also die Abschlußstufe
und das wahrscheinliche Ziel der wirtschaftlichen wie der politischen Entwicklung
darstellt, werden die privaten und die offiziellen Akte internationaler Ver¬
ständigung behandelt. Unter anderm die mancherlei wissenschaftlichen Verein¬
barungen wie die internationalen Kongresse für Astronomie, Geologie, Geodäsie,
Tubcrkulosebehandlung, Hygiene und Demographie, Jrrenfürsorge, gewerbliche
Berufskrankheiten, Versicherungswissenschaft, das Internationale Institut für
Statistik, das institut als etroit intörrmtionÄl, die Internationale Vereinigung
für vergleichende Rechtswissenschaft. Unmittelbar in die Praxis greift schon ein
der Internationale Verband für Vereinbarung einheitlicher Prüfungsmcthodeu
von Bau- und Konstruktionsmaterialien. Auch die Internationale kriminalistische
Vereinigung wird nicht auf theoretische Erörterungen beschränkt bleiben, sondern
die Rechtspflege aller Kulturstaaten kräftig beeinflussen. Ganz neue Perspektiven
eröffnet der deutsch-amerikanische Professorenaustausch. Von vornherein wissen¬
schaftlich und praktisch zugleich gedacht sind Einrichtungen wie das Internationale
landwirtschaftliche Institut in Rom, das dem Verfasser zu einer hübschen Be¬
trachtung Anlaß gibt über den verschiednen Klang, der das Wort „international"
in den Ohren gewisser maßgebender Personen hat, je nachdem es sich aus ein
Unternehmen der einen oder der audern Bevölkerungsschicht bezieht. Wenn die
grüne Internationale über die Mittel zur Hebung des Getreidepreises (was
andre Leute wieder Brotwucher nennen) berät, so handelt sie nicht bloß inter¬
national, sondern höchst patriotisch zum Nutzen der eignen Nation. Verein¬
barungen der goldnen Internationale gelten allermindestens für verdächtig und
ihre Teilnehmer für vaterlandslvs; die der roten Internationale aber sind
entschieden antinational und bedeuten Vaterlandsverrat. (Auch die schwarze ist
bekanntlich schlecht genug angeschrieben, doch berühren deren Operationen das
Wirtschaftsleben nur wenig, unmittelbar keinesfalls.)

Interessant ist der Umstand, den Kobatsch hervorhebt, daß die zu allererst
und vorzugsweise so genannte Internationale, die im Jahre 1864 zu London
von den Häuptern der Sozialisten und Anarchisten gegründet wurde, verschwunden
ist, ohne irgendwelche Wirkungen hinterlassen zu haben, sich als ein ganz un¬
fruchtbares Unternehmen erwiesen hat. Ferner sind zu nennen der Handels¬
vertragsverein und der Mitteleuropäische Wirtschaftsverein. Private und amtliche
Tätigkeit haben zusammengewirkt, die internationalen Ausstellungen ins Leben
zu rufen und durch internationale Beratungen die Sozialpolitik zu fördern.
Zu der Einwendung gegen Vereinbarungen auf diesem Gebiete, daß jede Nation


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[0231] Internationale Wirtschaftspolitik unsre Nachkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert zwar allstündlich ihre Hemden wechseln, allwöchentlich einen neuen Anzug anschaffen, ihre Wohnungen mit trio^-brae vollstopfen, für hundert Mark eine ganze Gemäldegalerie kaufen oder eine Luftfahrt um die Erde machen können, aber weder Brot noch Fleisch mehr haben und darum freilich auch auf die vorgenannten Genüsse verzichten müssen, denn der allgemeine Hungertod würde der Herstellung wie dem Ver¬ brauch der Jndustriewaren und der Beförderungsmittel ein Ende machen. Im letzten Abschnitt, der den Internationalismus, also die Abschlußstufe und das wahrscheinliche Ziel der wirtschaftlichen wie der politischen Entwicklung darstellt, werden die privaten und die offiziellen Akte internationaler Ver¬ ständigung behandelt. Unter anderm die mancherlei wissenschaftlichen Verein¬ barungen wie die internationalen Kongresse für Astronomie, Geologie, Geodäsie, Tubcrkulosebehandlung, Hygiene und Demographie, Jrrenfürsorge, gewerbliche Berufskrankheiten, Versicherungswissenschaft, das Internationale Institut für Statistik, das institut als etroit intörrmtionÄl, die Internationale Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft. Unmittelbar in die Praxis greift schon ein der Internationale Verband für Vereinbarung einheitlicher Prüfungsmcthodeu von Bau- und Konstruktionsmaterialien. Auch die Internationale kriminalistische Vereinigung wird nicht auf theoretische Erörterungen beschränkt bleiben, sondern die Rechtspflege aller Kulturstaaten kräftig beeinflussen. Ganz neue Perspektiven eröffnet der deutsch-amerikanische Professorenaustausch. Von vornherein wissen¬ schaftlich und praktisch zugleich gedacht sind Einrichtungen wie das Internationale landwirtschaftliche Institut in Rom, das dem Verfasser zu einer hübschen Be¬ trachtung Anlaß gibt über den verschiednen Klang, der das Wort „international" in den Ohren gewisser maßgebender Personen hat, je nachdem es sich aus ein Unternehmen der einen oder der audern Bevölkerungsschicht bezieht. Wenn die grüne Internationale über die Mittel zur Hebung des Getreidepreises (was andre Leute wieder Brotwucher nennen) berät, so handelt sie nicht bloß inter¬ national, sondern höchst patriotisch zum Nutzen der eignen Nation. Verein¬ barungen der goldnen Internationale gelten allermindestens für verdächtig und ihre Teilnehmer für vaterlandslvs; die der roten Internationale aber sind entschieden antinational und bedeuten Vaterlandsverrat. (Auch die schwarze ist bekanntlich schlecht genug angeschrieben, doch berühren deren Operationen das Wirtschaftsleben nur wenig, unmittelbar keinesfalls.) Interessant ist der Umstand, den Kobatsch hervorhebt, daß die zu allererst und vorzugsweise so genannte Internationale, die im Jahre 1864 zu London von den Häuptern der Sozialisten und Anarchisten gegründet wurde, verschwunden ist, ohne irgendwelche Wirkungen hinterlassen zu haben, sich als ein ganz un¬ fruchtbares Unternehmen erwiesen hat. Ferner sind zu nennen der Handels¬ vertragsverein und der Mitteleuropäische Wirtschaftsverein. Private und amtliche Tätigkeit haben zusammengewirkt, die internationalen Ausstellungen ins Leben zu rufen und durch internationale Beratungen die Sozialpolitik zu fördern. Zu der Einwendung gegen Vereinbarungen auf diesem Gebiete, daß jede Nation

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/231>, abgerufen am 22.07.2024.