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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Internationale Wirtschaftspolitik

im Arbeiterschutz nur so weit gehn könne, als es der Zustand ihrer Volkswirt¬
schaft erlaubt, und daß sie durch Überschreitung dieser Grenze ihre Konkurrenz¬
fähigkeit schädige, bemerkt der Verfasser: "Es ist wohl richtig, daß jedes Land
Sozialpolitik nur im Rahmen und im Tempo seiner individuellen wirtschaft¬
lichen Entwicklung treiben soll, dieses aber auch unbekümmert darum, ob andre
Länder ihm sofort nachfolgen oder nicht. Vielmehr sollten zurückbleibende
Länder angespornt werden, den fortgeschrittenen nachzueifern, durch die Erfahrung,
daß sozialer Fortschritt auch wirtschaftlichen Fortschritt bedeutet." Ein Gegen¬
stand dieses Gebiets, der von vornherein internationalen Charakter hat, ist die
Behandlung des Versicherungsanspruchs ausländischer Arbeiter im Inlande.
Unter den internationalen wirtschaftlichen Akten der Staaten sind die wichtigsten
die Handelsverträge, die Niederlassungsverträge, die Abmachungen über die
Bevormundung von Barbarenstaaten in der Finanzverwaltung, Rechtspflege
und Polizei, der Weltpostverein, die Union zum Rechtsschutze des gewerblichen
Eigentums, die Internationale Meterkonvention. Einen internationalen Giro-
und Clearingverkehr hat der mitteleuropäische Wirtschaftsverein auf seinem
Wiener Kongreß im November 1906 angeregt. In den Erörterungen über das
internationale Recht wird bemerkt, der Berliner Handelsvertragsverein habe
unzweifelhaft recht, wenn er fordere, "daß zunächst eine internationale Ver¬
ständigung über die wichtigsten zolltechnischen Ausdrücke erzielt werde". Schon
vorher hat er in Beziehung auf den Verkehr mit den Vereinigten Staaten
geschrieben, was Europa von diesen verlangen könne (und müsse!), das sei die
Einwilligung in eine klare, internationale Abmachung über die Zollformalitäten
und über den Urheberrechtsschutz sowie die Unterwerfung unter ein internationales
Schiedsgericht für Zollstreitigkeiten. Die Friedenskonferenzen und der ständige
Schiedsgerichtshof im Haag sind ohne Zweifel als viel verheißende (wenn auch
viel verspottete) Anfänge einer neuen Periode zu begrüßen. Am Schlüsse stellt
Kobatsch acht Leitsätze für die internationale Wirtschaftspolitik auf, deren erster
lautet: "Es ist stets das Ganze des internationalen Verkehrs einer National¬
wirtschaft in Betracht zu ziehn, nicht etwa bloß der Warenhandel."

Unstreitig sind die von Kobatsch zusammengefaßten Materien sowohl nach
Umfang und Wichtigkeit wie wegen ihres innigen Zusammenhangs untereinander
geeignet, als eine besondre Disziplin behandelt zu werden, und diese neue
Disziplin dürfte sehr rasch ein Übergewicht über viele andre Disziplinen ge¬
winnen, denn aller leidenschaftliche Nationalismus vermag nichts gegen die
Tatsache, daß sich die intöräspMäöuoo, auf die Herbert Spencers Biologie so
großes Gewicht legt, im Völkerverkehr stetig machtvoller gestaltet und immer
Lari I-meses mehr das Leben jedes Einzelnen in ihren Bannkreis zieht.




Internationale Wirtschaftspolitik

im Arbeiterschutz nur so weit gehn könne, als es der Zustand ihrer Volkswirt¬
schaft erlaubt, und daß sie durch Überschreitung dieser Grenze ihre Konkurrenz¬
fähigkeit schädige, bemerkt der Verfasser: „Es ist wohl richtig, daß jedes Land
Sozialpolitik nur im Rahmen und im Tempo seiner individuellen wirtschaft¬
lichen Entwicklung treiben soll, dieses aber auch unbekümmert darum, ob andre
Länder ihm sofort nachfolgen oder nicht. Vielmehr sollten zurückbleibende
Länder angespornt werden, den fortgeschrittenen nachzueifern, durch die Erfahrung,
daß sozialer Fortschritt auch wirtschaftlichen Fortschritt bedeutet." Ein Gegen¬
stand dieses Gebiets, der von vornherein internationalen Charakter hat, ist die
Behandlung des Versicherungsanspruchs ausländischer Arbeiter im Inlande.
Unter den internationalen wirtschaftlichen Akten der Staaten sind die wichtigsten
die Handelsverträge, die Niederlassungsverträge, die Abmachungen über die
Bevormundung von Barbarenstaaten in der Finanzverwaltung, Rechtspflege
und Polizei, der Weltpostverein, die Union zum Rechtsschutze des gewerblichen
Eigentums, die Internationale Meterkonvention. Einen internationalen Giro-
und Clearingverkehr hat der mitteleuropäische Wirtschaftsverein auf seinem
Wiener Kongreß im November 1906 angeregt. In den Erörterungen über das
internationale Recht wird bemerkt, der Berliner Handelsvertragsverein habe
unzweifelhaft recht, wenn er fordere, „daß zunächst eine internationale Ver¬
ständigung über die wichtigsten zolltechnischen Ausdrücke erzielt werde". Schon
vorher hat er in Beziehung auf den Verkehr mit den Vereinigten Staaten
geschrieben, was Europa von diesen verlangen könne (und müsse!), das sei die
Einwilligung in eine klare, internationale Abmachung über die Zollformalitäten
und über den Urheberrechtsschutz sowie die Unterwerfung unter ein internationales
Schiedsgericht für Zollstreitigkeiten. Die Friedenskonferenzen und der ständige
Schiedsgerichtshof im Haag sind ohne Zweifel als viel verheißende (wenn auch
viel verspottete) Anfänge einer neuen Periode zu begrüßen. Am Schlüsse stellt
Kobatsch acht Leitsätze für die internationale Wirtschaftspolitik auf, deren erster
lautet: „Es ist stets das Ganze des internationalen Verkehrs einer National¬
wirtschaft in Betracht zu ziehn, nicht etwa bloß der Warenhandel."

Unstreitig sind die von Kobatsch zusammengefaßten Materien sowohl nach
Umfang und Wichtigkeit wie wegen ihres innigen Zusammenhangs untereinander
geeignet, als eine besondre Disziplin behandelt zu werden, und diese neue
Disziplin dürfte sehr rasch ein Übergewicht über viele andre Disziplinen ge¬
winnen, denn aller leidenschaftliche Nationalismus vermag nichts gegen die
Tatsache, daß sich die intöräspMäöuoo, auf die Herbert Spencers Biologie so
großes Gewicht legt, im Völkerverkehr stetig machtvoller gestaltet und immer
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[0232] Internationale Wirtschaftspolitik im Arbeiterschutz nur so weit gehn könne, als es der Zustand ihrer Volkswirt¬ schaft erlaubt, und daß sie durch Überschreitung dieser Grenze ihre Konkurrenz¬ fähigkeit schädige, bemerkt der Verfasser: „Es ist wohl richtig, daß jedes Land Sozialpolitik nur im Rahmen und im Tempo seiner individuellen wirtschaft¬ lichen Entwicklung treiben soll, dieses aber auch unbekümmert darum, ob andre Länder ihm sofort nachfolgen oder nicht. Vielmehr sollten zurückbleibende Länder angespornt werden, den fortgeschrittenen nachzueifern, durch die Erfahrung, daß sozialer Fortschritt auch wirtschaftlichen Fortschritt bedeutet." Ein Gegen¬ stand dieses Gebiets, der von vornherein internationalen Charakter hat, ist die Behandlung des Versicherungsanspruchs ausländischer Arbeiter im Inlande. Unter den internationalen wirtschaftlichen Akten der Staaten sind die wichtigsten die Handelsverträge, die Niederlassungsverträge, die Abmachungen über die Bevormundung von Barbarenstaaten in der Finanzverwaltung, Rechtspflege und Polizei, der Weltpostverein, die Union zum Rechtsschutze des gewerblichen Eigentums, die Internationale Meterkonvention. Einen internationalen Giro- und Clearingverkehr hat der mitteleuropäische Wirtschaftsverein auf seinem Wiener Kongreß im November 1906 angeregt. In den Erörterungen über das internationale Recht wird bemerkt, der Berliner Handelsvertragsverein habe unzweifelhaft recht, wenn er fordere, „daß zunächst eine internationale Ver¬ ständigung über die wichtigsten zolltechnischen Ausdrücke erzielt werde". Schon vorher hat er in Beziehung auf den Verkehr mit den Vereinigten Staaten geschrieben, was Europa von diesen verlangen könne (und müsse!), das sei die Einwilligung in eine klare, internationale Abmachung über die Zollformalitäten und über den Urheberrechtsschutz sowie die Unterwerfung unter ein internationales Schiedsgericht für Zollstreitigkeiten. Die Friedenskonferenzen und der ständige Schiedsgerichtshof im Haag sind ohne Zweifel als viel verheißende (wenn auch viel verspottete) Anfänge einer neuen Periode zu begrüßen. Am Schlüsse stellt Kobatsch acht Leitsätze für die internationale Wirtschaftspolitik auf, deren erster lautet: „Es ist stets das Ganze des internationalen Verkehrs einer National¬ wirtschaft in Betracht zu ziehn, nicht etwa bloß der Warenhandel." Unstreitig sind die von Kobatsch zusammengefaßten Materien sowohl nach Umfang und Wichtigkeit wie wegen ihres innigen Zusammenhangs untereinander geeignet, als eine besondre Disziplin behandelt zu werden, und diese neue Disziplin dürfte sehr rasch ein Übergewicht über viele andre Disziplinen ge¬ winnen, denn aller leidenschaftliche Nationalismus vermag nichts gegen die Tatsache, daß sich die intöräspMäöuoo, auf die Herbert Spencers Biologie so großes Gewicht legt, im Völkerverkehr stetig machtvoller gestaltet und immer Lari I-meses mehr das Leben jedes Einzelnen in ihren Bannkreis zieht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/232>, abgerufen am 24.08.2024.