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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Internationale Wirtschaftspolitik

Wenn es so fort geht, wird sich vielleicht an den Professorenaustausch der
von Kriegsschiffen reihen. So also sieht der berühmte Schutz der nationalen
Arbeit mitunter aus, den die größten Patrioten, und das sind allemal die
Besitzer der größten Kapitalien, so energisch zu fordern pflegen. In dem
Kapitel über die Agrarzölle hatte Kobatsch gegen Adolf Wagner polemisiert.
Dieser und seine Freunde seien "deshalb für den Agrarschutz, das heißt für
die Erhöhung der Agrarzölle im deutschen Tarif des Jahres 1902 eingetreten,
weil sie davon eine Besserung der Lage der Landwirtschaft, Verminderung der
Landflucht und Verlangsamung des Tempos der mit großen wirtschaftlich¬
sozialen Gefahren verbundnen Industrialisierung erhofften. Diesen Zweck, den
ein unabhängiger Volkswirt nicht unbedingt zu verwerfen braucht, hätte man
vielleicht besser dadurch erreichen können, daß man zollpolitische Maßnahmen
gegen die unleugbaren Auswüchse der Kartelle und Syndikate angewendet, vor
allem der Regierung die Befugnis eingeräumt hätte, die Zölle aus die Produkte
der Kartellindustrien aufzuheben oder zeitweilig herabzusetzen. Statt dieses
offnen und klare" Schritts bewirkte man dnrch den forcierten Agrarschutz, daß
sich die industriellen Anhänger des Hochschutzzolles mit den Agrariern ver¬
banden, das Prinzip des solidarischen Schutzes der gesamten nationalen Arbeit
proklamierten und auf diese Weise auch den Schutz der Kartelle sicherstellten.
Das wird kaum die Industrialisierung verlangsamen, da die Agrarzölle die
Lebensmittelpreise und dadurch die Arbeitlöhne erhöhen, die höhern Arbeit¬
löhne der Industrie demnach die Arbeiter nur um so kräftiger anziehen werden."
In dem Abschnitt über die Kartelle kommt er darauf noch einmal zurück mit
den Worten: Wagners Zweck "könnte mit weit größerm Volks- oder allgemein
nationalwirtschaftlichem Rechte durch zollpolitische Maßregeln gegen die Kartelle
und Trusts angestrebt werden, und zwar immer nur für jene Produktionen,
die international organisiert sind, und für jene Länder, auf die sich jene
Organisation schon erstreckt".

Erdballen die mittlern Teile des Buches eine Menge interessanter Tat¬
sachen, wovon wir soeben eine Probe mitgeteilt haben, so legen die letzten die
Grundsätze der neuen Wissenschaft dar, die jedenfalls, auch wenn man nicht
allen beistimme, Beachtung verdienen. Als Gesetze, nach denen sich der inter¬
nationale Verkehr entwickelt, werden angegeben: Relativität, das Zusammen¬
spiel von Veränderung und Beharrung, der Wechsel der Differenzierung, die
Interessenkonflikte erzeugt, mit der Jntegrierung durch entstehende Interessen¬
gemeinschaft. In der Relativität aller, auch der internationalen wirtschaftlichen
Vorgänge und Verhältnisse liegt es, daß absolute Normen nicht aufgestellt,
Entscheidungen, die für alle Zeiten und Staaten, unter allen Umständen giltig
und bindend wären, nicht getroffen werden können. (Bekanntlich trifft das
für die Politik überhaupt zu, ja für alle Regelungen menschlicher Dinge; nur
in der Physik gibt es absolute Gesetze.) Doch müsse man sich auch hüten,
in den dem dogmatischen Irrtum entgegengesetzten Irrtum zu verfallen und
auf Normen ganz zu verzichten; sind die Bedingungen, unter denen gehandelt


Internationale Wirtschaftspolitik

Wenn es so fort geht, wird sich vielleicht an den Professorenaustausch der
von Kriegsschiffen reihen. So also sieht der berühmte Schutz der nationalen
Arbeit mitunter aus, den die größten Patrioten, und das sind allemal die
Besitzer der größten Kapitalien, so energisch zu fordern pflegen. In dem
Kapitel über die Agrarzölle hatte Kobatsch gegen Adolf Wagner polemisiert.
Dieser und seine Freunde seien „deshalb für den Agrarschutz, das heißt für
die Erhöhung der Agrarzölle im deutschen Tarif des Jahres 1902 eingetreten,
weil sie davon eine Besserung der Lage der Landwirtschaft, Verminderung der
Landflucht und Verlangsamung des Tempos der mit großen wirtschaftlich¬
sozialen Gefahren verbundnen Industrialisierung erhofften. Diesen Zweck, den
ein unabhängiger Volkswirt nicht unbedingt zu verwerfen braucht, hätte man
vielleicht besser dadurch erreichen können, daß man zollpolitische Maßnahmen
gegen die unleugbaren Auswüchse der Kartelle und Syndikate angewendet, vor
allem der Regierung die Befugnis eingeräumt hätte, die Zölle aus die Produkte
der Kartellindustrien aufzuheben oder zeitweilig herabzusetzen. Statt dieses
offnen und klare» Schritts bewirkte man dnrch den forcierten Agrarschutz, daß
sich die industriellen Anhänger des Hochschutzzolles mit den Agrariern ver¬
banden, das Prinzip des solidarischen Schutzes der gesamten nationalen Arbeit
proklamierten und auf diese Weise auch den Schutz der Kartelle sicherstellten.
Das wird kaum die Industrialisierung verlangsamen, da die Agrarzölle die
Lebensmittelpreise und dadurch die Arbeitlöhne erhöhen, die höhern Arbeit¬
löhne der Industrie demnach die Arbeiter nur um so kräftiger anziehen werden."
In dem Abschnitt über die Kartelle kommt er darauf noch einmal zurück mit
den Worten: Wagners Zweck „könnte mit weit größerm Volks- oder allgemein
nationalwirtschaftlichem Rechte durch zollpolitische Maßregeln gegen die Kartelle
und Trusts angestrebt werden, und zwar immer nur für jene Produktionen,
die international organisiert sind, und für jene Länder, auf die sich jene
Organisation schon erstreckt".

Erdballen die mittlern Teile des Buches eine Menge interessanter Tat¬
sachen, wovon wir soeben eine Probe mitgeteilt haben, so legen die letzten die
Grundsätze der neuen Wissenschaft dar, die jedenfalls, auch wenn man nicht
allen beistimme, Beachtung verdienen. Als Gesetze, nach denen sich der inter¬
nationale Verkehr entwickelt, werden angegeben: Relativität, das Zusammen¬
spiel von Veränderung und Beharrung, der Wechsel der Differenzierung, die
Interessenkonflikte erzeugt, mit der Jntegrierung durch entstehende Interessen¬
gemeinschaft. In der Relativität aller, auch der internationalen wirtschaftlichen
Vorgänge und Verhältnisse liegt es, daß absolute Normen nicht aufgestellt,
Entscheidungen, die für alle Zeiten und Staaten, unter allen Umständen giltig
und bindend wären, nicht getroffen werden können. (Bekanntlich trifft das
für die Politik überhaupt zu, ja für alle Regelungen menschlicher Dinge; nur
in der Physik gibt es absolute Gesetze.) Doch müsse man sich auch hüten,
in den dem dogmatischen Irrtum entgegengesetzten Irrtum zu verfallen und
auf Normen ganz zu verzichten; sind die Bedingungen, unter denen gehandelt


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[0228] Internationale Wirtschaftspolitik Wenn es so fort geht, wird sich vielleicht an den Professorenaustausch der von Kriegsschiffen reihen. So also sieht der berühmte Schutz der nationalen Arbeit mitunter aus, den die größten Patrioten, und das sind allemal die Besitzer der größten Kapitalien, so energisch zu fordern pflegen. In dem Kapitel über die Agrarzölle hatte Kobatsch gegen Adolf Wagner polemisiert. Dieser und seine Freunde seien „deshalb für den Agrarschutz, das heißt für die Erhöhung der Agrarzölle im deutschen Tarif des Jahres 1902 eingetreten, weil sie davon eine Besserung der Lage der Landwirtschaft, Verminderung der Landflucht und Verlangsamung des Tempos der mit großen wirtschaftlich¬ sozialen Gefahren verbundnen Industrialisierung erhofften. Diesen Zweck, den ein unabhängiger Volkswirt nicht unbedingt zu verwerfen braucht, hätte man vielleicht besser dadurch erreichen können, daß man zollpolitische Maßnahmen gegen die unleugbaren Auswüchse der Kartelle und Syndikate angewendet, vor allem der Regierung die Befugnis eingeräumt hätte, die Zölle aus die Produkte der Kartellindustrien aufzuheben oder zeitweilig herabzusetzen. Statt dieses offnen und klare» Schritts bewirkte man dnrch den forcierten Agrarschutz, daß sich die industriellen Anhänger des Hochschutzzolles mit den Agrariern ver¬ banden, das Prinzip des solidarischen Schutzes der gesamten nationalen Arbeit proklamierten und auf diese Weise auch den Schutz der Kartelle sicherstellten. Das wird kaum die Industrialisierung verlangsamen, da die Agrarzölle die Lebensmittelpreise und dadurch die Arbeitlöhne erhöhen, die höhern Arbeit¬ löhne der Industrie demnach die Arbeiter nur um so kräftiger anziehen werden." In dem Abschnitt über die Kartelle kommt er darauf noch einmal zurück mit den Worten: Wagners Zweck „könnte mit weit größerm Volks- oder allgemein nationalwirtschaftlichem Rechte durch zollpolitische Maßregeln gegen die Kartelle und Trusts angestrebt werden, und zwar immer nur für jene Produktionen, die international organisiert sind, und für jene Länder, auf die sich jene Organisation schon erstreckt". Erdballen die mittlern Teile des Buches eine Menge interessanter Tat¬ sachen, wovon wir soeben eine Probe mitgeteilt haben, so legen die letzten die Grundsätze der neuen Wissenschaft dar, die jedenfalls, auch wenn man nicht allen beistimme, Beachtung verdienen. Als Gesetze, nach denen sich der inter¬ nationale Verkehr entwickelt, werden angegeben: Relativität, das Zusammen¬ spiel von Veränderung und Beharrung, der Wechsel der Differenzierung, die Interessenkonflikte erzeugt, mit der Jntegrierung durch entstehende Interessen¬ gemeinschaft. In der Relativität aller, auch der internationalen wirtschaftlichen Vorgänge und Verhältnisse liegt es, daß absolute Normen nicht aufgestellt, Entscheidungen, die für alle Zeiten und Staaten, unter allen Umständen giltig und bindend wären, nicht getroffen werden können. (Bekanntlich trifft das für die Politik überhaupt zu, ja für alle Regelungen menschlicher Dinge; nur in der Physik gibt es absolute Gesetze.) Doch müsse man sich auch hüten, in den dem dogmatischen Irrtum entgegengesetzten Irrtum zu verfallen und auf Normen ganz zu verzichten; sind die Bedingungen, unter denen gehandelt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/228>, abgerufen am 22.07.2024.