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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Internationale Wirtschaftspolitik

eigentlich schädigen." Diese Schädigung vermehrt die Zahl der schutzbedürftiger
Interessen, was eine neue Steigerung der Militär- und Flottenausgaben, neue
Schädigung, neues Schutzbedürfnis und so weiter in inLnituin zur Folge hat.
"Im Jahre 1900 betrugen die statistisch erfaßbaren Zolleinnahmen aller
Staaten der Welt 3854 Millionen Mark; in den größern Staaten der Welt
wurden im Jahre 1903 für Heer und Flotte 5863 Millionen Mark ausge¬
geben. Es muß der Zeitpunkt kommen, da die Ausgaben für die Verteidigung
zu Land und zu Wasser nicht mehr erhöht werden können, weil die Staaten
weder im Inlande noch im Auslande genügende freie Kapitalien zur Auf¬
nahme neuer Nüstungsanleihen finden, oder mit solchen der nationalen Volks¬
wirtschaft zu viel Kapitalien entziehen, also die Triebkraft der Rüstungen
selbst schwächen und somit gezwungen sein werden, von weitern Rüstungen
abzustehn und sogar abzurüsten. Zwar wird man kaum vermuten dürfen, daß
die maßgebenden Politiker und die wirtschaftlichen leaäsrs der Staaten in
absehbarer Zeit zum Entschluß einer Wendung gelangen -- aus purer Friedens¬
liebe geschieht das auf keinen Fall; auch wurzelt der Glaube, die auswärtigen
Interessen des Staates könnten nur mit einem großen Aufgebot militärischer
und maritimer Streitkräfte aufrecht erhalten werden, noch zu tief im Volks¬
bewußtsein. Nur allmählich, durch unausgesetzte Friedenspropaganda, vor
allem aber durch die finanzielle Unmöglichkeit weiterer Rüstungen wird es
gelingen, eine entscheidende Wendung herbeizuführen und einen Akt der inter¬
nationalen Verständigung auch über die Nüstungsfrage zu erreichen."

Eine wunderschöne Beleuchtung erfährt die Zweckmäßigkeit des Zollschutzes
und des mit diesem verbündeten militärischen Schutzes durch das Zusammen¬
treffen folgender drei Tatsachen im Jahre 1906. Eisen gilt bekanntlich als
ein Produkt, das vorzugsweise geschützt werden müsse, und zugleich ist es durch
seine Verwendung in der Kriegsmarine (und für militärische Bahnlinien) eines
der wichtigsten Schutzmittel geworden. Nun hat im Budgetausschuß der öster¬
reichischen Delegation der Marinechef am 5. Dezember 1906 erklärt, daß die
Preise, die das Eisenkartell von der Kriegsmarine verlange, um 25 Prozent
höher seien als die Preise, die es von Privatunternehmern fordere, und daß
er, wenn er das Material aus Amerika beziehen dürfte, mit der geforderten
Summe statt dreier Kriegsschiffe vier bauen könnte. Ein paar Tage daraus,
am 9. Dezember, forderte der Marinesekretür der Vereinigten Staaten, daß es
ihm gestattet werde, entweder die Panzerplatten für die zu bauenden Linien¬
schiffe in Staatswerkstätten herstellen zu lassen oder sie aus dem Auslande zu
beziehen, andernfalls sei man in Gefahr, "das Opfer privater Monopole" zu
werden. Am 11. Dezember desselben Jahres endlich meldeten die Zeitungen,
daß die italienische Regierung den Kontrakt auf Lieferung von 2100 Tonnen
Panzerplatten für ein Linienschiff mit der amerikanischen Firma Midvale in
Philadelphia abgeschlossen habe, und sonnt das Monopol für Italien, dessen
sich die heimischen Terniwerke bis dahin zu erfreuen hatten, durchbrochen sei.


Internationale Wirtschaftspolitik

eigentlich schädigen." Diese Schädigung vermehrt die Zahl der schutzbedürftiger
Interessen, was eine neue Steigerung der Militär- und Flottenausgaben, neue
Schädigung, neues Schutzbedürfnis und so weiter in inLnituin zur Folge hat.
„Im Jahre 1900 betrugen die statistisch erfaßbaren Zolleinnahmen aller
Staaten der Welt 3854 Millionen Mark; in den größern Staaten der Welt
wurden im Jahre 1903 für Heer und Flotte 5863 Millionen Mark ausge¬
geben. Es muß der Zeitpunkt kommen, da die Ausgaben für die Verteidigung
zu Land und zu Wasser nicht mehr erhöht werden können, weil die Staaten
weder im Inlande noch im Auslande genügende freie Kapitalien zur Auf¬
nahme neuer Nüstungsanleihen finden, oder mit solchen der nationalen Volks¬
wirtschaft zu viel Kapitalien entziehen, also die Triebkraft der Rüstungen
selbst schwächen und somit gezwungen sein werden, von weitern Rüstungen
abzustehn und sogar abzurüsten. Zwar wird man kaum vermuten dürfen, daß
die maßgebenden Politiker und die wirtschaftlichen leaäsrs der Staaten in
absehbarer Zeit zum Entschluß einer Wendung gelangen — aus purer Friedens¬
liebe geschieht das auf keinen Fall; auch wurzelt der Glaube, die auswärtigen
Interessen des Staates könnten nur mit einem großen Aufgebot militärischer
und maritimer Streitkräfte aufrecht erhalten werden, noch zu tief im Volks¬
bewußtsein. Nur allmählich, durch unausgesetzte Friedenspropaganda, vor
allem aber durch die finanzielle Unmöglichkeit weiterer Rüstungen wird es
gelingen, eine entscheidende Wendung herbeizuführen und einen Akt der inter¬
nationalen Verständigung auch über die Nüstungsfrage zu erreichen."

Eine wunderschöne Beleuchtung erfährt die Zweckmäßigkeit des Zollschutzes
und des mit diesem verbündeten militärischen Schutzes durch das Zusammen¬
treffen folgender drei Tatsachen im Jahre 1906. Eisen gilt bekanntlich als
ein Produkt, das vorzugsweise geschützt werden müsse, und zugleich ist es durch
seine Verwendung in der Kriegsmarine (und für militärische Bahnlinien) eines
der wichtigsten Schutzmittel geworden. Nun hat im Budgetausschuß der öster¬
reichischen Delegation der Marinechef am 5. Dezember 1906 erklärt, daß die
Preise, die das Eisenkartell von der Kriegsmarine verlange, um 25 Prozent
höher seien als die Preise, die es von Privatunternehmern fordere, und daß
er, wenn er das Material aus Amerika beziehen dürfte, mit der geforderten
Summe statt dreier Kriegsschiffe vier bauen könnte. Ein paar Tage daraus,
am 9. Dezember, forderte der Marinesekretür der Vereinigten Staaten, daß es
ihm gestattet werde, entweder die Panzerplatten für die zu bauenden Linien¬
schiffe in Staatswerkstätten herstellen zu lassen oder sie aus dem Auslande zu
beziehen, andernfalls sei man in Gefahr, „das Opfer privater Monopole" zu
werden. Am 11. Dezember desselben Jahres endlich meldeten die Zeitungen,
daß die italienische Regierung den Kontrakt auf Lieferung von 2100 Tonnen
Panzerplatten für ein Linienschiff mit der amerikanischen Firma Midvale in
Philadelphia abgeschlossen habe, und sonnt das Monopol für Italien, dessen
sich die heimischen Terniwerke bis dahin zu erfreuen hatten, durchbrochen sei.


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[0227] Internationale Wirtschaftspolitik eigentlich schädigen." Diese Schädigung vermehrt die Zahl der schutzbedürftiger Interessen, was eine neue Steigerung der Militär- und Flottenausgaben, neue Schädigung, neues Schutzbedürfnis und so weiter in inLnituin zur Folge hat. „Im Jahre 1900 betrugen die statistisch erfaßbaren Zolleinnahmen aller Staaten der Welt 3854 Millionen Mark; in den größern Staaten der Welt wurden im Jahre 1903 für Heer und Flotte 5863 Millionen Mark ausge¬ geben. Es muß der Zeitpunkt kommen, da die Ausgaben für die Verteidigung zu Land und zu Wasser nicht mehr erhöht werden können, weil die Staaten weder im Inlande noch im Auslande genügende freie Kapitalien zur Auf¬ nahme neuer Nüstungsanleihen finden, oder mit solchen der nationalen Volks¬ wirtschaft zu viel Kapitalien entziehen, also die Triebkraft der Rüstungen selbst schwächen und somit gezwungen sein werden, von weitern Rüstungen abzustehn und sogar abzurüsten. Zwar wird man kaum vermuten dürfen, daß die maßgebenden Politiker und die wirtschaftlichen leaäsrs der Staaten in absehbarer Zeit zum Entschluß einer Wendung gelangen — aus purer Friedens¬ liebe geschieht das auf keinen Fall; auch wurzelt der Glaube, die auswärtigen Interessen des Staates könnten nur mit einem großen Aufgebot militärischer und maritimer Streitkräfte aufrecht erhalten werden, noch zu tief im Volks¬ bewußtsein. Nur allmählich, durch unausgesetzte Friedenspropaganda, vor allem aber durch die finanzielle Unmöglichkeit weiterer Rüstungen wird es gelingen, eine entscheidende Wendung herbeizuführen und einen Akt der inter¬ nationalen Verständigung auch über die Nüstungsfrage zu erreichen." Eine wunderschöne Beleuchtung erfährt die Zweckmäßigkeit des Zollschutzes und des mit diesem verbündeten militärischen Schutzes durch das Zusammen¬ treffen folgender drei Tatsachen im Jahre 1906. Eisen gilt bekanntlich als ein Produkt, das vorzugsweise geschützt werden müsse, und zugleich ist es durch seine Verwendung in der Kriegsmarine (und für militärische Bahnlinien) eines der wichtigsten Schutzmittel geworden. Nun hat im Budgetausschuß der öster¬ reichischen Delegation der Marinechef am 5. Dezember 1906 erklärt, daß die Preise, die das Eisenkartell von der Kriegsmarine verlange, um 25 Prozent höher seien als die Preise, die es von Privatunternehmern fordere, und daß er, wenn er das Material aus Amerika beziehen dürfte, mit der geforderten Summe statt dreier Kriegsschiffe vier bauen könnte. Ein paar Tage daraus, am 9. Dezember, forderte der Marinesekretür der Vereinigten Staaten, daß es ihm gestattet werde, entweder die Panzerplatten für die zu bauenden Linien¬ schiffe in Staatswerkstätten herstellen zu lassen oder sie aus dem Auslande zu beziehen, andernfalls sei man in Gefahr, „das Opfer privater Monopole" zu werden. Am 11. Dezember desselben Jahres endlich meldeten die Zeitungen, daß die italienische Regierung den Kontrakt auf Lieferung von 2100 Tonnen Panzerplatten für ein Linienschiff mit der amerikanischen Firma Midvale in Philadelphia abgeschlossen habe, und sonnt das Monopol für Italien, dessen sich die heimischen Terniwerke bis dahin zu erfreuen hatten, durchbrochen sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/227>, abgerufen am 22.07.2024.