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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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nicht Rechnung tragend. Die Differenz war zeitweise unüberbrückbar, und es
fehlte nicht viel, daß es zu einem dramatischen Abschlüsse kam. Eine Kata¬
strophe herbeizuführen, lag aber dem weichen Charakter des Königs Friedrich
Wilhelms des Vierten fern, und so kam es, daß schließlich immer ein Nocws
vivemäi gefunden wurde.

Unter der Verschiedenheit der politischen Anschauung der beiden königlichen
Brüder hatten in erster Linie die Staatsminister Friedrich Wilhelms des Vierten
zu leiden, in den Fragen der auswärtigen Politik also der Freiherr von Man-
teuffel, dem der Prinz von Preußen scharfe Vorhalte machte, die der Minister
mehrfach in aller Ehrerbietung als sachlich unbegründet zurückweisen konnte. Das
war auch nicht schwer, da der Prinz, vielfach fern von der politischen Zentrale
lebend, in die geheimen Gänge der auswärtigen Politik nicht eingeweiht war.

Kein Wunder, daß das Auftreten des Prinzen den verantwortlichen Rat¬
gebern des Königs, sagen wir also der strengen Regierungspartei ein Dorn
im Auge war, und daß sie alle Hebel in Bewegung setzte, um den Einfluß
des Prinzen von Preußen ungefährlich zu machen. In diesem Lager ist der
Verfasser der nachstehenden Denkschrift zu suchen, die allerdings nicht ohne
Animosität geschrieben ist. Man fühlt heraus, daß der Verfasser mitunter über
das Ziel hinausschießt und den Kampf mit Windmühlen führt. Die Aufzeich¬
nung bleibt nichtsdestoweniger eine beachtenswerte Staatsschrift, die in einer
neuen Biographie des Kaisers Wilhelms des Ersten nicht ungewürdigt bleiben
kann. Der Name des Verfassers ist nicht bekannt. Vielleicht ist es der preußische
Gesandte in Se. Petersburg, Herr von Rochow, der, nachdem Preußen den Bundes¬
tag in Frankfurt am Main wieder beschickte, als preußischer Bundestagsgesandter
ernannt wurde mit der Aufgabe, seinen Legationsrat, Herrn von Bismarck-Schön-
hausen, für seinen neuen politischen Beruf vorzubereiten. Die Denkschrift lautet:

Der Einfluß, welchen die Anwesenheit eines Prinzen des Königlichen
Hauses in einer von der Haupt- und Residenzstadt entfernt gelegenen Provinz
ausübt, legt durch seine Bedeutsamkeit der Regierung die Verpflichtung auf,
solchen Einfluß sich entweder wenn förderlich ihren Interessen ganz zu assimi¬
lieren, oder wenn hinderlich an der Stelle zu beseitigen.

Es ist der Wunsch, daß durch die nachfolgende Darstellung die Not¬
wendigkeit erhellen möge, den Aufenthalt Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen
von Preußen und Seiner Gemahlin in Koblenz möglichst bald abzukürzen.

Die unumwundene Aussprache dieser Ansicht wird jedoch mit der aus¬
drücklichen Verwahrung bevorwortet, daß der erhabene und reine Charakter des
Prinzen den Konsequenzen fremd ist, welche von seiner Umgebung unter dem
Schilde des prinzlichen Namens verfolgt werden, indem sie denselben zu einem
Samuel- und Brennpunkte der Opposition mißbrauchen.

Der Zugang zu sicheren Ausgangspunkten für die Darlegung ist zwar sehr
beschränkt, allein die mehrfachen Mitteilungen zuverlässiger, dem Königlichen Hause
ergebener Männer sowie eine eben erfolgte mündliche Rücksprache mit einem älteren


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nicht Rechnung tragend. Die Differenz war zeitweise unüberbrückbar, und es
fehlte nicht viel, daß es zu einem dramatischen Abschlüsse kam. Eine Kata¬
strophe herbeizuführen, lag aber dem weichen Charakter des Königs Friedrich
Wilhelms des Vierten fern, und so kam es, daß schließlich immer ein Nocws
vivemäi gefunden wurde.

Unter der Verschiedenheit der politischen Anschauung der beiden königlichen
Brüder hatten in erster Linie die Staatsminister Friedrich Wilhelms des Vierten
zu leiden, in den Fragen der auswärtigen Politik also der Freiherr von Man-
teuffel, dem der Prinz von Preußen scharfe Vorhalte machte, die der Minister
mehrfach in aller Ehrerbietung als sachlich unbegründet zurückweisen konnte. Das
war auch nicht schwer, da der Prinz, vielfach fern von der politischen Zentrale
lebend, in die geheimen Gänge der auswärtigen Politik nicht eingeweiht war.

Kein Wunder, daß das Auftreten des Prinzen den verantwortlichen Rat¬
gebern des Königs, sagen wir also der strengen Regierungspartei ein Dorn
im Auge war, und daß sie alle Hebel in Bewegung setzte, um den Einfluß
des Prinzen von Preußen ungefährlich zu machen. In diesem Lager ist der
Verfasser der nachstehenden Denkschrift zu suchen, die allerdings nicht ohne
Animosität geschrieben ist. Man fühlt heraus, daß der Verfasser mitunter über
das Ziel hinausschießt und den Kampf mit Windmühlen führt. Die Aufzeich¬
nung bleibt nichtsdestoweniger eine beachtenswerte Staatsschrift, die in einer
neuen Biographie des Kaisers Wilhelms des Ersten nicht ungewürdigt bleiben
kann. Der Name des Verfassers ist nicht bekannt. Vielleicht ist es der preußische
Gesandte in Se. Petersburg, Herr von Rochow, der, nachdem Preußen den Bundes¬
tag in Frankfurt am Main wieder beschickte, als preußischer Bundestagsgesandter
ernannt wurde mit der Aufgabe, seinen Legationsrat, Herrn von Bismarck-Schön-
hausen, für seinen neuen politischen Beruf vorzubereiten. Die Denkschrift lautet:

Der Einfluß, welchen die Anwesenheit eines Prinzen des Königlichen
Hauses in einer von der Haupt- und Residenzstadt entfernt gelegenen Provinz
ausübt, legt durch seine Bedeutsamkeit der Regierung die Verpflichtung auf,
solchen Einfluß sich entweder wenn förderlich ihren Interessen ganz zu assimi¬
lieren, oder wenn hinderlich an der Stelle zu beseitigen.

Es ist der Wunsch, daß durch die nachfolgende Darstellung die Not¬
wendigkeit erhellen möge, den Aufenthalt Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen
von Preußen und Seiner Gemahlin in Koblenz möglichst bald abzukürzen.

Die unumwundene Aussprache dieser Ansicht wird jedoch mit der aus¬
drücklichen Verwahrung bevorwortet, daß der erhabene und reine Charakter des
Prinzen den Konsequenzen fremd ist, welche von seiner Umgebung unter dem
Schilde des prinzlichen Namens verfolgt werden, indem sie denselben zu einem
Samuel- und Brennpunkte der Opposition mißbrauchen.

Der Zugang zu sicheren Ausgangspunkten für die Darlegung ist zwar sehr
beschränkt, allein die mehrfachen Mitteilungen zuverlässiger, dem Königlichen Hause
ergebener Männer sowie eine eben erfolgte mündliche Rücksprache mit einem älteren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/219>, abgerufen am 22.07.2024.