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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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in der Nähe von Koblenz lebenden und der dortigen Verhältnisse kundigen
Offizier haben doch möglich gemacht, Data vorlegen zu können, welche wegen ihrer
verschiedentlich bestätigten Wahrheit eine ernste Beachtung und baldige Folge¬
rung verdienen dürften.

Obwohl das preußische Gouvernement in den Rheinlanden für jedes Element
der öffentlichen Wohlfahrt mehr getan hat, als je eine weltliche oder geistliche
Herrschaft, der diese Gebiete im Laufe der für sie so wechselvollen Zeiten unter¬
geben waren, obwohl den höheren und gebildeteren Klassen durch die Teilnahme
an den Ämtern und Stellen eines großen Staats eine ihnen früher unbekannte
Aussicht auf Ehre und Auszeichnung eröffnet ist, so haben doch die Rhein¬
gegenden sich nie ganz und freiwillig als einen integrierender Teil der preußischen
Monarchie betrachtet. Die Verkennung solcher Wohltaten hat ihren Grund in
dem Übermute, welchen eine unvergleichliche Lage und außerordentliche Prosperität
des Bodens einem leicht beweglichen und überwiegend materiell gesinnten Volke
eingeflößt hat, solche Undankbarkeit beruht auf der übertriebenen Meinung, welche
man am Rheine von der Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit dieser Provinz für
den Hauptstaat hegt. Die dortige Bevölkerung ist mancher trefflichen Eigen¬
schaften ungeachtet im hohen Grade verwöhnt, eitel und selbstsüchtig, sie glaubt
den alten Provinzen schon dadurch eine große Ehre zu erweisen, daß sie mit
ihnen in demselben politischen Verbände steht.

Dieser Hochmut wuchs, als nach den Märzstürmen in die Gesetzgebung
ein rheinisch-belgisch-französischer Liberalismus eindrang und die historischen
Eigentümlichkeiten der älteren Provinzen sowie das alte deutsche Element einer
auf rheinischer Anschauung nivellierenden Verwaltung und Organisationsmacherei
einstweilen weichen mußten. Die Rheinländer konnten sogar den Wahn hegen,
ihre provinziellen Maxime seien für immer zur Geltung gebracht, als die
Ministerstellen mit Rheinländern besetzt waren, denen die auf dem Heldenruhme
seiner Fürsten ruhende und stolze Geschichte Preußens eben so fremd war wie
der bewährte, dem Königlichen Hause treu ergebene Sinn der Bewohner in den
älteren Provinzen.

Als daher seit dem November 1843 die zerrütteten Verhältnisse des Vater¬
landes durch ein Ministerium hergestellt und neu geordnet wurden, in dem der
rheinische Typus weder nach Personen noch nach Grundsätzen vorherrschte,
fühlte sich die rheinische Eitelkeit durch die Beseitigung ihrer vermeintlichen
Vorzüge schwer verletzt. Nur die äußere Politik hatte noch Sympathien in
der Rheinprovinz, solange sie die Prinzipien der Frankfurter Nationalversamm¬
lung acceptierte. Zu solcher mehr sachlichen Neigung für jene Politik war
auch persönlicher Egoismus hinzugetreten, da die Mehrzahl der beredten oder
vielmehr redelustigen Verteidiger, dem Rheinlande und Westfalen angehörig,
durch die totale Durchführung dieser sogenannten deutschen und doch so wenig
deutschen Eigentümlichkeiten berücksichtigenden Politik Hoffnungen auf Ehren
und hohe Stellen von ihren Dienstleistungen her erheben durften.


Line Denkschrift aus dem Jahre ^850

in der Nähe von Koblenz lebenden und der dortigen Verhältnisse kundigen
Offizier haben doch möglich gemacht, Data vorlegen zu können, welche wegen ihrer
verschiedentlich bestätigten Wahrheit eine ernste Beachtung und baldige Folge¬
rung verdienen dürften.

Obwohl das preußische Gouvernement in den Rheinlanden für jedes Element
der öffentlichen Wohlfahrt mehr getan hat, als je eine weltliche oder geistliche
Herrschaft, der diese Gebiete im Laufe der für sie so wechselvollen Zeiten unter¬
geben waren, obwohl den höheren und gebildeteren Klassen durch die Teilnahme
an den Ämtern und Stellen eines großen Staats eine ihnen früher unbekannte
Aussicht auf Ehre und Auszeichnung eröffnet ist, so haben doch die Rhein¬
gegenden sich nie ganz und freiwillig als einen integrierender Teil der preußischen
Monarchie betrachtet. Die Verkennung solcher Wohltaten hat ihren Grund in
dem Übermute, welchen eine unvergleichliche Lage und außerordentliche Prosperität
des Bodens einem leicht beweglichen und überwiegend materiell gesinnten Volke
eingeflößt hat, solche Undankbarkeit beruht auf der übertriebenen Meinung, welche
man am Rheine von der Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit dieser Provinz für
den Hauptstaat hegt. Die dortige Bevölkerung ist mancher trefflichen Eigen¬
schaften ungeachtet im hohen Grade verwöhnt, eitel und selbstsüchtig, sie glaubt
den alten Provinzen schon dadurch eine große Ehre zu erweisen, daß sie mit
ihnen in demselben politischen Verbände steht.

Dieser Hochmut wuchs, als nach den Märzstürmen in die Gesetzgebung
ein rheinisch-belgisch-französischer Liberalismus eindrang und die historischen
Eigentümlichkeiten der älteren Provinzen sowie das alte deutsche Element einer
auf rheinischer Anschauung nivellierenden Verwaltung und Organisationsmacherei
einstweilen weichen mußten. Die Rheinländer konnten sogar den Wahn hegen,
ihre provinziellen Maxime seien für immer zur Geltung gebracht, als die
Ministerstellen mit Rheinländern besetzt waren, denen die auf dem Heldenruhme
seiner Fürsten ruhende und stolze Geschichte Preußens eben so fremd war wie
der bewährte, dem Königlichen Hause treu ergebene Sinn der Bewohner in den
älteren Provinzen.

Als daher seit dem November 1843 die zerrütteten Verhältnisse des Vater¬
landes durch ein Ministerium hergestellt und neu geordnet wurden, in dem der
rheinische Typus weder nach Personen noch nach Grundsätzen vorherrschte,
fühlte sich die rheinische Eitelkeit durch die Beseitigung ihrer vermeintlichen
Vorzüge schwer verletzt. Nur die äußere Politik hatte noch Sympathien in
der Rheinprovinz, solange sie die Prinzipien der Frankfurter Nationalversamm¬
lung acceptierte. Zu solcher mehr sachlichen Neigung für jene Politik war
auch persönlicher Egoismus hinzugetreten, da die Mehrzahl der beredten oder
vielmehr redelustigen Verteidiger, dem Rheinlande und Westfalen angehörig,
durch die totale Durchführung dieser sogenannten deutschen und doch so wenig
deutschen Eigentümlichkeiten berücksichtigenden Politik Hoffnungen auf Ehren
und hohe Stellen von ihren Dienstleistungen her erheben durften.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/220>, abgerufen am 22.07.2024.