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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Bedeutung des Militäretats von 1.9^

Zahl bei der französischen Artillerie über die deutsche, auch nach Annahme
des Kadergesetzes, gar nicht vorliegt. Denn wenn danach die Franzosen auch
188 Batterien mehr haben werden als wir, so ist doch die Geschützzahl für
das Armeekorps, auf die es allein ankommt, mit 144 auf beiden Seiten die¬
selbe. Dabei ist aber noch zu berücksichtigen, daß auf französischer Seite in
die 144 Geschütze die Nimailho-Haubitzen von 155 Millimeter Kaliber der
schweren Artillerie des Feldheeres mit eingerechnet sind, während den 144 Ge¬
schützen des deutschen Armeekorps die schwere Feldartillerie nicht zugerechnet
ist. So steht also das artilleristische Zahlenverhältnis, auch wenn die Fran¬
zosen die geplante Neuorganisation ihrer Artillerie durchgeführt haben werden,
in Wirklichkeit immer noch etwas zu unsern Gunsten. Der andre nicht weniger
wichtige Grund, warum wir uns mit einer neuen Artillerievorlage in aller
Ruhe Zeit lassen können, ist der, daß sich die außerordentliche Vermehrung
der Artillerie unsrer westlichen Nachbarn, aller Wahrscheinlichkeit nach, nicht
so einfach durchführen lassen wird, wie es äußerlich den Anschein hat. Denn
den Wünschen der Heeresverwaltung steht ohne Zweifel die Tatsache gegen¬
über, daß die bisherige Friedensstärke der französischen Armee aus Mannschafts¬
mangel nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, vielmehr um 45000 Mann
hinter dem bisherigen Stande zurückbleiben muß. Wo sollen also die Leute
für die neuen 251 Batterien hergenommen werden? Dieselbe Frage entsteht
wegen der Pferde. In dem neuen Kadergesetz heißt es, die fünften Schwadronen
der zwölf Kürassierregimenter sollten aufgelöst und Leute wie Pferde an die
Artillerie abgegeben werden. Dadurch werden doch aber nur etwa 1500 Pferde
frei, während doch allein die 1004 neuen Geschütze, ganz abgesehen von den
dazu gehörenden Munitionswagen, 6024 Pferde benötigen. Es wird darum
wohl im günstigsten Falle noch recht lange dauern, bis die französische Artillerie
die gewollte neue Stärke erreicht hat.

Nähere Beachtung verdienen auch jene 4^ Millionen Mark, die für neue
Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände bewilligt werden sollen. Gegen sie
wird im Reichstag voraussichtlich der geringste Widerspruch erhoben werden.
Denn schon seit Jahren haben sich in der Budgetkommission die Anfragen
wiederholt, ob denn die Uniformtrageversuche bei unsrer Armee noch immer
nicht zum Abschluß gekommen seien. Es ist eben durchgehend, bei Fachleuten
wie bei Laien, die Ansicht verbreitet, daß die heutige Bekleidung und Ausrüstung
unsrer Truppen mit ihren vielen blinkenden und leuchtenden Farben und ihrer
zu schweren Belastung nicht mehr kriegsgemäß seien. Aber unsre Heeres¬
verwaltung hat sich nicht drängen lassen. Die Erprobungen waren sehr schwierig
und konnten nicht übereilt werden, handelte es sich doch um sehr kostspielige
Fragen und Entscheidungen, und nicht allein um neue Tuchfarben und leichtere
und bequemere Ausrüstungsstücke, sondern eben so sehr um ihre Dauerhaftig¬
keit und Haltbarkeit bei jeder Jahreszeit und Witterung. Auch konnten in
dieser Hinsicht weder die Erfahrungen des südafrikanischen noch des russisch-


Die Bedeutung des Militäretats von 1.9^

Zahl bei der französischen Artillerie über die deutsche, auch nach Annahme
des Kadergesetzes, gar nicht vorliegt. Denn wenn danach die Franzosen auch
188 Batterien mehr haben werden als wir, so ist doch die Geschützzahl für
das Armeekorps, auf die es allein ankommt, mit 144 auf beiden Seiten die¬
selbe. Dabei ist aber noch zu berücksichtigen, daß auf französischer Seite in
die 144 Geschütze die Nimailho-Haubitzen von 155 Millimeter Kaliber der
schweren Artillerie des Feldheeres mit eingerechnet sind, während den 144 Ge¬
schützen des deutschen Armeekorps die schwere Feldartillerie nicht zugerechnet
ist. So steht also das artilleristische Zahlenverhältnis, auch wenn die Fran¬
zosen die geplante Neuorganisation ihrer Artillerie durchgeführt haben werden,
in Wirklichkeit immer noch etwas zu unsern Gunsten. Der andre nicht weniger
wichtige Grund, warum wir uns mit einer neuen Artillerievorlage in aller
Ruhe Zeit lassen können, ist der, daß sich die außerordentliche Vermehrung
der Artillerie unsrer westlichen Nachbarn, aller Wahrscheinlichkeit nach, nicht
so einfach durchführen lassen wird, wie es äußerlich den Anschein hat. Denn
den Wünschen der Heeresverwaltung steht ohne Zweifel die Tatsache gegen¬
über, daß die bisherige Friedensstärke der französischen Armee aus Mannschafts¬
mangel nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, vielmehr um 45000 Mann
hinter dem bisherigen Stande zurückbleiben muß. Wo sollen also die Leute
für die neuen 251 Batterien hergenommen werden? Dieselbe Frage entsteht
wegen der Pferde. In dem neuen Kadergesetz heißt es, die fünften Schwadronen
der zwölf Kürassierregimenter sollten aufgelöst und Leute wie Pferde an die
Artillerie abgegeben werden. Dadurch werden doch aber nur etwa 1500 Pferde
frei, während doch allein die 1004 neuen Geschütze, ganz abgesehen von den
dazu gehörenden Munitionswagen, 6024 Pferde benötigen. Es wird darum
wohl im günstigsten Falle noch recht lange dauern, bis die französische Artillerie
die gewollte neue Stärke erreicht hat.

Nähere Beachtung verdienen auch jene 4^ Millionen Mark, die für neue
Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände bewilligt werden sollen. Gegen sie
wird im Reichstag voraussichtlich der geringste Widerspruch erhoben werden.
Denn schon seit Jahren haben sich in der Budgetkommission die Anfragen
wiederholt, ob denn die Uniformtrageversuche bei unsrer Armee noch immer
nicht zum Abschluß gekommen seien. Es ist eben durchgehend, bei Fachleuten
wie bei Laien, die Ansicht verbreitet, daß die heutige Bekleidung und Ausrüstung
unsrer Truppen mit ihren vielen blinkenden und leuchtenden Farben und ihrer
zu schweren Belastung nicht mehr kriegsgemäß seien. Aber unsre Heeres¬
verwaltung hat sich nicht drängen lassen. Die Erprobungen waren sehr schwierig
und konnten nicht übereilt werden, handelte es sich doch um sehr kostspielige
Fragen und Entscheidungen, und nicht allein um neue Tuchfarben und leichtere
und bequemere Ausrüstungsstücke, sondern eben so sehr um ihre Dauerhaftig¬
keit und Haltbarkeit bei jeder Jahreszeit und Witterung. Auch konnten in
dieser Hinsicht weder die Erfahrungen des südafrikanischen noch des russisch-


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[0214] Die Bedeutung des Militäretats von 1.9^ Zahl bei der französischen Artillerie über die deutsche, auch nach Annahme des Kadergesetzes, gar nicht vorliegt. Denn wenn danach die Franzosen auch 188 Batterien mehr haben werden als wir, so ist doch die Geschützzahl für das Armeekorps, auf die es allein ankommt, mit 144 auf beiden Seiten die¬ selbe. Dabei ist aber noch zu berücksichtigen, daß auf französischer Seite in die 144 Geschütze die Nimailho-Haubitzen von 155 Millimeter Kaliber der schweren Artillerie des Feldheeres mit eingerechnet sind, während den 144 Ge¬ schützen des deutschen Armeekorps die schwere Feldartillerie nicht zugerechnet ist. So steht also das artilleristische Zahlenverhältnis, auch wenn die Fran¬ zosen die geplante Neuorganisation ihrer Artillerie durchgeführt haben werden, in Wirklichkeit immer noch etwas zu unsern Gunsten. Der andre nicht weniger wichtige Grund, warum wir uns mit einer neuen Artillerievorlage in aller Ruhe Zeit lassen können, ist der, daß sich die außerordentliche Vermehrung der Artillerie unsrer westlichen Nachbarn, aller Wahrscheinlichkeit nach, nicht so einfach durchführen lassen wird, wie es äußerlich den Anschein hat. Denn den Wünschen der Heeresverwaltung steht ohne Zweifel die Tatsache gegen¬ über, daß die bisherige Friedensstärke der französischen Armee aus Mannschafts¬ mangel nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, vielmehr um 45000 Mann hinter dem bisherigen Stande zurückbleiben muß. Wo sollen also die Leute für die neuen 251 Batterien hergenommen werden? Dieselbe Frage entsteht wegen der Pferde. In dem neuen Kadergesetz heißt es, die fünften Schwadronen der zwölf Kürassierregimenter sollten aufgelöst und Leute wie Pferde an die Artillerie abgegeben werden. Dadurch werden doch aber nur etwa 1500 Pferde frei, während doch allein die 1004 neuen Geschütze, ganz abgesehen von den dazu gehörenden Munitionswagen, 6024 Pferde benötigen. Es wird darum wohl im günstigsten Falle noch recht lange dauern, bis die französische Artillerie die gewollte neue Stärke erreicht hat. Nähere Beachtung verdienen auch jene 4^ Millionen Mark, die für neue Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände bewilligt werden sollen. Gegen sie wird im Reichstag voraussichtlich der geringste Widerspruch erhoben werden. Denn schon seit Jahren haben sich in der Budgetkommission die Anfragen wiederholt, ob denn die Uniformtrageversuche bei unsrer Armee noch immer nicht zum Abschluß gekommen seien. Es ist eben durchgehend, bei Fachleuten wie bei Laien, die Ansicht verbreitet, daß die heutige Bekleidung und Ausrüstung unsrer Truppen mit ihren vielen blinkenden und leuchtenden Farben und ihrer zu schweren Belastung nicht mehr kriegsgemäß seien. Aber unsre Heeres¬ verwaltung hat sich nicht drängen lassen. Die Erprobungen waren sehr schwierig und konnten nicht übereilt werden, handelte es sich doch um sehr kostspielige Fragen und Entscheidungen, und nicht allein um neue Tuchfarben und leichtere und bequemere Ausrüstungsstücke, sondern eben so sehr um ihre Dauerhaftig¬ keit und Haltbarkeit bei jeder Jahreszeit und Witterung. Auch konnten in dieser Hinsicht weder die Erfahrungen des südafrikanischen noch des russisch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/214>, abgerufen am 22.07.2024.