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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Lleon Rangabe und seine Werke

"Alghi", eine lyrische Sammlung, ist von Carl Macle meisterhaft metrisch ins
Deutsche übertragen worden und unter dem Titel: "Aus dunkeln Tiefen" in einer
Prachtausgabe bei Schottlünder in Breslau erschienen. Diese Lieder zeigen
uns den Dichter, wie ihn in seinen Jünglingsjahren das Leben umbrauste, und
wie er "in vollen Zügen aus jedem Becher trank, den Freude oder Schmerz
ihm reichten".

Das Hauptinteresse wendet sich dem Drama "Julian Apostat"" zu. Die
Gestalt des Helden, die schon viele Dichter zu verkörpern gesucht haben, hat
Nangabe zu diesem Jugendstück begeistert, und wie er selbst bekennt, vermochte
keines der später vom Verfasser behandelten Themen sein Herz und seinen Geist
in gleichem Maße zu erfüllen. Der Anfang dieses Dramas, das 1377 erschien,
reicht bis ins Jahr 1862 zurück, wo sich der Dichter in dem von Julian so
sehr geliebten Paris aufhielt. Die Handlung beginnt mit der Schilderung der
sittlichen Verwahrlosung am Hofe in Konstantinopel, im Klerus und der Bürger¬
schaft sowie der religiösen Parteikämpfe, die in dieser Zeit, der zweiten Hülste
des vierten Jahrhunderts, besonders heftig emporloderten. Diese Zustände er¬
füllen Julian, der in Athen im Umgang mit den berühmtesten Gelehrten und
Philosophen seinen Geist gebildet hatte, mit solchem Abscheu, daß er, nachdem
er auf den Thron gekommen ist, sich entschließt, den alten Götterglauben der
Hellenen, von dessen Wohltat er tief durchdrungen ist, wieder anzuerkennen.
"Denn, sagt er, die ihn erfanden, haben ein menschenfreundliches Werk getan." Er
erkennt, daß die gegen ihn gerichtete Botschaft des Galilüers die Ursache alles
Unglücks wurde, für das es keine Heilung gibt. So verkörpert sich in dem
Kaiser im Widerstreit mit seiner Umgebung, die dem krassen Obskurantismus
huldigt, der Riesenkampf zweier geistiger Welten. Julian liebt Helle, die Tochter
des Athener Patriziers Lysikrates, eine Christin, die mit ihrem reinen Herzen
dem einfachen, kindlichen Glauben anhängt, die aber, nachdem sie erfahren hat,
daß der Geliebte dem Christentum abtrünnig geworden ist, ihn zurückweist,
trotzdem sie Julian zu seiner Gemahlin auf den Kaiserthron erheben will.
Als ihr Flehen, er möge seine Seele retten, vergebens bleibt, stürzt sie nach
einer letzten Umarmung des Geliebten hinweg, um den Tod in den Fluten des
Bosporus zu suchen. Am Ufer findet Julian ihre Leiche, die ihm eine Welle
des Meeres entgegentreibt. Verzweifelt erkennt er die entseelte Braut, er nimmt
sie in seine Arme, unter Donner und Blitz den Ausruf: "Fluch, dreimal Fluch!"
zum Himmel seubert.

Die poetische Gestalt des liebenden Mädchens ist freie Erfindung. Im
übrigen wird die Geschichte ziemlich treu widergespiegelt. Der erste Akt gibt
uus ein Bild des beginnenden Verfalls des Reichs. Die Feinde bedrängen es
im Osten und im Westen, der elende Kaiser Konstcmtios, gänzlich in den Händen
seiner Höflinge, die um seine Schandtaten wissen, weiß der drohenden Gefahr
nicht zu begegnen. Der treue Feldherr Salustios rät dem Kaiser, den Kampf
mit den Persern aufzunehmen, nach dem Westen jedoch den Prinzen Julian,


Lleon Rangabe und seine Werke

„Alghi", eine lyrische Sammlung, ist von Carl Macle meisterhaft metrisch ins
Deutsche übertragen worden und unter dem Titel: „Aus dunkeln Tiefen" in einer
Prachtausgabe bei Schottlünder in Breslau erschienen. Diese Lieder zeigen
uns den Dichter, wie ihn in seinen Jünglingsjahren das Leben umbrauste, und
wie er „in vollen Zügen aus jedem Becher trank, den Freude oder Schmerz
ihm reichten".

Das Hauptinteresse wendet sich dem Drama „Julian Apostat«" zu. Die
Gestalt des Helden, die schon viele Dichter zu verkörpern gesucht haben, hat
Nangabe zu diesem Jugendstück begeistert, und wie er selbst bekennt, vermochte
keines der später vom Verfasser behandelten Themen sein Herz und seinen Geist
in gleichem Maße zu erfüllen. Der Anfang dieses Dramas, das 1377 erschien,
reicht bis ins Jahr 1862 zurück, wo sich der Dichter in dem von Julian so
sehr geliebten Paris aufhielt. Die Handlung beginnt mit der Schilderung der
sittlichen Verwahrlosung am Hofe in Konstantinopel, im Klerus und der Bürger¬
schaft sowie der religiösen Parteikämpfe, die in dieser Zeit, der zweiten Hülste
des vierten Jahrhunderts, besonders heftig emporloderten. Diese Zustände er¬
füllen Julian, der in Athen im Umgang mit den berühmtesten Gelehrten und
Philosophen seinen Geist gebildet hatte, mit solchem Abscheu, daß er, nachdem
er auf den Thron gekommen ist, sich entschließt, den alten Götterglauben der
Hellenen, von dessen Wohltat er tief durchdrungen ist, wieder anzuerkennen.
„Denn, sagt er, die ihn erfanden, haben ein menschenfreundliches Werk getan." Er
erkennt, daß die gegen ihn gerichtete Botschaft des Galilüers die Ursache alles
Unglücks wurde, für das es keine Heilung gibt. So verkörpert sich in dem
Kaiser im Widerstreit mit seiner Umgebung, die dem krassen Obskurantismus
huldigt, der Riesenkampf zweier geistiger Welten. Julian liebt Helle, die Tochter
des Athener Patriziers Lysikrates, eine Christin, die mit ihrem reinen Herzen
dem einfachen, kindlichen Glauben anhängt, die aber, nachdem sie erfahren hat,
daß der Geliebte dem Christentum abtrünnig geworden ist, ihn zurückweist,
trotzdem sie Julian zu seiner Gemahlin auf den Kaiserthron erheben will.
Als ihr Flehen, er möge seine Seele retten, vergebens bleibt, stürzt sie nach
einer letzten Umarmung des Geliebten hinweg, um den Tod in den Fluten des
Bosporus zu suchen. Am Ufer findet Julian ihre Leiche, die ihm eine Welle
des Meeres entgegentreibt. Verzweifelt erkennt er die entseelte Braut, er nimmt
sie in seine Arme, unter Donner und Blitz den Ausruf: „Fluch, dreimal Fluch!"
zum Himmel seubert.

Die poetische Gestalt des liebenden Mädchens ist freie Erfindung. Im
übrigen wird die Geschichte ziemlich treu widergespiegelt. Der erste Akt gibt
uus ein Bild des beginnenden Verfalls des Reichs. Die Feinde bedrängen es
im Osten und im Westen, der elende Kaiser Konstcmtios, gänzlich in den Händen
seiner Höflinge, die um seine Schandtaten wissen, weiß der drohenden Gefahr
nicht zu begegnen. Der treue Feldherr Salustios rät dem Kaiser, den Kampf
mit den Persern aufzunehmen, nach dem Westen jedoch den Prinzen Julian,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/186>, abgerufen am 01.07.2024.