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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Lleon Rangabe und seine Werke

andre heroisch verteidigte und schützte. Als es endlich die Waffen strecken mußte,,
geschah es nicht, weil es von allen Seiten verlassen, sondern vom päpstlichen
Stuhl direkt bekämpft wurde. So geriet Konstantinopel zuerst in die Hände
der Kreuzfahrer, und nach Wiederherstellung der griechischen Herrschaft wurde
es bald darauf von den Türken erobert, die alsdann nach Verfall dieses Boll¬
werks den ganzen Orient beherrschten und bis Wien vordringen konnten.

Diese tausendjährige Periode griechischer Geschichte ist in jeder Beziehung
bedeutsam. Wohl in den Annalen keines andern Volkes finden wir so zahl¬
reiche Seiten, auf denen der höchste Ruhm wie das tiefste Elend nebeneinander
verzeichnet find. Und doch war diese Zeit im ganzen wenig bekannt, bis sie
Gibbon durch seine geniale Geschichte der Vergessenheit entriß. Er gab damit
Veranlassung, daß die byzantinischen Studien immer eifriger betrieben wurden,
wobei sich vor den Augen der modernen Geschichtsforscher ein Bild von un¬
geahnter Pracht aufrollte.

Schon als zwanzigjähriger Jüngling faßte Rangabe den Plan, dessen
Ausführung das Lebenswerk des Dichters war, die bedeutendsten Geschehnisse
dieser Zeit mit den damals wirkenden Persönlichkeiten und den sich bekämpfenden
Ideen und Leidenschaften zu schildern. Das rein dramatische Element, die
Stürme des menschlichen Herzens, die die historischen Vorgänge beleben und
zum packenden Schauspiel verwandeln, war in verschwenderischer Fülle überall
vorhanden. So sah sich Rangabe vor die große Aufgabe gestellt, das versunkne
Leben wieder durch neue Bilder, Formen, Töne und Farben in das Bewußt¬
sein des Volkes einzuzeichnen. Es ist der Gestaltungskraft des Dichters glänzend
gelungen. War er doch schon durch Familientradition imstande, sich in jene
Zeitspanne zurückzuversetzen, wie kaum ein andrer, denn er stammt aus edelm
byzantinischem Geschlecht, das bis zum Kaiser Michel dem Ersten Rangabe hinauf¬
reicht, der nach seiner Vermählung mit der Tochter des Kaisers Nicephor im
Jahre 811 den Thron von Byzanz bestieg.

Aus dem Lebenslauf des Dichters sei erwähnt, daß er als ältester Sohn
Alexander Rcmgabes, der als Dichter hochgeschätzt war, in Athen 1842 geboren
wurde. Gleich dem Vater widmete er sich der Staatskarriere, nachdem er in
Berlin und Heidelberg studiert und dort deutsche Wesensart lieb gewonnen hatte.
Später führten ihn diplomatische Ämter nach Washington, Paris, San Francisco,
Newyork, Petersburg, Wien, Bukarest, Alexandrien, schließlich Berlin, wo er
als griechischer Gesandter noch verweilt und in der gleichen Stellung, wie
sein inzwischen verstorbner Vater, sich als Dichter und als Mensch in allen
Kreisen der Gesellschaft großer Verehrung erfreut.

Seine Dramen sind folgende: "Julian Apostata", "Theodora (Justinian)",
"Kaiser Heraklios", "Die Bilderstürmer", "DieHerzogin von Athen". Der Roman
"Harald, Fürst der Waräger" gehört mit zu diesen Geschichtsbildern. Dieses
Werk, das die ganze Pracht des byzantinischen Hoflebens widerspiegelt, sowie
die drei zuletzt genannten Dramen sind in deutscher Übersetzung erschienen.


Grenzboten I 1903 24
Lleon Rangabe und seine Werke

andre heroisch verteidigte und schützte. Als es endlich die Waffen strecken mußte,,
geschah es nicht, weil es von allen Seiten verlassen, sondern vom päpstlichen
Stuhl direkt bekämpft wurde. So geriet Konstantinopel zuerst in die Hände
der Kreuzfahrer, und nach Wiederherstellung der griechischen Herrschaft wurde
es bald darauf von den Türken erobert, die alsdann nach Verfall dieses Boll¬
werks den ganzen Orient beherrschten und bis Wien vordringen konnten.

Diese tausendjährige Periode griechischer Geschichte ist in jeder Beziehung
bedeutsam. Wohl in den Annalen keines andern Volkes finden wir so zahl¬
reiche Seiten, auf denen der höchste Ruhm wie das tiefste Elend nebeneinander
verzeichnet find. Und doch war diese Zeit im ganzen wenig bekannt, bis sie
Gibbon durch seine geniale Geschichte der Vergessenheit entriß. Er gab damit
Veranlassung, daß die byzantinischen Studien immer eifriger betrieben wurden,
wobei sich vor den Augen der modernen Geschichtsforscher ein Bild von un¬
geahnter Pracht aufrollte.

Schon als zwanzigjähriger Jüngling faßte Rangabe den Plan, dessen
Ausführung das Lebenswerk des Dichters war, die bedeutendsten Geschehnisse
dieser Zeit mit den damals wirkenden Persönlichkeiten und den sich bekämpfenden
Ideen und Leidenschaften zu schildern. Das rein dramatische Element, die
Stürme des menschlichen Herzens, die die historischen Vorgänge beleben und
zum packenden Schauspiel verwandeln, war in verschwenderischer Fülle überall
vorhanden. So sah sich Rangabe vor die große Aufgabe gestellt, das versunkne
Leben wieder durch neue Bilder, Formen, Töne und Farben in das Bewußt¬
sein des Volkes einzuzeichnen. Es ist der Gestaltungskraft des Dichters glänzend
gelungen. War er doch schon durch Familientradition imstande, sich in jene
Zeitspanne zurückzuversetzen, wie kaum ein andrer, denn er stammt aus edelm
byzantinischem Geschlecht, das bis zum Kaiser Michel dem Ersten Rangabe hinauf¬
reicht, der nach seiner Vermählung mit der Tochter des Kaisers Nicephor im
Jahre 811 den Thron von Byzanz bestieg.

Aus dem Lebenslauf des Dichters sei erwähnt, daß er als ältester Sohn
Alexander Rcmgabes, der als Dichter hochgeschätzt war, in Athen 1842 geboren
wurde. Gleich dem Vater widmete er sich der Staatskarriere, nachdem er in
Berlin und Heidelberg studiert und dort deutsche Wesensart lieb gewonnen hatte.
Später führten ihn diplomatische Ämter nach Washington, Paris, San Francisco,
Newyork, Petersburg, Wien, Bukarest, Alexandrien, schließlich Berlin, wo er
als griechischer Gesandter noch verweilt und in der gleichen Stellung, wie
sein inzwischen verstorbner Vater, sich als Dichter und als Mensch in allen
Kreisen der Gesellschaft großer Verehrung erfreut.

Seine Dramen sind folgende: „Julian Apostata", „Theodora (Justinian)",
„Kaiser Heraklios", „Die Bilderstürmer", „DieHerzogin von Athen". Der Roman
„Harald, Fürst der Waräger" gehört mit zu diesen Geschichtsbildern. Dieses
Werk, das die ganze Pracht des byzantinischen Hoflebens widerspiegelt, sowie
die drei zuletzt genannten Dramen sind in deutscher Übersetzung erschienen.


Grenzboten I 1903 24
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[0185] Lleon Rangabe und seine Werke andre heroisch verteidigte und schützte. Als es endlich die Waffen strecken mußte,, geschah es nicht, weil es von allen Seiten verlassen, sondern vom päpstlichen Stuhl direkt bekämpft wurde. So geriet Konstantinopel zuerst in die Hände der Kreuzfahrer, und nach Wiederherstellung der griechischen Herrschaft wurde es bald darauf von den Türken erobert, die alsdann nach Verfall dieses Boll¬ werks den ganzen Orient beherrschten und bis Wien vordringen konnten. Diese tausendjährige Periode griechischer Geschichte ist in jeder Beziehung bedeutsam. Wohl in den Annalen keines andern Volkes finden wir so zahl¬ reiche Seiten, auf denen der höchste Ruhm wie das tiefste Elend nebeneinander verzeichnet find. Und doch war diese Zeit im ganzen wenig bekannt, bis sie Gibbon durch seine geniale Geschichte der Vergessenheit entriß. Er gab damit Veranlassung, daß die byzantinischen Studien immer eifriger betrieben wurden, wobei sich vor den Augen der modernen Geschichtsforscher ein Bild von un¬ geahnter Pracht aufrollte. Schon als zwanzigjähriger Jüngling faßte Rangabe den Plan, dessen Ausführung das Lebenswerk des Dichters war, die bedeutendsten Geschehnisse dieser Zeit mit den damals wirkenden Persönlichkeiten und den sich bekämpfenden Ideen und Leidenschaften zu schildern. Das rein dramatische Element, die Stürme des menschlichen Herzens, die die historischen Vorgänge beleben und zum packenden Schauspiel verwandeln, war in verschwenderischer Fülle überall vorhanden. So sah sich Rangabe vor die große Aufgabe gestellt, das versunkne Leben wieder durch neue Bilder, Formen, Töne und Farben in das Bewußt¬ sein des Volkes einzuzeichnen. Es ist der Gestaltungskraft des Dichters glänzend gelungen. War er doch schon durch Familientradition imstande, sich in jene Zeitspanne zurückzuversetzen, wie kaum ein andrer, denn er stammt aus edelm byzantinischem Geschlecht, das bis zum Kaiser Michel dem Ersten Rangabe hinauf¬ reicht, der nach seiner Vermählung mit der Tochter des Kaisers Nicephor im Jahre 811 den Thron von Byzanz bestieg. Aus dem Lebenslauf des Dichters sei erwähnt, daß er als ältester Sohn Alexander Rcmgabes, der als Dichter hochgeschätzt war, in Athen 1842 geboren wurde. Gleich dem Vater widmete er sich der Staatskarriere, nachdem er in Berlin und Heidelberg studiert und dort deutsche Wesensart lieb gewonnen hatte. Später führten ihn diplomatische Ämter nach Washington, Paris, San Francisco, Newyork, Petersburg, Wien, Bukarest, Alexandrien, schließlich Berlin, wo er als griechischer Gesandter noch verweilt und in der gleichen Stellung, wie sein inzwischen verstorbner Vater, sich als Dichter und als Mensch in allen Kreisen der Gesellschaft großer Verehrung erfreut. Seine Dramen sind folgende: „Julian Apostata", „Theodora (Justinian)", „Kaiser Heraklios", „Die Bilderstürmer", „DieHerzogin von Athen". Der Roman „Harald, Fürst der Waräger" gehört mit zu diesen Geschichtsbildern. Dieses Werk, das die ganze Pracht des byzantinischen Hoflebens widerspiegelt, sowie die drei zuletzt genannten Dramen sind in deutscher Übersetzung erschienen. Grenzboten I 1903 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/185>, abgerufen am 29.06.2024.