Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die vinetasage

So entstand der unabhängige Wikingerstaat der Jomsburg, etwa um das
Jahr 990 unsrer Zeitrechnung. Und jetzt gewann auch das alte Freund¬
schaftsbündnis mit Julin eine neue Bedeutung. Die beiden Plätze bildeten
jetzt eine Gemeinschaft, die ihnen ihre Unabhängigkeit verbürgte. Der Handel
von Julin erfuhr eine größere Zunahme, seit es durch die Jomsburg gegen
Angriffe vom Meere her geschützt war, die Jomsburger aber fanden einen
reichen Absatzplatz für die Beute, die sie von ihren Kriegs- und Raubfahrten
heimbrachten.

Die vielverschlungne, durch Sagen umgestaltete Geschichte dieser Ver¬
einigung von Julin und Jomsburg braucht hier nicht erzählt zu werden. Bei
dem Versuch, Jomsburg wieder zu erobern, erlitt Sven Gabelbart eine schwere
Demütigung, aber bei seinen spätern Zügen gegen Norwegen und England
-- Sven hat bekanntlich England erobert -- leisteten ihm die Jomsburger
Heeresfolge. Während der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts blieben sie
die gefürchteten Herren dieses Teils der Ostsee, und ihr Ruhm strahlte auch
auf Julin zurück, das in der Vorstellung der entfernter wohnenden kaum
noch von Jomsburg unterschieden wurde. Freilich fehlte es auch nicht an
schlimmen Wechselfällen; im Jahre 1042 gelang es König Magnus dem Guten,
den Doppelfreistaat Jomsburg-Julin zu züchtigen, die Jomsburg zu zerstören
und die Anerkennung der dänischen Oberhoheit zu erzwingen. Aber von
diesem Schlage erholten sich die Betroffnen schnell; zu Zeiten des Dänenkönigs
Sven Estridson, dessen Mutter Estrid eine Tochter des Sven Gabelbart war,
war Jomsburg-Julin wieder eine blühende, tatsächlich unabhängige Macht.
Nur lag der Schwerpunkt jetzt in der Stadt Julin, die die Stätte der alten
Jomsburg jetzt selbst in Besitz genommen hatte; die alten Wikinger hausten
nicht mehr drin. Mit dem Beginn des zwölften Jahrhunderts ging auch
diese Herrlichkeit zugrunde. Der Übermut der Juliner und ihre Feindseligkeit
gegen die Dänen, deren Küsten sie fortwährend brandschatzten, bewogen den
König Erik Ejegod zu einem Rachezug gegen Julin. Die Stadt wurde er¬
obert, ihre Befestigungen zerstört, ihr Hafenplatz an der Mündung der Swine
dem Erdboden gleichgemacht und ihr Wohlstand für immer vernichtet. Auch
der Handel der Stadt erreichte nie wieder seine alte Blüte. Die Weltlage
hatte sich geändert, und der osteuropäische Handel suchte sich andre Wege.
Nur wenige Jahre darauf finden wir Julin, wofür sich bald der Name
Wollin einbürgert, unter der Oberhoheit des Pommernfürsten Wartislaw.
Als Otto von Bamberg im Jahre 1124 seine erste Missionsreise nach Pommern
unternahm, fand er in Julin noch den trotzigen Unabhüngigkeitssinn, der sich
um die Gebote des Fürsten Wartislaw wenig kümmerte und dem Christentum
die alte Feindseligkeit entgegenbrachte. Aber schon um die Mitte des zwölften
Jahrhunderts war der alte Trotz gebrochen, mehr und mehr trat die Stadt
hinter dem aufstrebenden Stettin zurück, und auch der Bischofssitz, der anfangs
dorthin gelegt worden war, ging 1174 auf Kammin über. So sank Wollin


Die vinetasage

So entstand der unabhängige Wikingerstaat der Jomsburg, etwa um das
Jahr 990 unsrer Zeitrechnung. Und jetzt gewann auch das alte Freund¬
schaftsbündnis mit Julin eine neue Bedeutung. Die beiden Plätze bildeten
jetzt eine Gemeinschaft, die ihnen ihre Unabhängigkeit verbürgte. Der Handel
von Julin erfuhr eine größere Zunahme, seit es durch die Jomsburg gegen
Angriffe vom Meere her geschützt war, die Jomsburger aber fanden einen
reichen Absatzplatz für die Beute, die sie von ihren Kriegs- und Raubfahrten
heimbrachten.

Die vielverschlungne, durch Sagen umgestaltete Geschichte dieser Ver¬
einigung von Julin und Jomsburg braucht hier nicht erzählt zu werden. Bei
dem Versuch, Jomsburg wieder zu erobern, erlitt Sven Gabelbart eine schwere
Demütigung, aber bei seinen spätern Zügen gegen Norwegen und England
— Sven hat bekanntlich England erobert — leisteten ihm die Jomsburger
Heeresfolge. Während der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts blieben sie
die gefürchteten Herren dieses Teils der Ostsee, und ihr Ruhm strahlte auch
auf Julin zurück, das in der Vorstellung der entfernter wohnenden kaum
noch von Jomsburg unterschieden wurde. Freilich fehlte es auch nicht an
schlimmen Wechselfällen; im Jahre 1042 gelang es König Magnus dem Guten,
den Doppelfreistaat Jomsburg-Julin zu züchtigen, die Jomsburg zu zerstören
und die Anerkennung der dänischen Oberhoheit zu erzwingen. Aber von
diesem Schlage erholten sich die Betroffnen schnell; zu Zeiten des Dänenkönigs
Sven Estridson, dessen Mutter Estrid eine Tochter des Sven Gabelbart war,
war Jomsburg-Julin wieder eine blühende, tatsächlich unabhängige Macht.
Nur lag der Schwerpunkt jetzt in der Stadt Julin, die die Stätte der alten
Jomsburg jetzt selbst in Besitz genommen hatte; die alten Wikinger hausten
nicht mehr drin. Mit dem Beginn des zwölften Jahrhunderts ging auch
diese Herrlichkeit zugrunde. Der Übermut der Juliner und ihre Feindseligkeit
gegen die Dänen, deren Küsten sie fortwährend brandschatzten, bewogen den
König Erik Ejegod zu einem Rachezug gegen Julin. Die Stadt wurde er¬
obert, ihre Befestigungen zerstört, ihr Hafenplatz an der Mündung der Swine
dem Erdboden gleichgemacht und ihr Wohlstand für immer vernichtet. Auch
der Handel der Stadt erreichte nie wieder seine alte Blüte. Die Weltlage
hatte sich geändert, und der osteuropäische Handel suchte sich andre Wege.
Nur wenige Jahre darauf finden wir Julin, wofür sich bald der Name
Wollin einbürgert, unter der Oberhoheit des Pommernfürsten Wartislaw.
Als Otto von Bamberg im Jahre 1124 seine erste Missionsreise nach Pommern
unternahm, fand er in Julin noch den trotzigen Unabhüngigkeitssinn, der sich
um die Gebote des Fürsten Wartislaw wenig kümmerte und dem Christentum
die alte Feindseligkeit entgegenbrachte. Aber schon um die Mitte des zwölften
Jahrhunderts war der alte Trotz gebrochen, mehr und mehr trat die Stadt
hinter dem aufstrebenden Stettin zurück, und auch der Bischofssitz, der anfangs
dorthin gelegt worden war, ging 1174 auf Kammin über. So sank Wollin


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311260"/>
            <fw type="header" place="top"> Die vinetasage</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_805"> So entstand der unabhängige Wikingerstaat der Jomsburg, etwa um das<lb/>
Jahr 990 unsrer Zeitrechnung. Und jetzt gewann auch das alte Freund¬<lb/>
schaftsbündnis mit Julin eine neue Bedeutung. Die beiden Plätze bildeten<lb/>
jetzt eine Gemeinschaft, die ihnen ihre Unabhängigkeit verbürgte. Der Handel<lb/>
von Julin erfuhr eine größere Zunahme, seit es durch die Jomsburg gegen<lb/>
Angriffe vom Meere her geschützt war, die Jomsburger aber fanden einen<lb/>
reichen Absatzplatz für die Beute, die sie von ihren Kriegs- und Raubfahrten<lb/>
heimbrachten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_806" next="#ID_807"> Die vielverschlungne, durch Sagen umgestaltete Geschichte dieser Ver¬<lb/>
einigung von Julin und Jomsburg braucht hier nicht erzählt zu werden. Bei<lb/>
dem Versuch, Jomsburg wieder zu erobern, erlitt Sven Gabelbart eine schwere<lb/>
Demütigung, aber bei seinen spätern Zügen gegen Norwegen und England<lb/>
&#x2014; Sven hat bekanntlich England erobert &#x2014; leisteten ihm die Jomsburger<lb/>
Heeresfolge. Während der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts blieben sie<lb/>
die gefürchteten Herren dieses Teils der Ostsee, und ihr Ruhm strahlte auch<lb/>
auf Julin zurück, das in der Vorstellung der entfernter wohnenden kaum<lb/>
noch von Jomsburg unterschieden wurde. Freilich fehlte es auch nicht an<lb/>
schlimmen Wechselfällen; im Jahre 1042 gelang es König Magnus dem Guten,<lb/>
den Doppelfreistaat Jomsburg-Julin zu züchtigen, die Jomsburg zu zerstören<lb/>
und die Anerkennung der dänischen Oberhoheit zu erzwingen. Aber von<lb/>
diesem Schlage erholten sich die Betroffnen schnell; zu Zeiten des Dänenkönigs<lb/>
Sven Estridson, dessen Mutter Estrid eine Tochter des Sven Gabelbart war,<lb/>
war Jomsburg-Julin wieder eine blühende, tatsächlich unabhängige Macht.<lb/>
Nur lag der Schwerpunkt jetzt in der Stadt Julin, die die Stätte der alten<lb/>
Jomsburg jetzt selbst in Besitz genommen hatte; die alten Wikinger hausten<lb/>
nicht mehr drin. Mit dem Beginn des zwölften Jahrhunderts ging auch<lb/>
diese Herrlichkeit zugrunde. Der Übermut der Juliner und ihre Feindseligkeit<lb/>
gegen die Dänen, deren Küsten sie fortwährend brandschatzten, bewogen den<lb/>
König Erik Ejegod zu einem Rachezug gegen Julin. Die Stadt wurde er¬<lb/>
obert, ihre Befestigungen zerstört, ihr Hafenplatz an der Mündung der Swine<lb/>
dem Erdboden gleichgemacht und ihr Wohlstand für immer vernichtet. Auch<lb/>
der Handel der Stadt erreichte nie wieder seine alte Blüte. Die Weltlage<lb/>
hatte sich geändert, und der osteuropäische Handel suchte sich andre Wege.<lb/>
Nur wenige Jahre darauf finden wir Julin, wofür sich bald der Name<lb/>
Wollin einbürgert, unter der Oberhoheit des Pommernfürsten Wartislaw.<lb/>
Als Otto von Bamberg im Jahre 1124 seine erste Missionsreise nach Pommern<lb/>
unternahm, fand er in Julin noch den trotzigen Unabhüngigkeitssinn, der sich<lb/>
um die Gebote des Fürsten Wartislaw wenig kümmerte und dem Christentum<lb/>
die alte Feindseligkeit entgegenbrachte. Aber schon um die Mitte des zwölften<lb/>
Jahrhunderts war der alte Trotz gebrochen, mehr und mehr trat die Stadt<lb/>
hinter dem aufstrebenden Stettin zurück, und auch der Bischofssitz, der anfangs<lb/>
dorthin gelegt worden war, ging 1174 auf Kammin über. So sank Wollin</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0179] Die vinetasage So entstand der unabhängige Wikingerstaat der Jomsburg, etwa um das Jahr 990 unsrer Zeitrechnung. Und jetzt gewann auch das alte Freund¬ schaftsbündnis mit Julin eine neue Bedeutung. Die beiden Plätze bildeten jetzt eine Gemeinschaft, die ihnen ihre Unabhängigkeit verbürgte. Der Handel von Julin erfuhr eine größere Zunahme, seit es durch die Jomsburg gegen Angriffe vom Meere her geschützt war, die Jomsburger aber fanden einen reichen Absatzplatz für die Beute, die sie von ihren Kriegs- und Raubfahrten heimbrachten. Die vielverschlungne, durch Sagen umgestaltete Geschichte dieser Ver¬ einigung von Julin und Jomsburg braucht hier nicht erzählt zu werden. Bei dem Versuch, Jomsburg wieder zu erobern, erlitt Sven Gabelbart eine schwere Demütigung, aber bei seinen spätern Zügen gegen Norwegen und England — Sven hat bekanntlich England erobert — leisteten ihm die Jomsburger Heeresfolge. Während der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts blieben sie die gefürchteten Herren dieses Teils der Ostsee, und ihr Ruhm strahlte auch auf Julin zurück, das in der Vorstellung der entfernter wohnenden kaum noch von Jomsburg unterschieden wurde. Freilich fehlte es auch nicht an schlimmen Wechselfällen; im Jahre 1042 gelang es König Magnus dem Guten, den Doppelfreistaat Jomsburg-Julin zu züchtigen, die Jomsburg zu zerstören und die Anerkennung der dänischen Oberhoheit zu erzwingen. Aber von diesem Schlage erholten sich die Betroffnen schnell; zu Zeiten des Dänenkönigs Sven Estridson, dessen Mutter Estrid eine Tochter des Sven Gabelbart war, war Jomsburg-Julin wieder eine blühende, tatsächlich unabhängige Macht. Nur lag der Schwerpunkt jetzt in der Stadt Julin, die die Stätte der alten Jomsburg jetzt selbst in Besitz genommen hatte; die alten Wikinger hausten nicht mehr drin. Mit dem Beginn des zwölften Jahrhunderts ging auch diese Herrlichkeit zugrunde. Der Übermut der Juliner und ihre Feindseligkeit gegen die Dänen, deren Küsten sie fortwährend brandschatzten, bewogen den König Erik Ejegod zu einem Rachezug gegen Julin. Die Stadt wurde er¬ obert, ihre Befestigungen zerstört, ihr Hafenplatz an der Mündung der Swine dem Erdboden gleichgemacht und ihr Wohlstand für immer vernichtet. Auch der Handel der Stadt erreichte nie wieder seine alte Blüte. Die Weltlage hatte sich geändert, und der osteuropäische Handel suchte sich andre Wege. Nur wenige Jahre darauf finden wir Julin, wofür sich bald der Name Wollin einbürgert, unter der Oberhoheit des Pommernfürsten Wartislaw. Als Otto von Bamberg im Jahre 1124 seine erste Missionsreise nach Pommern unternahm, fand er in Julin noch den trotzigen Unabhüngigkeitssinn, der sich um die Gebote des Fürsten Wartislaw wenig kümmerte und dem Christentum die alte Feindseligkeit entgegenbrachte. Aber schon um die Mitte des zwölften Jahrhunderts war der alte Trotz gebrochen, mehr und mehr trat die Stadt hinter dem aufstrebenden Stettin zurück, und auch der Bischofssitz, der anfangs dorthin gelegt worden war, ging 1174 auf Kammin über. So sank Wollin

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/179
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/179>, abgerufen am 22.07.2024.