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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die vinetasage

Von seiner alten Höhe herab, von der alten Jomsburg aber verschwand, wie
es bei den damals im Norden üblichen Holz- und Erdbefestigungen nicht anders
sein konnte, jede Spur,


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Aus den nordischen Sagen, den dänischen Geschichtsquellen und sonstigen
verstreuten historischen Zeugnissen können wir heute den geschichtlichen Kern
der Überlieferungen über die beiden berühmten Platze auf der Insel Wollin,
Julin an der Dievenow und Jomsburg um der Mündung der Swine, mit
ziemlicher Deutlichkeit erkennen. Aber die bekannteste deutsche Quelle aus
jener Zeit ist zugleich die, die den Zusammenhang am meisten verdunkelt hat.
Es ist die Beschreibung des Domherrn Adam von Bremen, die etwa um 1070
verfaßt worden ist. Damals war also der alte Freistaat der Jomsburg-
Wikinger schon vernichtet, aber der Platz mit der wiederhergestellten Be¬
festigung bestand noch fort als Hafenort von Julin, und diese Stadt stand
noch auf der Höhe der Macht. Adam von Bremen verfaßte seine Beschreibung
dieser Gegenden zum Teil nach mündlichen Mitteilungen des Königs Sven
Estridson, mit dem er persönlich bekannt war. Das hat seiner Schilderung
besondres Gewicht gegeben, und doch mischte sie viel Fabelhaftes hinein --
mochten nun die Erzählungen des dänischen Königs und seiner Geführten
vielleicht selbst schon phantastisch ausgeschmückt sein, oder mochten sie nur
gewisse Mißverständnisse erwecken, oder mochte endlich Adam von Bremen
selbst dem Geschmack seiner Zeit folgen und absichtlich alles mögliche hinein-
mengen, was ihm interessant erschien. So bekommt man aus seiner Schilderung
keinen klaren Begriff von der Lage von Julin, für das er die dänische Be¬
zeichnung Innre gebrauchte. In seiner Vorstellung verschmilzt es mit seinein
Hafenort in eins, und Swine, Dievenow und Ostsee vermischen sich in der
Phantasie des Erzählers zu drei verschiedenartigen Gewässern, von denen
Julin bespült wird. Der Handel der Stadt wird glänzender und umfang¬
reicher geschildert, als er wohl je gewesen ist, und wenn er die heidnischen
Besucher des Handelsplatzes und die griechisch-katholischen Russen als LarbM
Llr^sei bezeichnet, so klingt das auch etwas hochtrabender, als es eigentlich
zu verstehn ist. Der bunte und abenteuerliche Bericht des wackern Domherrn
mußte jedenfalls in einer Zeit, die an solchen wunderbaren Schilderungen be¬
sondres Gefallen fand, die Phantasie lebhaft anregen.

Ungefähr hundert Jahre waren verflossen, als ein Geistlicher in der
Landschaft Wagrieu, der Pfarrer vou Bosow namens Helmold, seine "Chronik
der Slawen" schrieb. Auch er gibt eine Schilderung von Wollin, das aber
zu seiner Zeit schon ein harmloses Provinzstädtchen geworden war. Das
nahm er aus eigner Kenntnis; was er aber nicht kannte, das nahm er aus
Adam von Bremen, nämlich die Schilderung der Vergangenheit. Das Werk
Adams war sehr bekannt; es lag also sehr nahe, daraus zu schöpfen. Daß
Helmold es getan hat, erkennt man daraus, daß er die Schilderung Adams


Die vinetasage

Von seiner alten Höhe herab, von der alten Jomsburg aber verschwand, wie
es bei den damals im Norden üblichen Holz- und Erdbefestigungen nicht anders
sein konnte, jede Spur,


4

Aus den nordischen Sagen, den dänischen Geschichtsquellen und sonstigen
verstreuten historischen Zeugnissen können wir heute den geschichtlichen Kern
der Überlieferungen über die beiden berühmten Platze auf der Insel Wollin,
Julin an der Dievenow und Jomsburg um der Mündung der Swine, mit
ziemlicher Deutlichkeit erkennen. Aber die bekannteste deutsche Quelle aus
jener Zeit ist zugleich die, die den Zusammenhang am meisten verdunkelt hat.
Es ist die Beschreibung des Domherrn Adam von Bremen, die etwa um 1070
verfaßt worden ist. Damals war also der alte Freistaat der Jomsburg-
Wikinger schon vernichtet, aber der Platz mit der wiederhergestellten Be¬
festigung bestand noch fort als Hafenort von Julin, und diese Stadt stand
noch auf der Höhe der Macht. Adam von Bremen verfaßte seine Beschreibung
dieser Gegenden zum Teil nach mündlichen Mitteilungen des Königs Sven
Estridson, mit dem er persönlich bekannt war. Das hat seiner Schilderung
besondres Gewicht gegeben, und doch mischte sie viel Fabelhaftes hinein —
mochten nun die Erzählungen des dänischen Königs und seiner Geführten
vielleicht selbst schon phantastisch ausgeschmückt sein, oder mochten sie nur
gewisse Mißverständnisse erwecken, oder mochte endlich Adam von Bremen
selbst dem Geschmack seiner Zeit folgen und absichtlich alles mögliche hinein-
mengen, was ihm interessant erschien. So bekommt man aus seiner Schilderung
keinen klaren Begriff von der Lage von Julin, für das er die dänische Be¬
zeichnung Innre gebrauchte. In seiner Vorstellung verschmilzt es mit seinein
Hafenort in eins, und Swine, Dievenow und Ostsee vermischen sich in der
Phantasie des Erzählers zu drei verschiedenartigen Gewässern, von denen
Julin bespült wird. Der Handel der Stadt wird glänzender und umfang¬
reicher geschildert, als er wohl je gewesen ist, und wenn er die heidnischen
Besucher des Handelsplatzes und die griechisch-katholischen Russen als LarbM
Llr^sei bezeichnet, so klingt das auch etwas hochtrabender, als es eigentlich
zu verstehn ist. Der bunte und abenteuerliche Bericht des wackern Domherrn
mußte jedenfalls in einer Zeit, die an solchen wunderbaren Schilderungen be¬
sondres Gefallen fand, die Phantasie lebhaft anregen.

Ungefähr hundert Jahre waren verflossen, als ein Geistlicher in der
Landschaft Wagrieu, der Pfarrer vou Bosow namens Helmold, seine „Chronik
der Slawen" schrieb. Auch er gibt eine Schilderung von Wollin, das aber
zu seiner Zeit schon ein harmloses Provinzstädtchen geworden war. Das
nahm er aus eigner Kenntnis; was er aber nicht kannte, das nahm er aus
Adam von Bremen, nämlich die Schilderung der Vergangenheit. Das Werk
Adams war sehr bekannt; es lag also sehr nahe, daraus zu schöpfen. Daß
Helmold es getan hat, erkennt man daraus, daß er die Schilderung Adams


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[0180] Die vinetasage Von seiner alten Höhe herab, von der alten Jomsburg aber verschwand, wie es bei den damals im Norden üblichen Holz- und Erdbefestigungen nicht anders sein konnte, jede Spur, 4 Aus den nordischen Sagen, den dänischen Geschichtsquellen und sonstigen verstreuten historischen Zeugnissen können wir heute den geschichtlichen Kern der Überlieferungen über die beiden berühmten Platze auf der Insel Wollin, Julin an der Dievenow und Jomsburg um der Mündung der Swine, mit ziemlicher Deutlichkeit erkennen. Aber die bekannteste deutsche Quelle aus jener Zeit ist zugleich die, die den Zusammenhang am meisten verdunkelt hat. Es ist die Beschreibung des Domherrn Adam von Bremen, die etwa um 1070 verfaßt worden ist. Damals war also der alte Freistaat der Jomsburg- Wikinger schon vernichtet, aber der Platz mit der wiederhergestellten Be¬ festigung bestand noch fort als Hafenort von Julin, und diese Stadt stand noch auf der Höhe der Macht. Adam von Bremen verfaßte seine Beschreibung dieser Gegenden zum Teil nach mündlichen Mitteilungen des Königs Sven Estridson, mit dem er persönlich bekannt war. Das hat seiner Schilderung besondres Gewicht gegeben, und doch mischte sie viel Fabelhaftes hinein — mochten nun die Erzählungen des dänischen Königs und seiner Geführten vielleicht selbst schon phantastisch ausgeschmückt sein, oder mochten sie nur gewisse Mißverständnisse erwecken, oder mochte endlich Adam von Bremen selbst dem Geschmack seiner Zeit folgen und absichtlich alles mögliche hinein- mengen, was ihm interessant erschien. So bekommt man aus seiner Schilderung keinen klaren Begriff von der Lage von Julin, für das er die dänische Be¬ zeichnung Innre gebrauchte. In seiner Vorstellung verschmilzt es mit seinein Hafenort in eins, und Swine, Dievenow und Ostsee vermischen sich in der Phantasie des Erzählers zu drei verschiedenartigen Gewässern, von denen Julin bespült wird. Der Handel der Stadt wird glänzender und umfang¬ reicher geschildert, als er wohl je gewesen ist, und wenn er die heidnischen Besucher des Handelsplatzes und die griechisch-katholischen Russen als LarbM Llr^sei bezeichnet, so klingt das auch etwas hochtrabender, als es eigentlich zu verstehn ist. Der bunte und abenteuerliche Bericht des wackern Domherrn mußte jedenfalls in einer Zeit, die an solchen wunderbaren Schilderungen be¬ sondres Gefallen fand, die Phantasie lebhaft anregen. Ungefähr hundert Jahre waren verflossen, als ein Geistlicher in der Landschaft Wagrieu, der Pfarrer vou Bosow namens Helmold, seine „Chronik der Slawen" schrieb. Auch er gibt eine Schilderung von Wollin, das aber zu seiner Zeit schon ein harmloses Provinzstädtchen geworden war. Das nahm er aus eigner Kenntnis; was er aber nicht kannte, das nahm er aus Adam von Bremen, nämlich die Schilderung der Vergangenheit. Das Werk Adams war sehr bekannt; es lag also sehr nahe, daraus zu schöpfen. Daß Helmold es getan hat, erkennt man daraus, daß er die Schilderung Adams

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/180>, abgerufen am 22.07.2024.