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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die vinetasage

König Harald hatte einen vornehmen schwedischen Flüchtling, Storbjörn,
als seinen Statthalter und Kommandanten eingesetzt. Mit den benachbarten
Slawen entwickelten sich bald freundliche Beziehungen, und in der Folgezeit
zeigte sich immer mehr, daß Julin und die Jomsburg sich gegenseitig viel
nützen konnten.

Inzwischen hatte Harald Blauzahn den Schritt getan, zu dem sein Vater
noch nicht zu bewegen gewesen war. Er hatte das Christentum angenommen.
Aber der Dänenfürst fand bei seinem Volke nicht die Gefügigkeit, die dem
Mscislaw diesen Schritt so leicht machte; heiße Kämpfe rief der Abfall vom
alten Volksglauben bei den trotzigen Nordländern hervor, und der Sohn
stand wider den Vater. In diese Kämpfe spielt die halb sagenhafte Gestalt
eines Helden von der Insel Fünen hinein, des Patna Tote, des dänischen
Tell. Der als kunstreicher Bogenschütze berühmte Kriegsmann war dem Ge¬
schlecht Görms des Alten durch alte Freundschaft verbunden; in seinem Hause
war König Haralds ältester Sohn Sven zur Welt gekommen, der König hatte
ihm die Erziehung des Knaben anvertraut, und mit Verehrung blickte der
junge Sven auf den bewährten Helden. Nun wurde der König ein Ab¬
trünniger an den alten Göttern, an denen Patna Tote mit unerschütterlicher
Treue hing. Harald war von rasch zufahrendem Wesen und tyrannischer
Gemütsart; er fand deshalb bei seinen Bemühungen um die Ausrottung des
alten Götterglaubens erbitterten Widerstand, und der angesammelte Groll
entlud sich in offner Empörung. Harald wurde Vertrieben und fand seine
Zuflucht in der Jomsburg, sein Sohn aber stand in den Reihen seiner
triumphierenden Gegner. In dieser schweren Zeit gewährten die Slawen in
"Innre", besonders die Juliner, dem gedemütigten König freundliche Unter¬
stützung. Von der Jomsburg aus sammelte er neue Kräfte und bereitete die
Wiedergewinnung seines Thrones vor. Wirklich kam die Zeit, wo Harald
sich wieder als Herr seines Reiches sah, und Sven sich ihm unterwarf. Patna
Tote aber geriet in die Gewalt des ergrimmten Königs, der an ihm seine
Rache kühlen wollte. Die Sage berichtet denselben Zug, der sich schon in
der Wielcmdsage findet, und dem wir in der Erzählung vom Tell wieder be¬
gegnen. Harald forderte von Tote, daß er einen Apfel vom Haupte des
eignen Sohnes schieße, und der Held bestand die furchtbare Probe, nicht ohne
dem grausamen Herrscher unversöhnliche Rache geschworen zu haben. Und
dieser Rache fiel Harald wirklich zum Opfer; auf einem Kriegszuge durch¬
bohrte ihn Patna Tokes Pfeil. Aber der Mörder wurde seiner Tat nicht
froh. Sein einstiger Liebling Sven -- die Geschichte kennt ihn unter dem
Beinamen "Gabelbart" -- war nun König, aber zwischen ihnen stand das
Gespenst der Blutrache, und so floh Patna Tote sehr bald nach Haralds
Tode mit seinen Getreuen nach der Jomsburg, um sich hier ganz von der
alten Heimat unabhängig zu machen und in Freiheit seine Heldenideale zu
verwirklichen.


Die vinetasage

König Harald hatte einen vornehmen schwedischen Flüchtling, Storbjörn,
als seinen Statthalter und Kommandanten eingesetzt. Mit den benachbarten
Slawen entwickelten sich bald freundliche Beziehungen, und in der Folgezeit
zeigte sich immer mehr, daß Julin und die Jomsburg sich gegenseitig viel
nützen konnten.

Inzwischen hatte Harald Blauzahn den Schritt getan, zu dem sein Vater
noch nicht zu bewegen gewesen war. Er hatte das Christentum angenommen.
Aber der Dänenfürst fand bei seinem Volke nicht die Gefügigkeit, die dem
Mscislaw diesen Schritt so leicht machte; heiße Kämpfe rief der Abfall vom
alten Volksglauben bei den trotzigen Nordländern hervor, und der Sohn
stand wider den Vater. In diese Kämpfe spielt die halb sagenhafte Gestalt
eines Helden von der Insel Fünen hinein, des Patna Tote, des dänischen
Tell. Der als kunstreicher Bogenschütze berühmte Kriegsmann war dem Ge¬
schlecht Görms des Alten durch alte Freundschaft verbunden; in seinem Hause
war König Haralds ältester Sohn Sven zur Welt gekommen, der König hatte
ihm die Erziehung des Knaben anvertraut, und mit Verehrung blickte der
junge Sven auf den bewährten Helden. Nun wurde der König ein Ab¬
trünniger an den alten Göttern, an denen Patna Tote mit unerschütterlicher
Treue hing. Harald war von rasch zufahrendem Wesen und tyrannischer
Gemütsart; er fand deshalb bei seinen Bemühungen um die Ausrottung des
alten Götterglaubens erbitterten Widerstand, und der angesammelte Groll
entlud sich in offner Empörung. Harald wurde Vertrieben und fand seine
Zuflucht in der Jomsburg, sein Sohn aber stand in den Reihen seiner
triumphierenden Gegner. In dieser schweren Zeit gewährten die Slawen in
„Innre", besonders die Juliner, dem gedemütigten König freundliche Unter¬
stützung. Von der Jomsburg aus sammelte er neue Kräfte und bereitete die
Wiedergewinnung seines Thrones vor. Wirklich kam die Zeit, wo Harald
sich wieder als Herr seines Reiches sah, und Sven sich ihm unterwarf. Patna
Tote aber geriet in die Gewalt des ergrimmten Königs, der an ihm seine
Rache kühlen wollte. Die Sage berichtet denselben Zug, der sich schon in
der Wielcmdsage findet, und dem wir in der Erzählung vom Tell wieder be¬
gegnen. Harald forderte von Tote, daß er einen Apfel vom Haupte des
eignen Sohnes schieße, und der Held bestand die furchtbare Probe, nicht ohne
dem grausamen Herrscher unversöhnliche Rache geschworen zu haben. Und
dieser Rache fiel Harald wirklich zum Opfer; auf einem Kriegszuge durch¬
bohrte ihn Patna Tokes Pfeil. Aber der Mörder wurde seiner Tat nicht
froh. Sein einstiger Liebling Sven — die Geschichte kennt ihn unter dem
Beinamen „Gabelbart" — war nun König, aber zwischen ihnen stand das
Gespenst der Blutrache, und so floh Patna Tote sehr bald nach Haralds
Tode mit seinen Getreuen nach der Jomsburg, um sich hier ganz von der
alten Heimat unabhängig zu machen und in Freiheit seine Heldenideale zu
verwirklichen.


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[0178] Die vinetasage König Harald hatte einen vornehmen schwedischen Flüchtling, Storbjörn, als seinen Statthalter und Kommandanten eingesetzt. Mit den benachbarten Slawen entwickelten sich bald freundliche Beziehungen, und in der Folgezeit zeigte sich immer mehr, daß Julin und die Jomsburg sich gegenseitig viel nützen konnten. Inzwischen hatte Harald Blauzahn den Schritt getan, zu dem sein Vater noch nicht zu bewegen gewesen war. Er hatte das Christentum angenommen. Aber der Dänenfürst fand bei seinem Volke nicht die Gefügigkeit, die dem Mscislaw diesen Schritt so leicht machte; heiße Kämpfe rief der Abfall vom alten Volksglauben bei den trotzigen Nordländern hervor, und der Sohn stand wider den Vater. In diese Kämpfe spielt die halb sagenhafte Gestalt eines Helden von der Insel Fünen hinein, des Patna Tote, des dänischen Tell. Der als kunstreicher Bogenschütze berühmte Kriegsmann war dem Ge¬ schlecht Görms des Alten durch alte Freundschaft verbunden; in seinem Hause war König Haralds ältester Sohn Sven zur Welt gekommen, der König hatte ihm die Erziehung des Knaben anvertraut, und mit Verehrung blickte der junge Sven auf den bewährten Helden. Nun wurde der König ein Ab¬ trünniger an den alten Göttern, an denen Patna Tote mit unerschütterlicher Treue hing. Harald war von rasch zufahrendem Wesen und tyrannischer Gemütsart; er fand deshalb bei seinen Bemühungen um die Ausrottung des alten Götterglaubens erbitterten Widerstand, und der angesammelte Groll entlud sich in offner Empörung. Harald wurde Vertrieben und fand seine Zuflucht in der Jomsburg, sein Sohn aber stand in den Reihen seiner triumphierenden Gegner. In dieser schweren Zeit gewährten die Slawen in „Innre", besonders die Juliner, dem gedemütigten König freundliche Unter¬ stützung. Von der Jomsburg aus sammelte er neue Kräfte und bereitete die Wiedergewinnung seines Thrones vor. Wirklich kam die Zeit, wo Harald sich wieder als Herr seines Reiches sah, und Sven sich ihm unterwarf. Patna Tote aber geriet in die Gewalt des ergrimmten Königs, der an ihm seine Rache kühlen wollte. Die Sage berichtet denselben Zug, der sich schon in der Wielcmdsage findet, und dem wir in der Erzählung vom Tell wieder be¬ gegnen. Harald forderte von Tote, daß er einen Apfel vom Haupte des eignen Sohnes schieße, und der Held bestand die furchtbare Probe, nicht ohne dem grausamen Herrscher unversöhnliche Rache geschworen zu haben. Und dieser Rache fiel Harald wirklich zum Opfer; auf einem Kriegszuge durch¬ bohrte ihn Patna Tokes Pfeil. Aber der Mörder wurde seiner Tat nicht froh. Sein einstiger Liebling Sven — die Geschichte kennt ihn unter dem Beinamen „Gabelbart" — war nun König, aber zwischen ihnen stand das Gespenst der Blutrache, und so floh Patna Tote sehr bald nach Haralds Tode mit seinen Getreuen nach der Jomsburg, um sich hier ganz von der alten Heimat unabhängig zu machen und in Freiheit seine Heldenideale zu verwirklichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/178>, abgerufen am 24.08.2024.