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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und der Vatikan

Entschluß kundgegeben hat, auf seinen Posten nur einen Mann gelangen zu
lassen, unter dem die Wiederholung so arger Staats- und deutschfeindlicher
Agitationen, wie sie sich der Klerus selbst und unter seinem Einfluß die
schulpflichtige und erwachsne polnische Bevölkerung hat zuschulden kommen
lassen, ausgeschlossen ist. Dieser Maun hat dank der strammen hierarchischen
Disziplin, die die katholische Kirche auszeichnet, keinerlei heroische oder genie¬
mäßige Eigenschaften nötig, er braucht nur keine polnisch-nationalistische Ge¬
sinnung zu haben oder zu billigen. Nun, unter den hundert und aber hundert
Priestern hat sich bis zum heutigen Tage keiner gefunden, der diesen bescheidnen
Ansprüchen genügte. Oder richtiger: es haben sich mehrere gefunden, die ihm
genügen, die aber sämtlich und gleichermaßen ohne zulängliche individuelle Be¬
gründung die Übernahme des Postens abgelehnt haben. Und so ist bis heute
die "provisorische" Bestimmung in Kraft geblieben, daß der Inspirator und
Koadjator Stablewskis, der Weihbischof Likowski, den Erzbischofsposten bekleide
ungeachtet seiner polnisch-nationalistischen Gesinnung und entsprechenden aktiven
Präzedentien. So sehr zu bezweifeln ist, daß die Staatsregierung mit diesem
Tatbestand zufrieden ist, ebenso sicher ist es, daß er dem Vatikan durchaus
genehm ist -- Likowski hat auch ohne den Titel "Erzbischof" so gut wie alle
kirchlichen Rechte, Pflichten und Würden eines Erzbischofs --, und daß dieser
stg-of -Mimi des Vatikans nicht ohne Einfluß auf die mehrfachen Ablehnungen
seitens der der Regierung genehmen Geistlichen gewesen ist. Naiverweise,
weil unkommentiert, ist kürzlich von deutschen Zeitungen die Äußerung einer
allen amtlichen Stellen verfügbaren Wiener politischen Korrespondenz nach¬
gedruckt worden, der päpstliche Stuhl sei in der Posener Sache "zur Bewahrung
einer völlig neutralen Haltung entschlossen", er nehme "einen den nationalen
Reibungen entrückten Standpunkt ein, er nehme weder für den einen noch für
den andern Teil irgendwie Stellung". Gesetzt (nicht eingeräumt), daß dem
wirklich so wäre, so bedeutete dieser Standpunkt des Papstes eine geradezu
ungeheuerliche Beleidigung des Königreichs Preußen; denn Preußen ist kein
Nationalitätenstaat, sondern ein nationaler Staat, und der Papst, der sich
doch für einen Souverän erklärt und wie ein solcher behandelt sein will, hätte
zu einer "neutralen" Haltung oder zu einer Unterscheidung zwischen "dem einen
und dem andern Teil" nicht die mindeste politische oder rechtliche Handhabe,
es sei denn, daß er zugleich den faktischen oder legitimen Bestand des Königreichs
Preußen oder die Regierungskompetenz des "von Gottes Gnaden" Königs von
Preußen antastete. Es bedarf natürlich bloß der ausdrücklichen Hervorhebung
dieser Konsequenz, um die Möglichkeit jeues Standpunkts abzuweisen. Selbst
wenn man es nicht so genau mit der logischen Analyse nehmen und jener
sin Bismarcks "Gedanken und Erinnerungen" wiederholt ausgesprochnen) An¬
sicht keinen Raum geben wollte, daß die Kurie die Entzündlichkeit der pol¬
nischen Untertanen Preußens mit Vorliebe im Kampfe für die Verwirklichung
ihrer Prätensionen benutzte, selbst dann müßte man sich sagen, daß die Kurie, die


Deutschland und der Vatikan

Entschluß kundgegeben hat, auf seinen Posten nur einen Mann gelangen zu
lassen, unter dem die Wiederholung so arger Staats- und deutschfeindlicher
Agitationen, wie sie sich der Klerus selbst und unter seinem Einfluß die
schulpflichtige und erwachsne polnische Bevölkerung hat zuschulden kommen
lassen, ausgeschlossen ist. Dieser Maun hat dank der strammen hierarchischen
Disziplin, die die katholische Kirche auszeichnet, keinerlei heroische oder genie¬
mäßige Eigenschaften nötig, er braucht nur keine polnisch-nationalistische Ge¬
sinnung zu haben oder zu billigen. Nun, unter den hundert und aber hundert
Priestern hat sich bis zum heutigen Tage keiner gefunden, der diesen bescheidnen
Ansprüchen genügte. Oder richtiger: es haben sich mehrere gefunden, die ihm
genügen, die aber sämtlich und gleichermaßen ohne zulängliche individuelle Be¬
gründung die Übernahme des Postens abgelehnt haben. Und so ist bis heute
die „provisorische" Bestimmung in Kraft geblieben, daß der Inspirator und
Koadjator Stablewskis, der Weihbischof Likowski, den Erzbischofsposten bekleide
ungeachtet seiner polnisch-nationalistischen Gesinnung und entsprechenden aktiven
Präzedentien. So sehr zu bezweifeln ist, daß die Staatsregierung mit diesem
Tatbestand zufrieden ist, ebenso sicher ist es, daß er dem Vatikan durchaus
genehm ist — Likowski hat auch ohne den Titel „Erzbischof" so gut wie alle
kirchlichen Rechte, Pflichten und Würden eines Erzbischofs —, und daß dieser
stg-of -Mimi des Vatikans nicht ohne Einfluß auf die mehrfachen Ablehnungen
seitens der der Regierung genehmen Geistlichen gewesen ist. Naiverweise,
weil unkommentiert, ist kürzlich von deutschen Zeitungen die Äußerung einer
allen amtlichen Stellen verfügbaren Wiener politischen Korrespondenz nach¬
gedruckt worden, der päpstliche Stuhl sei in der Posener Sache „zur Bewahrung
einer völlig neutralen Haltung entschlossen", er nehme „einen den nationalen
Reibungen entrückten Standpunkt ein, er nehme weder für den einen noch für
den andern Teil irgendwie Stellung". Gesetzt (nicht eingeräumt), daß dem
wirklich so wäre, so bedeutete dieser Standpunkt des Papstes eine geradezu
ungeheuerliche Beleidigung des Königreichs Preußen; denn Preußen ist kein
Nationalitätenstaat, sondern ein nationaler Staat, und der Papst, der sich
doch für einen Souverän erklärt und wie ein solcher behandelt sein will, hätte
zu einer „neutralen" Haltung oder zu einer Unterscheidung zwischen „dem einen
und dem andern Teil" nicht die mindeste politische oder rechtliche Handhabe,
es sei denn, daß er zugleich den faktischen oder legitimen Bestand des Königreichs
Preußen oder die Regierungskompetenz des „von Gottes Gnaden" Königs von
Preußen antastete. Es bedarf natürlich bloß der ausdrücklichen Hervorhebung
dieser Konsequenz, um die Möglichkeit jeues Standpunkts abzuweisen. Selbst
wenn man es nicht so genau mit der logischen Analyse nehmen und jener
sin Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen" wiederholt ausgesprochnen) An¬
sicht keinen Raum geben wollte, daß die Kurie die Entzündlichkeit der pol¬
nischen Untertanen Preußens mit Vorliebe im Kampfe für die Verwirklichung
ihrer Prätensionen benutzte, selbst dann müßte man sich sagen, daß die Kurie, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/166>, abgerufen am 22.07.2024.