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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und der Vatikan

den abenteuerlichsten Staatsgebilden und nur durch Revolutionen legitimierten
Regierungsformen allen feierlichen Segen gespendet hat, dem Königreich Preußen
als solchem direkt oder indirekt zu ucihe zu treten nicht im Sinne haben kann.

Und dennoch! Hat nicht Papst Pius der Zehnte seinen "polnischen Söhnen"
in einem Augenblick, wo ihre Auflehnung gegen die Organe der Staatsregierung
eine der krassesten Formen annahm, in aller Form Worte des Trostes und der
Aufmunterung zukommen lassen? Redet nicht die klerikale Presse Italiens (um
nicht die Deutschlands zu nennen) von einer "unmoralisch oppressiven" Tendenz
der Staatsregierung gegen die Polen? Ist es nicht gerade Papst Pius, der
mit besondern: Nachdruck darauf hingewiesen hat, daß der Bischof auch eine
Jngerenz in alle irgendwie moralisch qualifizierbaren bürgerlichen und politischen
Angelegenheiten seiner Diözesanen habe, und der also in unmittelbarer Kon¬
sequenz dieser organischen Verknüpfung von Kirche und Politik schon allein
dadurch, daß er die Untertanen des Königs von Preußen in deutsche und
polnische scheidet und sich an die zuletzt genannten gesondert wendet, eine
politische und zwar eine dem polnischen Nationalismus ausgeprägt freundliche
Parteistellung eingenommen hat? An wem liegt es endlich anders als an der
Geistlichkeit, daß den Polen polnisch und katholisch identische Begriffe sind im
Gegensatz zu den ihnen ebenfalls identischen Begriffen deutsch und evangelisch?
Es wäre also gut und an der Zeit, wenn dem Vatikan bedeutet würde, daß
sein eignes Verhalten und das Verhalten des von ihm abhängigen sowie von ihm
zu verantwortenden Klerus nachgerade zu widerspruchsvoll und unaufrichtig
erscheine, als daß es so weitergeführt werden könnte. Und im besondern wird
sich der notwendige Kandidat für Posen sofort finden -- o, es gibt so viele
ehrgeizige und promotionsfreudige Priester! --, wenn nur der Vatikan die
geeignete Parole ausgibt oder vielmehr die hemmende Parole zurückzieht.

Das Verhältnis der akademischen Lehrer zum Bischof hat in neuerer Zeit
wiederholt Anlaß zu Konflikten gegeben, insofern das Verhältnis der Lehrer
zur Universität und zum Staate dadurch schwer beeinträchtigt worden ist, und
es scheint keineswegs ausgeschlossen, daß diese Konflikte nicht bald wieder von
neuem auf dem Plane stehn. Es hat sich gezeigt, daß ein selbstbewußtes und
sachgemäß entschiednes Auftreten von Professoren und Studenten von Fall
zu Fall der beste Weg zur praktischen Lösung solcher Konflikte ist. Allein
das ist kein angemessener rnoclus vivsiM für einen großen Rechts- und
Kulturstaat. Es ist dies um so weniger der Fall, als die neuen sogenannten
antimodernistischen Erlasse des Papstes, deren letzter und disziplinar schärfster
wie ein Viatikum für den zu derselben Zeit ernannten, dem Dominikanerorden
entstammenden Nuntius Frühwirth in München erscheint, die kirchlichen Ansprüche
im Antagonismus zu der vom Staate garantierten und gewollten allgemeinen
Denk- und akademischen Lehr- und Lernfreiheit eigens betont haben. Ich will
nicht so weit gehn, zu verlangen, daß die Professoren an den katholisch-theo¬
logischen Fakultäten dem Bischof ihrer Diözese die Versicherung vorenthalten


Deutschland und der Vatikan

den abenteuerlichsten Staatsgebilden und nur durch Revolutionen legitimierten
Regierungsformen allen feierlichen Segen gespendet hat, dem Königreich Preußen
als solchem direkt oder indirekt zu ucihe zu treten nicht im Sinne haben kann.

Und dennoch! Hat nicht Papst Pius der Zehnte seinen „polnischen Söhnen"
in einem Augenblick, wo ihre Auflehnung gegen die Organe der Staatsregierung
eine der krassesten Formen annahm, in aller Form Worte des Trostes und der
Aufmunterung zukommen lassen? Redet nicht die klerikale Presse Italiens (um
nicht die Deutschlands zu nennen) von einer „unmoralisch oppressiven" Tendenz
der Staatsregierung gegen die Polen? Ist es nicht gerade Papst Pius, der
mit besondern: Nachdruck darauf hingewiesen hat, daß der Bischof auch eine
Jngerenz in alle irgendwie moralisch qualifizierbaren bürgerlichen und politischen
Angelegenheiten seiner Diözesanen habe, und der also in unmittelbarer Kon¬
sequenz dieser organischen Verknüpfung von Kirche und Politik schon allein
dadurch, daß er die Untertanen des Königs von Preußen in deutsche und
polnische scheidet und sich an die zuletzt genannten gesondert wendet, eine
politische und zwar eine dem polnischen Nationalismus ausgeprägt freundliche
Parteistellung eingenommen hat? An wem liegt es endlich anders als an der
Geistlichkeit, daß den Polen polnisch und katholisch identische Begriffe sind im
Gegensatz zu den ihnen ebenfalls identischen Begriffen deutsch und evangelisch?
Es wäre also gut und an der Zeit, wenn dem Vatikan bedeutet würde, daß
sein eignes Verhalten und das Verhalten des von ihm abhängigen sowie von ihm
zu verantwortenden Klerus nachgerade zu widerspruchsvoll und unaufrichtig
erscheine, als daß es so weitergeführt werden könnte. Und im besondern wird
sich der notwendige Kandidat für Posen sofort finden — o, es gibt so viele
ehrgeizige und promotionsfreudige Priester! —, wenn nur der Vatikan die
geeignete Parole ausgibt oder vielmehr die hemmende Parole zurückzieht.

Das Verhältnis der akademischen Lehrer zum Bischof hat in neuerer Zeit
wiederholt Anlaß zu Konflikten gegeben, insofern das Verhältnis der Lehrer
zur Universität und zum Staate dadurch schwer beeinträchtigt worden ist, und
es scheint keineswegs ausgeschlossen, daß diese Konflikte nicht bald wieder von
neuem auf dem Plane stehn. Es hat sich gezeigt, daß ein selbstbewußtes und
sachgemäß entschiednes Auftreten von Professoren und Studenten von Fall
zu Fall der beste Weg zur praktischen Lösung solcher Konflikte ist. Allein
das ist kein angemessener rnoclus vivsiM für einen großen Rechts- und
Kulturstaat. Es ist dies um so weniger der Fall, als die neuen sogenannten
antimodernistischen Erlasse des Papstes, deren letzter und disziplinar schärfster
wie ein Viatikum für den zu derselben Zeit ernannten, dem Dominikanerorden
entstammenden Nuntius Frühwirth in München erscheint, die kirchlichen Ansprüche
im Antagonismus zu der vom Staate garantierten und gewollten allgemeinen
Denk- und akademischen Lehr- und Lernfreiheit eigens betont haben. Ich will
nicht so weit gehn, zu verlangen, daß die Professoren an den katholisch-theo¬
logischen Fakultäten dem Bischof ihrer Diözese die Versicherung vorenthalten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/167>, abgerufen am 22.07.2024.