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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Jesuiten in Deutschland

teilen abgesehen, durch tüchtige Geistliche der Kirche wiedergewonnen werden;
im Norden war es anders. Ans Erfurt berichtet ein Pater: "Das war ein
neues Schauspiel für die Bürger, Knaben in der Kirche knien und beten zu
scheu." Manchen Müttern mag dieses Schauspiel recht rührend vorgekommen
sein, nordische Männer sehen die Knaben lieber tätig sein und Kampfspiele üben
und wollen sie nicht zur Devotion drillen lassen. Erfurt war ja eine bischöf¬
liche Stadt, aber im übrigen Thüringen scheiterten die Niederlassungsversuche.

Doch auch von den Katholiken wurden die Jesuiten nicht durchweg
freundlich aufgenommen. Man hatte an kirchlichen Unruhen gerade genug und
betrachtete die "neue Sekte", die neue Unruhen erregen konnte, mit Mißtrauen.
Es kostete den fremden Ankömmlingen einige Mühe, zu beweisen, daß sie keine
neue Sekte seien. Die Geistlichen und die Klosterleute nahmen es natürlich
sehr übel, daß ihr Wandel gerügt und beschämt wurde, und die Lehrer der
Schüler aller Stufen wurden sehr bald die geschwornen Feinde der Jesuiten,
weil diese ihnen die Schüler entzogen. Besonders durch zweierlei übten die
Jesuitenkollegien eine starke Anziehungskraft aus. Das eine war ihre gute
Sittenzucht. Ein Kalvinist, der Graubündner Landvogt Fortunat von Juvalta,
schreibt in seinen Denkwürdigkeiten: "Im Jahre 1586 begab ich mich nach
Dillingen und trieb in dem dortigen Jesuitenkollegium zwei Jahre hindurch,
und nicht ohne befriedigenden Fortschritt, rhetorische, logische und philosophische
Studien. Dort ist nicht zu befürchten, daß die Jünglinge vom Pesthauche des
Lasters angesteckt und verdorben werden, denn scharfe, strenge Zucht hält sie
alle im Zaum . . . Die Lehrart, die Emsigkeit und den Fleiß dieser Männer
muß ich loben; ich würde aber dennoch keinem Reformierten raten, seine Kinder
zu ihrer Ausbildung dorthin zu senden, denn stets arbeitet man mit allen Kräften
dahin, den Jünglingen papistischen Aberglauben und Irrtümer einzupflanzen,
die bei tiefer geschlagner Wurzeln nur schwer ausgerottet werden können."
Unter den andern protestantischen Zeugnissen, die Duhr noch anführt, hat be¬
sonders das des größten evangelischen Schulmannes des sechzehnten Jahr¬
hunderts, des Straßburgers Sturm, Gewicht. Das andre, was der Konkurrenz
der Jesuiten Zugkraft verlieh, und was die Lehrer der bestehenden Schulen be¬
sonders empfindlich berührte, war die Unentgeltlichkeit des Unterrichts, an der
die Ordensobern so streng festhielten, daß nicht einmal das Geld angenommen
werden durfte, das in Österreich die reichern Schüler zum Ankauf vou Brenn¬
holz für die Schulstuben beizusteuern bereit waren. Ärmere Schüler wurden
vollständig vom Kolleg unterhalten, und es wurde für diesen Zweck fleißig und
mit Erfolg gebettelt. Wo die Fürsten, besonders die bayrischen und die öster¬
reichischen taten das, die Kollegien mit den Gebäuden und Gütern verlaßner
oder im Eingehn begriffner Klöster ausstatteten (was der Ordensgeneral an¬
fangs nicht zugeben wollte), da hatte man das Betteln nicht mehr nötig. Dem
Schulwesen der Jesuiten sind fünf Kapitel gewidmet, in denen die Studien¬
ordnung, die Disziplin, die Schultheater, die Marianischen Kongregationen und


Die Jesuiten in Deutschland

teilen abgesehen, durch tüchtige Geistliche der Kirche wiedergewonnen werden;
im Norden war es anders. Ans Erfurt berichtet ein Pater: „Das war ein
neues Schauspiel für die Bürger, Knaben in der Kirche knien und beten zu
scheu." Manchen Müttern mag dieses Schauspiel recht rührend vorgekommen
sein, nordische Männer sehen die Knaben lieber tätig sein und Kampfspiele üben
und wollen sie nicht zur Devotion drillen lassen. Erfurt war ja eine bischöf¬
liche Stadt, aber im übrigen Thüringen scheiterten die Niederlassungsversuche.

Doch auch von den Katholiken wurden die Jesuiten nicht durchweg
freundlich aufgenommen. Man hatte an kirchlichen Unruhen gerade genug und
betrachtete die „neue Sekte", die neue Unruhen erregen konnte, mit Mißtrauen.
Es kostete den fremden Ankömmlingen einige Mühe, zu beweisen, daß sie keine
neue Sekte seien. Die Geistlichen und die Klosterleute nahmen es natürlich
sehr übel, daß ihr Wandel gerügt und beschämt wurde, und die Lehrer der
Schüler aller Stufen wurden sehr bald die geschwornen Feinde der Jesuiten,
weil diese ihnen die Schüler entzogen. Besonders durch zweierlei übten die
Jesuitenkollegien eine starke Anziehungskraft aus. Das eine war ihre gute
Sittenzucht. Ein Kalvinist, der Graubündner Landvogt Fortunat von Juvalta,
schreibt in seinen Denkwürdigkeiten: „Im Jahre 1586 begab ich mich nach
Dillingen und trieb in dem dortigen Jesuitenkollegium zwei Jahre hindurch,
und nicht ohne befriedigenden Fortschritt, rhetorische, logische und philosophische
Studien. Dort ist nicht zu befürchten, daß die Jünglinge vom Pesthauche des
Lasters angesteckt und verdorben werden, denn scharfe, strenge Zucht hält sie
alle im Zaum . . . Die Lehrart, die Emsigkeit und den Fleiß dieser Männer
muß ich loben; ich würde aber dennoch keinem Reformierten raten, seine Kinder
zu ihrer Ausbildung dorthin zu senden, denn stets arbeitet man mit allen Kräften
dahin, den Jünglingen papistischen Aberglauben und Irrtümer einzupflanzen,
die bei tiefer geschlagner Wurzeln nur schwer ausgerottet werden können."
Unter den andern protestantischen Zeugnissen, die Duhr noch anführt, hat be¬
sonders das des größten evangelischen Schulmannes des sechzehnten Jahr¬
hunderts, des Straßburgers Sturm, Gewicht. Das andre, was der Konkurrenz
der Jesuiten Zugkraft verlieh, und was die Lehrer der bestehenden Schulen be¬
sonders empfindlich berührte, war die Unentgeltlichkeit des Unterrichts, an der
die Ordensobern so streng festhielten, daß nicht einmal das Geld angenommen
werden durfte, das in Österreich die reichern Schüler zum Ankauf vou Brenn¬
holz für die Schulstuben beizusteuern bereit waren. Ärmere Schüler wurden
vollständig vom Kolleg unterhalten, und es wurde für diesen Zweck fleißig und
mit Erfolg gebettelt. Wo die Fürsten, besonders die bayrischen und die öster¬
reichischen taten das, die Kollegien mit den Gebäuden und Gütern verlaßner
oder im Eingehn begriffner Klöster ausstatteten (was der Ordensgeneral an¬
fangs nicht zugeben wollte), da hatte man das Betteln nicht mehr nötig. Dem
Schulwesen der Jesuiten sind fünf Kapitel gewidmet, in denen die Studien¬
ordnung, die Disziplin, die Schultheater, die Marianischen Kongregationen und


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[0128] Die Jesuiten in Deutschland teilen abgesehen, durch tüchtige Geistliche der Kirche wiedergewonnen werden; im Norden war es anders. Ans Erfurt berichtet ein Pater: „Das war ein neues Schauspiel für die Bürger, Knaben in der Kirche knien und beten zu scheu." Manchen Müttern mag dieses Schauspiel recht rührend vorgekommen sein, nordische Männer sehen die Knaben lieber tätig sein und Kampfspiele üben und wollen sie nicht zur Devotion drillen lassen. Erfurt war ja eine bischöf¬ liche Stadt, aber im übrigen Thüringen scheiterten die Niederlassungsversuche. Doch auch von den Katholiken wurden die Jesuiten nicht durchweg freundlich aufgenommen. Man hatte an kirchlichen Unruhen gerade genug und betrachtete die „neue Sekte", die neue Unruhen erregen konnte, mit Mißtrauen. Es kostete den fremden Ankömmlingen einige Mühe, zu beweisen, daß sie keine neue Sekte seien. Die Geistlichen und die Klosterleute nahmen es natürlich sehr übel, daß ihr Wandel gerügt und beschämt wurde, und die Lehrer der Schüler aller Stufen wurden sehr bald die geschwornen Feinde der Jesuiten, weil diese ihnen die Schüler entzogen. Besonders durch zweierlei übten die Jesuitenkollegien eine starke Anziehungskraft aus. Das eine war ihre gute Sittenzucht. Ein Kalvinist, der Graubündner Landvogt Fortunat von Juvalta, schreibt in seinen Denkwürdigkeiten: „Im Jahre 1586 begab ich mich nach Dillingen und trieb in dem dortigen Jesuitenkollegium zwei Jahre hindurch, und nicht ohne befriedigenden Fortschritt, rhetorische, logische und philosophische Studien. Dort ist nicht zu befürchten, daß die Jünglinge vom Pesthauche des Lasters angesteckt und verdorben werden, denn scharfe, strenge Zucht hält sie alle im Zaum . . . Die Lehrart, die Emsigkeit und den Fleiß dieser Männer muß ich loben; ich würde aber dennoch keinem Reformierten raten, seine Kinder zu ihrer Ausbildung dorthin zu senden, denn stets arbeitet man mit allen Kräften dahin, den Jünglingen papistischen Aberglauben und Irrtümer einzupflanzen, die bei tiefer geschlagner Wurzeln nur schwer ausgerottet werden können." Unter den andern protestantischen Zeugnissen, die Duhr noch anführt, hat be¬ sonders das des größten evangelischen Schulmannes des sechzehnten Jahr¬ hunderts, des Straßburgers Sturm, Gewicht. Das andre, was der Konkurrenz der Jesuiten Zugkraft verlieh, und was die Lehrer der bestehenden Schulen be¬ sonders empfindlich berührte, war die Unentgeltlichkeit des Unterrichts, an der die Ordensobern so streng festhielten, daß nicht einmal das Geld angenommen werden durfte, das in Österreich die reichern Schüler zum Ankauf vou Brenn¬ holz für die Schulstuben beizusteuern bereit waren. Ärmere Schüler wurden vollständig vom Kolleg unterhalten, und es wurde für diesen Zweck fleißig und mit Erfolg gebettelt. Wo die Fürsten, besonders die bayrischen und die öster¬ reichischen taten das, die Kollegien mit den Gebäuden und Gütern verlaßner oder im Eingehn begriffner Klöster ausstatteten (was der Ordensgeneral an¬ fangs nicht zugeben wollte), da hatte man das Betteln nicht mehr nötig. Dem Schulwesen der Jesuiten sind fünf Kapitel gewidmet, in denen die Studien¬ ordnung, die Disziplin, die Schultheater, die Marianischen Kongregationen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/128>, abgerufen am 01.07.2024.