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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Jesuiten in Deutschland

es mir, wenn nur diese zwei oder drei von ein wenig Seeleneifer entbrannt
wären, dann könnten sie mit diesem einfachen Volke machen, was sie wollten.
Ich spreche von Städten, die noch nicht die katholischen Gebräuche abgeschafft
und das Joch des Gehorsams gegen den Heiligen Stuhl noch nicht abgeschüttelt
haben." Vierundzwanzig Jahre später berichtet ein Jesuit, der mit drei Ge¬
nossen in Niederbayern eine Volksmission abgehalten hatte: "Als Herzog Albrecht
sah, daß das von Natur unglaublich schlichte und gerade Landvolk dennoch
durch die benachbarten Irrgläubigen vom katholischen Glauben abkomme, bat
er den Provinzial Canisius um einige Prediger. Er schickte uns vier nach
Niederbayern, das am meisten daniederlag. Briefe an die Vögte und Bürger¬
meister sollten uns beim Volke Ansetzn verschaffen. Wir fanden den Zustand
der Religion unglaublich elend und traurig: in den Klöstern, wo die Obern
fast insgesamt das schändlichste Leben führen, keine Frömmigkeit; in den Kirchen
Schmutz und Unehrerbietigkeit; im Volke Zügellosigkeit; man glaubt, was einem
gefällt, und folgt dem, was dem Fleische am meisten schmeichelt; beim Klerus
und selbst bei den Pfarrern die krasseste Unwissenheit und Vernachlässigung
ihres Amtes, sodaß es nicht wunder nimmt, wenn das einfache Volk vom
Glauben abfällt. Ein großer Teil der Priester kann nicht einmal richtig und
gut lesen." Was in Deutschland fehlt, urteilen die Jesuiten übereinstimmend,
das sind unterrichtete, sittenreine und pflichteifrige Priester. Solche waren aber
außerhalb des neu gegründeten Ordens fast nirgends zu finden, darum baten
sich katholische Fürsten, die ihre Untertanen dem katholischen Glauben erhalten
oder zu ihm zurückführen wollten, immer häufiger Jesuiten aus, sodaß der
Ordensgeneral der Nachfrage bald nicht mehr genügen konnte. Daß die Nieder¬
lassungen von den Protestanten ungern gesehen wurden, und daß diese
ihnen Hindernisse bereiteten, versteht sich von selbst. Schon gleich im Anfange
offenbarte sich die eigentümliche Wirkungsweise des Ordens, die Paulsen mit
den Worten beschreibt: "Große Individualitäten treten in der Geschichte des
Ordens nicht hervor, der Poesie bietet er wenig Stoff; aber jederzeit besaß er
eine große Menge durchaus zuverlässiger, sicher wirkender Kräfte. Es ist in
seiner Tätigkeit etwas von der stillen, aber unaufhaltsamen Wirkungsweise der
Naturkräfte; ohne Leidenschaft und Kriegslärm, ohne Aufregung und Über¬
stürzung dringt er Schritt für Schritt vor, fast ohne jemals einen zurückzutun.
Sicherheit und Überlegenheit charakterisieren jede seiner Bewegungen. Freilich
sind das nicht Eigenschaften, die liebenswürdig machen." In Norddeutschland
kam die Hauptursache des "Abfalls" hinzu, die von spanischen und französischen
Jesuiten freilich nicht erkannt werden konnte: die instinktive Abneigung gegen
die südländische Form der Frömmigkeit und des ganzen Kirchenwesens und die
Anhänglichkeit an die ihr von Luther gegebne, dem nordischen Naturell besser ent¬
sprechende Form. Nur für den Süden und den Westen Deutschlands kann man
es gelten lassen, daß die Schlechtigkeit der Geistlichkeit die Hauptursache ge¬
wesen sei; deren Bevölkerung konnte darum auch, von anders gearteten Bruch-


Die Jesuiten in Deutschland

es mir, wenn nur diese zwei oder drei von ein wenig Seeleneifer entbrannt
wären, dann könnten sie mit diesem einfachen Volke machen, was sie wollten.
Ich spreche von Städten, die noch nicht die katholischen Gebräuche abgeschafft
und das Joch des Gehorsams gegen den Heiligen Stuhl noch nicht abgeschüttelt
haben." Vierundzwanzig Jahre später berichtet ein Jesuit, der mit drei Ge¬
nossen in Niederbayern eine Volksmission abgehalten hatte: „Als Herzog Albrecht
sah, daß das von Natur unglaublich schlichte und gerade Landvolk dennoch
durch die benachbarten Irrgläubigen vom katholischen Glauben abkomme, bat
er den Provinzial Canisius um einige Prediger. Er schickte uns vier nach
Niederbayern, das am meisten daniederlag. Briefe an die Vögte und Bürger¬
meister sollten uns beim Volke Ansetzn verschaffen. Wir fanden den Zustand
der Religion unglaublich elend und traurig: in den Klöstern, wo die Obern
fast insgesamt das schändlichste Leben führen, keine Frömmigkeit; in den Kirchen
Schmutz und Unehrerbietigkeit; im Volke Zügellosigkeit; man glaubt, was einem
gefällt, und folgt dem, was dem Fleische am meisten schmeichelt; beim Klerus
und selbst bei den Pfarrern die krasseste Unwissenheit und Vernachlässigung
ihres Amtes, sodaß es nicht wunder nimmt, wenn das einfache Volk vom
Glauben abfällt. Ein großer Teil der Priester kann nicht einmal richtig und
gut lesen." Was in Deutschland fehlt, urteilen die Jesuiten übereinstimmend,
das sind unterrichtete, sittenreine und pflichteifrige Priester. Solche waren aber
außerhalb des neu gegründeten Ordens fast nirgends zu finden, darum baten
sich katholische Fürsten, die ihre Untertanen dem katholischen Glauben erhalten
oder zu ihm zurückführen wollten, immer häufiger Jesuiten aus, sodaß der
Ordensgeneral der Nachfrage bald nicht mehr genügen konnte. Daß die Nieder¬
lassungen von den Protestanten ungern gesehen wurden, und daß diese
ihnen Hindernisse bereiteten, versteht sich von selbst. Schon gleich im Anfange
offenbarte sich die eigentümliche Wirkungsweise des Ordens, die Paulsen mit
den Worten beschreibt: „Große Individualitäten treten in der Geschichte des
Ordens nicht hervor, der Poesie bietet er wenig Stoff; aber jederzeit besaß er
eine große Menge durchaus zuverlässiger, sicher wirkender Kräfte. Es ist in
seiner Tätigkeit etwas von der stillen, aber unaufhaltsamen Wirkungsweise der
Naturkräfte; ohne Leidenschaft und Kriegslärm, ohne Aufregung und Über¬
stürzung dringt er Schritt für Schritt vor, fast ohne jemals einen zurückzutun.
Sicherheit und Überlegenheit charakterisieren jede seiner Bewegungen. Freilich
sind das nicht Eigenschaften, die liebenswürdig machen." In Norddeutschland
kam die Hauptursache des „Abfalls" hinzu, die von spanischen und französischen
Jesuiten freilich nicht erkannt werden konnte: die instinktive Abneigung gegen
die südländische Form der Frömmigkeit und des ganzen Kirchenwesens und die
Anhänglichkeit an die ihr von Luther gegebne, dem nordischen Naturell besser ent¬
sprechende Form. Nur für den Süden und den Westen Deutschlands kann man
es gelten lassen, daß die Schlechtigkeit der Geistlichkeit die Hauptursache ge¬
wesen sei; deren Bevölkerung konnte darum auch, von anders gearteten Bruch-


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[0127] Die Jesuiten in Deutschland es mir, wenn nur diese zwei oder drei von ein wenig Seeleneifer entbrannt wären, dann könnten sie mit diesem einfachen Volke machen, was sie wollten. Ich spreche von Städten, die noch nicht die katholischen Gebräuche abgeschafft und das Joch des Gehorsams gegen den Heiligen Stuhl noch nicht abgeschüttelt haben." Vierundzwanzig Jahre später berichtet ein Jesuit, der mit drei Ge¬ nossen in Niederbayern eine Volksmission abgehalten hatte: „Als Herzog Albrecht sah, daß das von Natur unglaublich schlichte und gerade Landvolk dennoch durch die benachbarten Irrgläubigen vom katholischen Glauben abkomme, bat er den Provinzial Canisius um einige Prediger. Er schickte uns vier nach Niederbayern, das am meisten daniederlag. Briefe an die Vögte und Bürger¬ meister sollten uns beim Volke Ansetzn verschaffen. Wir fanden den Zustand der Religion unglaublich elend und traurig: in den Klöstern, wo die Obern fast insgesamt das schändlichste Leben führen, keine Frömmigkeit; in den Kirchen Schmutz und Unehrerbietigkeit; im Volke Zügellosigkeit; man glaubt, was einem gefällt, und folgt dem, was dem Fleische am meisten schmeichelt; beim Klerus und selbst bei den Pfarrern die krasseste Unwissenheit und Vernachlässigung ihres Amtes, sodaß es nicht wunder nimmt, wenn das einfache Volk vom Glauben abfällt. Ein großer Teil der Priester kann nicht einmal richtig und gut lesen." Was in Deutschland fehlt, urteilen die Jesuiten übereinstimmend, das sind unterrichtete, sittenreine und pflichteifrige Priester. Solche waren aber außerhalb des neu gegründeten Ordens fast nirgends zu finden, darum baten sich katholische Fürsten, die ihre Untertanen dem katholischen Glauben erhalten oder zu ihm zurückführen wollten, immer häufiger Jesuiten aus, sodaß der Ordensgeneral der Nachfrage bald nicht mehr genügen konnte. Daß die Nieder¬ lassungen von den Protestanten ungern gesehen wurden, und daß diese ihnen Hindernisse bereiteten, versteht sich von selbst. Schon gleich im Anfange offenbarte sich die eigentümliche Wirkungsweise des Ordens, die Paulsen mit den Worten beschreibt: „Große Individualitäten treten in der Geschichte des Ordens nicht hervor, der Poesie bietet er wenig Stoff; aber jederzeit besaß er eine große Menge durchaus zuverlässiger, sicher wirkender Kräfte. Es ist in seiner Tätigkeit etwas von der stillen, aber unaufhaltsamen Wirkungsweise der Naturkräfte; ohne Leidenschaft und Kriegslärm, ohne Aufregung und Über¬ stürzung dringt er Schritt für Schritt vor, fast ohne jemals einen zurückzutun. Sicherheit und Überlegenheit charakterisieren jede seiner Bewegungen. Freilich sind das nicht Eigenschaften, die liebenswürdig machen." In Norddeutschland kam die Hauptursache des „Abfalls" hinzu, die von spanischen und französischen Jesuiten freilich nicht erkannt werden konnte: die instinktive Abneigung gegen die südländische Form der Frömmigkeit und des ganzen Kirchenwesens und die Anhänglichkeit an die ihr von Luther gegebne, dem nordischen Naturell besser ent¬ sprechende Form. Nur für den Süden und den Westen Deutschlands kann man es gelten lassen, daß die Schlechtigkeit der Geistlichkeit die Hauptursache ge¬ wesen sei; deren Bevölkerung konnte darum auch, von anders gearteten Bruch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/127>, abgerufen am 29.06.2024.