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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Zehn Jahre deutscher Flotteiicntwicklung

sichern Folgen eines innern Konflikts auf sich nehmen, der schwer Errungnes,
endlich Gesichertes wieder in Frage stellen kann? Die Haltung der Kommission
hat dem Staatssekretär Recht gegeben: mit großer Schärfe haben die Wort¬
führer der bürgerlichen Parteien jene Zeitungsangriffe verurteilt, sich einmütig
auf den Boden der Regierungsvorlage gestellt und dem Staatssekretär ihr Ver¬
trauen bekundet.

Die Verhandlungen der Budgetkommission haben aber noch weiter wichtige
Erklärungen der Marineverwaltung gebracht, die beruhigend für weite Kreise
wirken können. Ohne jeden Rückhalt gab der Staatssekretär zu, daß infolge
der technischen Entwicklung und der militärischen Erfahrungen, die das letzte
Jahrzehnt gebracht habe, unsre Flotte eine Anzahl minderwertiger Schiffe be¬
sitze, die nicht in eine Schlachtfront eingestellt werden können. Aber unter
diesem Mißstände leiden andre Staaten auch. "Dieser Entwicklung zu folgen,
ist nicht angenehm. Wir sind aber dazu gezwungen. Wenn man in eine Ge¬
fechtslinie gleichzeitig Schiffe älterer und neuerer Konstruktion vereinigen wollte,
so hieße das vor einen Karren ein Pferd und einen Esel spannen. Wir müssen,
nun den Tatsachen folgen und haben die Vorlage eingebracht, um rasch über
diesen, wie ich mich ausdrücken möchte, "toten Punkt" hinwegzukommen." Die
akute Wirkung der Novelle sei die, daß wir durch die Baubeschleunigung in den
nächsten vier Jahren in verhältnismäßig kurzer Zeit zu einem Doppelgeschwader
von Linienschiffen kommen.

Gegenüber den Verfechtern des Kleinkriegs äußerte sich Admiral von Tirpitz:
"Wenn man mit Torpedobooten Krieg führt, so stößt man draußen vor den
Flußmündungen auf die feindlichen Torpedoboote, die sich auf ihre Kreuzer
zurückziehen müssen. Deswegen müssen auch wir Kreuzer haben, um die feind¬
lichen Kreuzer zu verjagen. Diese ziehen sich nun wieder auf ihre Linienschiffe
zurück, und auch wir müssen schließlich unsre Linienschiffe einsetzen. Also auch
der Kleinkrieg braucht Linienschiffe im Hintergrunde, sonst ist er aussichtslos."
Man mag die Sache anfassen, an welchem Ende man will: immer kommt man
auf das Linienschiff als Kern der Flotte.

Eine alte Klage ist. daß unsre Marine langsamer baue als die übrigen
Seemächte. Der Staatssekretär führte folgende Zahlen an:

Bei den Linienschiffen Bei den großen Kreuzern
England . . , . 42,4 Monate (Dreadnought) 44,9 Monate
Deutschland , . . 42.S " 39,1
Frankreich ... 66 " 60,4 "
Vereinigte Staaten 60 " 62,9 "

Obwohl also diese Zahlen für Deutschland sehr günstig sind, erklärte
Herr von Tirpitz, er werde sich bemühen, innerhalb der vier Bauraten die
Schiffe noch schneller zu bauen als bisher. Die Schwierigkeit der Beschleunigung
der Bauzeit liege in der Beschaffung des Panzers und der schweren Kanonen,


Zehn Jahre deutscher Flotteiicntwicklung

sichern Folgen eines innern Konflikts auf sich nehmen, der schwer Errungnes,
endlich Gesichertes wieder in Frage stellen kann? Die Haltung der Kommission
hat dem Staatssekretär Recht gegeben: mit großer Schärfe haben die Wort¬
führer der bürgerlichen Parteien jene Zeitungsangriffe verurteilt, sich einmütig
auf den Boden der Regierungsvorlage gestellt und dem Staatssekretär ihr Ver¬
trauen bekundet.

Die Verhandlungen der Budgetkommission haben aber noch weiter wichtige
Erklärungen der Marineverwaltung gebracht, die beruhigend für weite Kreise
wirken können. Ohne jeden Rückhalt gab der Staatssekretär zu, daß infolge
der technischen Entwicklung und der militärischen Erfahrungen, die das letzte
Jahrzehnt gebracht habe, unsre Flotte eine Anzahl minderwertiger Schiffe be¬
sitze, die nicht in eine Schlachtfront eingestellt werden können. Aber unter
diesem Mißstände leiden andre Staaten auch. „Dieser Entwicklung zu folgen,
ist nicht angenehm. Wir sind aber dazu gezwungen. Wenn man in eine Ge¬
fechtslinie gleichzeitig Schiffe älterer und neuerer Konstruktion vereinigen wollte,
so hieße das vor einen Karren ein Pferd und einen Esel spannen. Wir müssen,
nun den Tatsachen folgen und haben die Vorlage eingebracht, um rasch über
diesen, wie ich mich ausdrücken möchte, »toten Punkt« hinwegzukommen." Die
akute Wirkung der Novelle sei die, daß wir durch die Baubeschleunigung in den
nächsten vier Jahren in verhältnismäßig kurzer Zeit zu einem Doppelgeschwader
von Linienschiffen kommen.

Gegenüber den Verfechtern des Kleinkriegs äußerte sich Admiral von Tirpitz:
„Wenn man mit Torpedobooten Krieg führt, so stößt man draußen vor den
Flußmündungen auf die feindlichen Torpedoboote, die sich auf ihre Kreuzer
zurückziehen müssen. Deswegen müssen auch wir Kreuzer haben, um die feind¬
lichen Kreuzer zu verjagen. Diese ziehen sich nun wieder auf ihre Linienschiffe
zurück, und auch wir müssen schließlich unsre Linienschiffe einsetzen. Also auch
der Kleinkrieg braucht Linienschiffe im Hintergrunde, sonst ist er aussichtslos."
Man mag die Sache anfassen, an welchem Ende man will: immer kommt man
auf das Linienschiff als Kern der Flotte.

Eine alte Klage ist. daß unsre Marine langsamer baue als die übrigen
Seemächte. Der Staatssekretär führte folgende Zahlen an:

Bei den Linienschiffen Bei den großen Kreuzern
England . . , . 42,4 Monate (Dreadnought) 44,9 Monate
Deutschland , . . 42.S „ 39,1
Frankreich ... 66 „ 60,4 „
Vereinigte Staaten 60 „ 62,9 „

Obwohl also diese Zahlen für Deutschland sehr günstig sind, erklärte
Herr von Tirpitz, er werde sich bemühen, innerhalb der vier Bauraten die
Schiffe noch schneller zu bauen als bisher. Die Schwierigkeit der Beschleunigung
der Bauzeit liege in der Beschaffung des Panzers und der schweren Kanonen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/124>, abgerufen am 01.07.2024.