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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Zehn Jahre deutscher Flottenentwicklung

griffe, die Erschütterung des Vertrauens und die nationalen Zwistigkeiten, die
sich neuerdings als -- gewiß ungewollte -- tatsächlich höchst schädliche Folge¬
erscheinungen eines fanatischen Draufgängertums in Flottenfragen bemerkbar
machen. Auch in den Reichstag schlugen diese Wogen wenigstens mit einigen
Spritzern hinein.

In der Rede, womit er die Flottengesetznovelle einführte, wies Staats¬
sekretär von Tirpitz auf zwei Tatsachen hin: Infolge der Entwicklung der Technik
besitzen wir eine Anzahl veralteter Schiffe. Und durch die Berechnung der Ersatz¬
fristen für die Schiffe, wie sie jetzt festgesetzt ist, geraten wir auf die Dauer ins
Hintertreffen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, hier Abhilfe zu schaffen. Das
eine Verfahren vertritt der Flottenverein: er verdammt es, den Ersatz von einer
bestimmten Lebensdauer des Schiffes abhängig zu machen; er will jedesmal
sofort, wenn ein Schiff den jetzigen Anschauungen und Forderungen nicht ent¬
spricht, ein neues bauen. Der Staatssekretär nannte dies Verfahren ein ideales
und radikales; nur schade, daß es unermeßliche Summen koste und auch noch
andre Nachteile habe, die er nicht erörtern könne. Nach unsrer Meinung würde
uns dieses System bald wieder in jene Zeit zurückwerfen, wo nach den eingangs
angeführten Worten des Abgeordneten Bassermann um jedes Schiff im Reichstag
gefeilscht und gemarktet wurde, bis eine Kraftprobe ein Ja oder ein Nein ergab.
Die ganze Stetigkeit und Geschlossenheit unsrer Flottenentwicklung würde zer¬
stört zugunsten eines beständigen Experimentierens und Tastens. Dem gegen¬
über hielt der Staatssekretär an seinem Vorschlage der Verkürzung der Ersatz¬
frist fest, mit der zugleich eine Beschleunigung der Herstellung neuer Schiffe zu
verbinden ist. Er betonte dabei, daß die Novelle an der untersten Grenze dessen
bleibe, was andre Nationen in dieser Beziehung tun, und er erläuterte dieses
Wort später in der Kommission dahin, daß in fremden Mariner die Anschauung
herrsche, schon nach 16, 15 oder noch weniger Jahren sei heutzutage bei dem
raschen Flusse der Technik ein Kriegsschiff veraltet, während in der deutschen
Marine künftig eine zwanzigjährige Lebensdauer gesetzlich gelten soll.

Schon der Abgeordnete Bassermann im Plenum und dann Graf Oriola
und Dr. Semler in der Kommisston regten an, ob es sich nicht empfehle, über
diesen Vorschlag hinauszugehn, kürzere Ersatzfristen zu nehmen und noch rascher
zu bauen. Der Staatssekretär des Neichsmarineamts wiederholte seine Er¬
klärung, daß die Novelle an der untersten Grenze des Möglichen bleibe, und
fügte hinzu: "In militärischer Beziehung habe ich die volle Verantwortung
dafür übernommen- Ich stünde nicht hier an dieser Stelle, wenn ich die Verant¬
wortung nicht übernehmen könnte. Trotzdem muß ich zugeben, daß der Vorschlag
des Grafen Oriola vom militärischen Standpunkt aus eine Verbesserung
bedeuten würde. Ich könnte mich daher nur freuen, wenn es ihm gelänge, im
Reichstag und in dieser Kommission eine Majorität für seinen Vorschlag zu
gewinnen. Ich müßte ihn bei den verbündeten Regierungen vom militärischen
Standpunkt aus befürworten." Desgleichen nannte Admiral von Tirpitz einen


Zehn Jahre deutscher Flottenentwicklung

griffe, die Erschütterung des Vertrauens und die nationalen Zwistigkeiten, die
sich neuerdings als — gewiß ungewollte — tatsächlich höchst schädliche Folge¬
erscheinungen eines fanatischen Draufgängertums in Flottenfragen bemerkbar
machen. Auch in den Reichstag schlugen diese Wogen wenigstens mit einigen
Spritzern hinein.

In der Rede, womit er die Flottengesetznovelle einführte, wies Staats¬
sekretär von Tirpitz auf zwei Tatsachen hin: Infolge der Entwicklung der Technik
besitzen wir eine Anzahl veralteter Schiffe. Und durch die Berechnung der Ersatz¬
fristen für die Schiffe, wie sie jetzt festgesetzt ist, geraten wir auf die Dauer ins
Hintertreffen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, hier Abhilfe zu schaffen. Das
eine Verfahren vertritt der Flottenverein: er verdammt es, den Ersatz von einer
bestimmten Lebensdauer des Schiffes abhängig zu machen; er will jedesmal
sofort, wenn ein Schiff den jetzigen Anschauungen und Forderungen nicht ent¬
spricht, ein neues bauen. Der Staatssekretär nannte dies Verfahren ein ideales
und radikales; nur schade, daß es unermeßliche Summen koste und auch noch
andre Nachteile habe, die er nicht erörtern könne. Nach unsrer Meinung würde
uns dieses System bald wieder in jene Zeit zurückwerfen, wo nach den eingangs
angeführten Worten des Abgeordneten Bassermann um jedes Schiff im Reichstag
gefeilscht und gemarktet wurde, bis eine Kraftprobe ein Ja oder ein Nein ergab.
Die ganze Stetigkeit und Geschlossenheit unsrer Flottenentwicklung würde zer¬
stört zugunsten eines beständigen Experimentierens und Tastens. Dem gegen¬
über hielt der Staatssekretär an seinem Vorschlage der Verkürzung der Ersatz¬
frist fest, mit der zugleich eine Beschleunigung der Herstellung neuer Schiffe zu
verbinden ist. Er betonte dabei, daß die Novelle an der untersten Grenze dessen
bleibe, was andre Nationen in dieser Beziehung tun, und er erläuterte dieses
Wort später in der Kommission dahin, daß in fremden Mariner die Anschauung
herrsche, schon nach 16, 15 oder noch weniger Jahren sei heutzutage bei dem
raschen Flusse der Technik ein Kriegsschiff veraltet, während in der deutschen
Marine künftig eine zwanzigjährige Lebensdauer gesetzlich gelten soll.

Schon der Abgeordnete Bassermann im Plenum und dann Graf Oriola
und Dr. Semler in der Kommisston regten an, ob es sich nicht empfehle, über
diesen Vorschlag hinauszugehn, kürzere Ersatzfristen zu nehmen und noch rascher
zu bauen. Der Staatssekretär des Neichsmarineamts wiederholte seine Er¬
klärung, daß die Novelle an der untersten Grenze des Möglichen bleibe, und
fügte hinzu: „In militärischer Beziehung habe ich die volle Verantwortung
dafür übernommen- Ich stünde nicht hier an dieser Stelle, wenn ich die Verant¬
wortung nicht übernehmen könnte. Trotzdem muß ich zugeben, daß der Vorschlag
des Grafen Oriola vom militärischen Standpunkt aus eine Verbesserung
bedeuten würde. Ich könnte mich daher nur freuen, wenn es ihm gelänge, im
Reichstag und in dieser Kommission eine Majorität für seinen Vorschlag zu
gewinnen. Ich müßte ihn bei den verbündeten Regierungen vom militärischen
Standpunkt aus befürworten." Desgleichen nannte Admiral von Tirpitz einen


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[0122] Zehn Jahre deutscher Flottenentwicklung griffe, die Erschütterung des Vertrauens und die nationalen Zwistigkeiten, die sich neuerdings als — gewiß ungewollte — tatsächlich höchst schädliche Folge¬ erscheinungen eines fanatischen Draufgängertums in Flottenfragen bemerkbar machen. Auch in den Reichstag schlugen diese Wogen wenigstens mit einigen Spritzern hinein. In der Rede, womit er die Flottengesetznovelle einführte, wies Staats¬ sekretär von Tirpitz auf zwei Tatsachen hin: Infolge der Entwicklung der Technik besitzen wir eine Anzahl veralteter Schiffe. Und durch die Berechnung der Ersatz¬ fristen für die Schiffe, wie sie jetzt festgesetzt ist, geraten wir auf die Dauer ins Hintertreffen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, hier Abhilfe zu schaffen. Das eine Verfahren vertritt der Flottenverein: er verdammt es, den Ersatz von einer bestimmten Lebensdauer des Schiffes abhängig zu machen; er will jedesmal sofort, wenn ein Schiff den jetzigen Anschauungen und Forderungen nicht ent¬ spricht, ein neues bauen. Der Staatssekretär nannte dies Verfahren ein ideales und radikales; nur schade, daß es unermeßliche Summen koste und auch noch andre Nachteile habe, die er nicht erörtern könne. Nach unsrer Meinung würde uns dieses System bald wieder in jene Zeit zurückwerfen, wo nach den eingangs angeführten Worten des Abgeordneten Bassermann um jedes Schiff im Reichstag gefeilscht und gemarktet wurde, bis eine Kraftprobe ein Ja oder ein Nein ergab. Die ganze Stetigkeit und Geschlossenheit unsrer Flottenentwicklung würde zer¬ stört zugunsten eines beständigen Experimentierens und Tastens. Dem gegen¬ über hielt der Staatssekretär an seinem Vorschlage der Verkürzung der Ersatz¬ frist fest, mit der zugleich eine Beschleunigung der Herstellung neuer Schiffe zu verbinden ist. Er betonte dabei, daß die Novelle an der untersten Grenze dessen bleibe, was andre Nationen in dieser Beziehung tun, und er erläuterte dieses Wort später in der Kommission dahin, daß in fremden Mariner die Anschauung herrsche, schon nach 16, 15 oder noch weniger Jahren sei heutzutage bei dem raschen Flusse der Technik ein Kriegsschiff veraltet, während in der deutschen Marine künftig eine zwanzigjährige Lebensdauer gesetzlich gelten soll. Schon der Abgeordnete Bassermann im Plenum und dann Graf Oriola und Dr. Semler in der Kommisston regten an, ob es sich nicht empfehle, über diesen Vorschlag hinauszugehn, kürzere Ersatzfristen zu nehmen und noch rascher zu bauen. Der Staatssekretär des Neichsmarineamts wiederholte seine Er¬ klärung, daß die Novelle an der untersten Grenze des Möglichen bleibe, und fügte hinzu: „In militärischer Beziehung habe ich die volle Verantwortung dafür übernommen- Ich stünde nicht hier an dieser Stelle, wenn ich die Verant¬ wortung nicht übernehmen könnte. Trotzdem muß ich zugeben, daß der Vorschlag des Grafen Oriola vom militärischen Standpunkt aus eine Verbesserung bedeuten würde. Ich könnte mich daher nur freuen, wenn es ihm gelänge, im Reichstag und in dieser Kommission eine Majorität für seinen Vorschlag zu gewinnen. Ich müßte ihn bei den verbündeten Regierungen vom militärischen Standpunkt aus befürworten." Desgleichen nannte Admiral von Tirpitz einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/122>, abgerufen am 04.07.2024.