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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Früchte der Hcirdenprozesse

England blieb, um aus der widerwärtigen Atmosphäre seiner Hauptstadt und,
ihrer Presse herauszukommen. Als Ehrenmann klagte Graf Moltke gegen
Harden auf Beleidigung. Als min vor dem Schöffengericht infolge des Ver¬
haltens des Vorsitzenden und der groben Rücksichtslosigkeit des Verteidigers,
um den "Wahrheitsbeweis" zu liefern, vor aller Öffentlichkeit, vor dem sensations¬
lüsternen, ja schadenfrohen Publikum innerhalb und außerhalb des Gcrichtssaales
auf Grund der Angaben einer rachsüchtigen geschiednen Frau die intimsten Vor¬
gänge ans dem Eheleben des Klügers ans Licht gezerrt und tagelang breit¬
getreten wurden, Dinge, von denen eine ehrbare Frau nicht einmal hören, ge¬
schweige denn sprechen mag, da galten alle Verdienste und alle Versicherungen
Moltkes, galt ein langes ehrenvolles Leben nichts; er schien gerichtet, alles,
was gegen ihn vorgebracht worden war, schien bewiesen, der Kläger wurde im
Handumdrehen zum Verklagten und Verurteilten gebrandmarkt. Und noch mehr.
In der Presse, in Flugblättern und im Publikum wurden die perversen Er¬
scheinungen, für die sich sogar schon "wissenschaftliche" Fachmänner fanden,
als etwas sozusagen Selbstverständliches, ganz Gewöhnliches behandelt; Harden
aber erschien in der dramatischen Pose des Vaterlandsretters, des Ritters
ohne Furcht und Tadel im Kampfe gegen die Verderbnis höchster Kreise und
wurde mit Hurra begrüßt. Niemals hat die öffentliche Meinung in Deutsch¬
land sittlich so tief gestanden.

Und heute? Heute bei der öffentlich rechtlichen Anklage, die der Staatsanwalt
pflichtgemäß und energisch einleitete, ist alles gegen Moltke angesammelte
Material zerfasert, im wesentlichen als die völlig unzuverlässigen Äußerungen
einer charakterlosen und hysterischen Frau, und alles andre als ganz gemeiner
Klatsch erwiesen. Sogar ein Hauptzenge, der es immer noch liebt, sich als
einen Vertrauten des Fürsten Bismarck aus der Zeit seines Ruhestandes auf¬
zuspielen, nach dem Tode des Unvergeßlichen für sich allein die rechte Ver¬
ehrung gepachtet zu haben beanspruchte, fiel um. Er hatte eine Äußerung
des alten grollenden Titanen über perverse Neigungen und die "Kamarilla" des
Fürsten Eulenburg zum Beweis der Wahrheit von Harders Anschuldigungen,
früher beigebracht, wollte aber schließlich in den Worten des Altreichskanzlers
keinen sittlichen Vorwurf gesunde" haben. "Er wurde, wie der Verteidiger
Harders sagt, leider bei der letzten Vernehmung von einer außerordentlich
beklagenswerten Gedächtnisschwäche befallen." Und selbst, wenn er bei seiner
ursprünglichen Auffassung beharrt Hütte, so wäre damit gar nichts bewiesen.
Wenn man erlebt hat, wie Bismarck in Momenten der Erregung über Männer
urteilte, die er, zuweilen ohne jeden Grund, für seine Gegner und für mit¬
schuldig an seinem Sturze hielt, dann weiß man, welchen historischen Wert
solchen Worten beizumessen ist, und daß es ein unverantwortlicher Unfug ist,
solche mit grober Indiskretion als historische oder gar juristische Dokumente
zu behandeln. Harden sagt, Bismarck sei ein schlechter Menschenkenner ge¬
wesen. Das kann von diesen: großen Staatsmann höchstens nach seiner Ent-


Die Früchte der Hcirdenprozesse

England blieb, um aus der widerwärtigen Atmosphäre seiner Hauptstadt und,
ihrer Presse herauszukommen. Als Ehrenmann klagte Graf Moltke gegen
Harden auf Beleidigung. Als min vor dem Schöffengericht infolge des Ver¬
haltens des Vorsitzenden und der groben Rücksichtslosigkeit des Verteidigers,
um den „Wahrheitsbeweis" zu liefern, vor aller Öffentlichkeit, vor dem sensations¬
lüsternen, ja schadenfrohen Publikum innerhalb und außerhalb des Gcrichtssaales
auf Grund der Angaben einer rachsüchtigen geschiednen Frau die intimsten Vor¬
gänge ans dem Eheleben des Klügers ans Licht gezerrt und tagelang breit¬
getreten wurden, Dinge, von denen eine ehrbare Frau nicht einmal hören, ge¬
schweige denn sprechen mag, da galten alle Verdienste und alle Versicherungen
Moltkes, galt ein langes ehrenvolles Leben nichts; er schien gerichtet, alles,
was gegen ihn vorgebracht worden war, schien bewiesen, der Kläger wurde im
Handumdrehen zum Verklagten und Verurteilten gebrandmarkt. Und noch mehr.
In der Presse, in Flugblättern und im Publikum wurden die perversen Er¬
scheinungen, für die sich sogar schon „wissenschaftliche" Fachmänner fanden,
als etwas sozusagen Selbstverständliches, ganz Gewöhnliches behandelt; Harden
aber erschien in der dramatischen Pose des Vaterlandsretters, des Ritters
ohne Furcht und Tadel im Kampfe gegen die Verderbnis höchster Kreise und
wurde mit Hurra begrüßt. Niemals hat die öffentliche Meinung in Deutsch¬
land sittlich so tief gestanden.

Und heute? Heute bei der öffentlich rechtlichen Anklage, die der Staatsanwalt
pflichtgemäß und energisch einleitete, ist alles gegen Moltke angesammelte
Material zerfasert, im wesentlichen als die völlig unzuverlässigen Äußerungen
einer charakterlosen und hysterischen Frau, und alles andre als ganz gemeiner
Klatsch erwiesen. Sogar ein Hauptzenge, der es immer noch liebt, sich als
einen Vertrauten des Fürsten Bismarck aus der Zeit seines Ruhestandes auf¬
zuspielen, nach dem Tode des Unvergeßlichen für sich allein die rechte Ver¬
ehrung gepachtet zu haben beanspruchte, fiel um. Er hatte eine Äußerung
des alten grollenden Titanen über perverse Neigungen und die „Kamarilla" des
Fürsten Eulenburg zum Beweis der Wahrheit von Harders Anschuldigungen,
früher beigebracht, wollte aber schließlich in den Worten des Altreichskanzlers
keinen sittlichen Vorwurf gesunde» haben. „Er wurde, wie der Verteidiger
Harders sagt, leider bei der letzten Vernehmung von einer außerordentlich
beklagenswerten Gedächtnisschwäche befallen." Und selbst, wenn er bei seiner
ursprünglichen Auffassung beharrt Hütte, so wäre damit gar nichts bewiesen.
Wenn man erlebt hat, wie Bismarck in Momenten der Erregung über Männer
urteilte, die er, zuweilen ohne jeden Grund, für seine Gegner und für mit¬
schuldig an seinem Sturze hielt, dann weiß man, welchen historischen Wert
solchen Worten beizumessen ist, und daß es ein unverantwortlicher Unfug ist,
solche mit grober Indiskretion als historische oder gar juristische Dokumente
zu behandeln. Harden sagt, Bismarck sei ein schlechter Menschenkenner ge¬
wesen. Das kann von diesen: großen Staatsmann höchstens nach seiner Ent-


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[0115] Die Früchte der Hcirdenprozesse England blieb, um aus der widerwärtigen Atmosphäre seiner Hauptstadt und, ihrer Presse herauszukommen. Als Ehrenmann klagte Graf Moltke gegen Harden auf Beleidigung. Als min vor dem Schöffengericht infolge des Ver¬ haltens des Vorsitzenden und der groben Rücksichtslosigkeit des Verteidigers, um den „Wahrheitsbeweis" zu liefern, vor aller Öffentlichkeit, vor dem sensations¬ lüsternen, ja schadenfrohen Publikum innerhalb und außerhalb des Gcrichtssaales auf Grund der Angaben einer rachsüchtigen geschiednen Frau die intimsten Vor¬ gänge ans dem Eheleben des Klügers ans Licht gezerrt und tagelang breit¬ getreten wurden, Dinge, von denen eine ehrbare Frau nicht einmal hören, ge¬ schweige denn sprechen mag, da galten alle Verdienste und alle Versicherungen Moltkes, galt ein langes ehrenvolles Leben nichts; er schien gerichtet, alles, was gegen ihn vorgebracht worden war, schien bewiesen, der Kläger wurde im Handumdrehen zum Verklagten und Verurteilten gebrandmarkt. Und noch mehr. In der Presse, in Flugblättern und im Publikum wurden die perversen Er¬ scheinungen, für die sich sogar schon „wissenschaftliche" Fachmänner fanden, als etwas sozusagen Selbstverständliches, ganz Gewöhnliches behandelt; Harden aber erschien in der dramatischen Pose des Vaterlandsretters, des Ritters ohne Furcht und Tadel im Kampfe gegen die Verderbnis höchster Kreise und wurde mit Hurra begrüßt. Niemals hat die öffentliche Meinung in Deutsch¬ land sittlich so tief gestanden. Und heute? Heute bei der öffentlich rechtlichen Anklage, die der Staatsanwalt pflichtgemäß und energisch einleitete, ist alles gegen Moltke angesammelte Material zerfasert, im wesentlichen als die völlig unzuverlässigen Äußerungen einer charakterlosen und hysterischen Frau, und alles andre als ganz gemeiner Klatsch erwiesen. Sogar ein Hauptzenge, der es immer noch liebt, sich als einen Vertrauten des Fürsten Bismarck aus der Zeit seines Ruhestandes auf¬ zuspielen, nach dem Tode des Unvergeßlichen für sich allein die rechte Ver¬ ehrung gepachtet zu haben beanspruchte, fiel um. Er hatte eine Äußerung des alten grollenden Titanen über perverse Neigungen und die „Kamarilla" des Fürsten Eulenburg zum Beweis der Wahrheit von Harders Anschuldigungen, früher beigebracht, wollte aber schließlich in den Worten des Altreichskanzlers keinen sittlichen Vorwurf gesunde» haben. „Er wurde, wie der Verteidiger Harders sagt, leider bei der letzten Vernehmung von einer außerordentlich beklagenswerten Gedächtnisschwäche befallen." Und selbst, wenn er bei seiner ursprünglichen Auffassung beharrt Hütte, so wäre damit gar nichts bewiesen. Wenn man erlebt hat, wie Bismarck in Momenten der Erregung über Männer urteilte, die er, zuweilen ohne jeden Grund, für seine Gegner und für mit¬ schuldig an seinem Sturze hielt, dann weiß man, welchen historischen Wert solchen Worten beizumessen ist, und daß es ein unverantwortlicher Unfug ist, solche mit grober Indiskretion als historische oder gar juristische Dokumente zu behandeln. Harden sagt, Bismarck sei ein schlechter Menschenkenner ge¬ wesen. Das kann von diesen: großen Staatsmann höchstens nach seiner Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/115>, abgerufen am 22.07.2024.