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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Früchte der Hardenprozesse

halbes Jahr später ein ganz andrer ernannt wird, frischweg zu behaupten, gerade
das habe er ja schon längst gewußt. Das Publikum ist eben leichtgläubig und
vergeßlich. Harden hat unsre ganze Politik, namentlich die auswärtige, seit
Jahren fortwährend diskreditiert, im Inlande wie im Auslande, indem er sie
so darstellte, als schwanke sie urteilslos und charakterlos beständig zwischen
Übereilung und Versünmnis, Mit seinem scharfen analytischen Geiste, seinem
nicht tiefen aber enzyklopädischen^ Wissen, seinem auf den Effekt berechneten,
pseudogenialen und manierierten Stil und seiner shylockischeu Erbarmungs-
losigkeit gegen schwächere oder zaghafte Gegner hat er auf die öffentliche
Meinung jahrelang zersetzend gewirkt und sich in der Publizistik mit seiner
Zeitschrift geradezu eine tyrannische Herrschaft augemaßt. Niemals aufbauend
hat er, wie seine ganze Clique, am Herunterreißen seine besondre Freude
gehabt und dabei auf die niedrigen Instinkte, auch auf den demokratischen Neid
und Haß gegen alles Hervorragende spekuliert. Das liebe Publikum in der
großen politischen Kinderstube und die alten Klatschweiber der politischen Spinn-
stuben haben seinen pathetischen oder satirischen Offenbarungen stets gläubig und
bewundernd zugehört; und die ihn als den großen Geist in Furcht anbetenden
kleinen Journalisten wurden nicht müde zu rufen: Hört ihn, er ist ein großer
Prophet! Von den kommandierender Preßgeneralen herab bis zum journalistischen
Trainsoldaten fingen in den letzten Jahren viele an, in der geistreichelnden
Manier und dem affektierten Stil Harders über höhere Politik zu phantasieren,
'.unsre Staatsmänner zu verhöhnen und zu verdächtigen -- bis das urteils¬
fähige Publikum vou einem allgemeinen Unwillen und Ekel ergriffen wurde,
der sich jetzt mit aller Macht gegen den undeutschen Geist der Hardenschen
.Kampfesweise auflehnt.

In acht Artikeln brachte Harden, immer nur in wenig Sätzen, halbverstcckte
Andentungen und Anklagen gegen angeblich perverse Neigungen bei einigen
hochgestellten Männern in der nächsten Umgebung des Kaisers, die bald als
"Tafelrunde", bald als "Kamarilla" bezeichnet wurden und auf den Monarchen
einen schädlichen Einfluß, namentlich in persönlichen Fragen, aber auch in hoch¬
politischen Dingen ausüben und unsre Politik ungünstig bestimmen sollten. Die
Leser lauschten, zweifelten, glaubten schließlich das allerschlimmste, und mancher,
der gewöhnt war, die Vorgänge in der Welt wie ein großes Rechenexempel zu
behandeln, meinte wohl gar, damit falle auch auf den Kaiser ein Schatten;
denn entweder habe er von diesen Dingen nichts gewußt, dann mangle es ihm
in bedauerlicher Weise an Scharfblick für die Persönlichkeiten, denen er sein
Vertrauen schenke, oder er habe etwas davon gewußt, dann sei das ein
Zeichen bedenklicher Schwäche. Nun, der eine der verdächtigten Herren legte
sein Amt nieder, der zweite wurde sofort mit schlichtem Abschied entlassen,
noch andre fielen in Ungnade, ein Beweis, daß der Kaiser mit Männern, auf
denen auch mir ein solcher Verdacht lastete, nichts zu tun haben wollte. Er
selbst war über diese Anschuldigungen so aufgebracht, daß er vier Wochen in


Die Früchte der Hardenprozesse

halbes Jahr später ein ganz andrer ernannt wird, frischweg zu behaupten, gerade
das habe er ja schon längst gewußt. Das Publikum ist eben leichtgläubig und
vergeßlich. Harden hat unsre ganze Politik, namentlich die auswärtige, seit
Jahren fortwährend diskreditiert, im Inlande wie im Auslande, indem er sie
so darstellte, als schwanke sie urteilslos und charakterlos beständig zwischen
Übereilung und Versünmnis, Mit seinem scharfen analytischen Geiste, seinem
nicht tiefen aber enzyklopädischen^ Wissen, seinem auf den Effekt berechneten,
pseudogenialen und manierierten Stil und seiner shylockischeu Erbarmungs-
losigkeit gegen schwächere oder zaghafte Gegner hat er auf die öffentliche
Meinung jahrelang zersetzend gewirkt und sich in der Publizistik mit seiner
Zeitschrift geradezu eine tyrannische Herrschaft augemaßt. Niemals aufbauend
hat er, wie seine ganze Clique, am Herunterreißen seine besondre Freude
gehabt und dabei auf die niedrigen Instinkte, auch auf den demokratischen Neid
und Haß gegen alles Hervorragende spekuliert. Das liebe Publikum in der
großen politischen Kinderstube und die alten Klatschweiber der politischen Spinn-
stuben haben seinen pathetischen oder satirischen Offenbarungen stets gläubig und
bewundernd zugehört; und die ihn als den großen Geist in Furcht anbetenden
kleinen Journalisten wurden nicht müde zu rufen: Hört ihn, er ist ein großer
Prophet! Von den kommandierender Preßgeneralen herab bis zum journalistischen
Trainsoldaten fingen in den letzten Jahren viele an, in der geistreichelnden
Manier und dem affektierten Stil Harders über höhere Politik zu phantasieren,
'.unsre Staatsmänner zu verhöhnen und zu verdächtigen — bis das urteils¬
fähige Publikum vou einem allgemeinen Unwillen und Ekel ergriffen wurde,
der sich jetzt mit aller Macht gegen den undeutschen Geist der Hardenschen
.Kampfesweise auflehnt.

In acht Artikeln brachte Harden, immer nur in wenig Sätzen, halbverstcckte
Andentungen und Anklagen gegen angeblich perverse Neigungen bei einigen
hochgestellten Männern in der nächsten Umgebung des Kaisers, die bald als
„Tafelrunde", bald als „Kamarilla" bezeichnet wurden und auf den Monarchen
einen schädlichen Einfluß, namentlich in persönlichen Fragen, aber auch in hoch¬
politischen Dingen ausüben und unsre Politik ungünstig bestimmen sollten. Die
Leser lauschten, zweifelten, glaubten schließlich das allerschlimmste, und mancher,
der gewöhnt war, die Vorgänge in der Welt wie ein großes Rechenexempel zu
behandeln, meinte wohl gar, damit falle auch auf den Kaiser ein Schatten;
denn entweder habe er von diesen Dingen nichts gewußt, dann mangle es ihm
in bedauerlicher Weise an Scharfblick für die Persönlichkeiten, denen er sein
Vertrauen schenke, oder er habe etwas davon gewußt, dann sei das ein
Zeichen bedenklicher Schwäche. Nun, der eine der verdächtigten Herren legte
sein Amt nieder, der zweite wurde sofort mit schlichtem Abschied entlassen,
noch andre fielen in Ungnade, ein Beweis, daß der Kaiser mit Männern, auf
denen auch mir ein solcher Verdacht lastete, nichts zu tun haben wollte. Er
selbst war über diese Anschuldigungen so aufgebracht, daß er vier Wochen in


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[0114] Die Früchte der Hardenprozesse halbes Jahr später ein ganz andrer ernannt wird, frischweg zu behaupten, gerade das habe er ja schon längst gewußt. Das Publikum ist eben leichtgläubig und vergeßlich. Harden hat unsre ganze Politik, namentlich die auswärtige, seit Jahren fortwährend diskreditiert, im Inlande wie im Auslande, indem er sie so darstellte, als schwanke sie urteilslos und charakterlos beständig zwischen Übereilung und Versünmnis, Mit seinem scharfen analytischen Geiste, seinem nicht tiefen aber enzyklopädischen^ Wissen, seinem auf den Effekt berechneten, pseudogenialen und manierierten Stil und seiner shylockischeu Erbarmungs- losigkeit gegen schwächere oder zaghafte Gegner hat er auf die öffentliche Meinung jahrelang zersetzend gewirkt und sich in der Publizistik mit seiner Zeitschrift geradezu eine tyrannische Herrschaft augemaßt. Niemals aufbauend hat er, wie seine ganze Clique, am Herunterreißen seine besondre Freude gehabt und dabei auf die niedrigen Instinkte, auch auf den demokratischen Neid und Haß gegen alles Hervorragende spekuliert. Das liebe Publikum in der großen politischen Kinderstube und die alten Klatschweiber der politischen Spinn- stuben haben seinen pathetischen oder satirischen Offenbarungen stets gläubig und bewundernd zugehört; und die ihn als den großen Geist in Furcht anbetenden kleinen Journalisten wurden nicht müde zu rufen: Hört ihn, er ist ein großer Prophet! Von den kommandierender Preßgeneralen herab bis zum journalistischen Trainsoldaten fingen in den letzten Jahren viele an, in der geistreichelnden Manier und dem affektierten Stil Harders über höhere Politik zu phantasieren, '.unsre Staatsmänner zu verhöhnen und zu verdächtigen — bis das urteils¬ fähige Publikum vou einem allgemeinen Unwillen und Ekel ergriffen wurde, der sich jetzt mit aller Macht gegen den undeutschen Geist der Hardenschen .Kampfesweise auflehnt. In acht Artikeln brachte Harden, immer nur in wenig Sätzen, halbverstcckte Andentungen und Anklagen gegen angeblich perverse Neigungen bei einigen hochgestellten Männern in der nächsten Umgebung des Kaisers, die bald als „Tafelrunde", bald als „Kamarilla" bezeichnet wurden und auf den Monarchen einen schädlichen Einfluß, namentlich in persönlichen Fragen, aber auch in hoch¬ politischen Dingen ausüben und unsre Politik ungünstig bestimmen sollten. Die Leser lauschten, zweifelten, glaubten schließlich das allerschlimmste, und mancher, der gewöhnt war, die Vorgänge in der Welt wie ein großes Rechenexempel zu behandeln, meinte wohl gar, damit falle auch auf den Kaiser ein Schatten; denn entweder habe er von diesen Dingen nichts gewußt, dann mangle es ihm in bedauerlicher Weise an Scharfblick für die Persönlichkeiten, denen er sein Vertrauen schenke, oder er habe etwas davon gewußt, dann sei das ein Zeichen bedenklicher Schwäche. Nun, der eine der verdächtigten Herren legte sein Amt nieder, der zweite wurde sofort mit schlichtem Abschied entlassen, noch andre fielen in Ungnade, ein Beweis, daß der Kaiser mit Männern, auf denen auch mir ein solcher Verdacht lastete, nichts zu tun haben wollte. Er selbst war über diese Anschuldigungen so aufgebracht, daß er vier Wochen in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/114>, abgerufen am 22.07.2024.