Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Türkenherrschaft und ihre Folgen

Die Türken selbst waren ursprünglich speziell gegen die slawischen ortho¬
doxen Christen nicht besonders intolerant. Anfangs gebührt ein Verdienst
dafür auch den bulgarischen und serbischen Fürstinnen, die aus politischen
Gründen den Harem der Sultane zieren mußten: Thamar, einer Schwester
Schischmans, Olivera. die von Konstantin von Kostenec als "serbische Esther'^
gefeiert wird, und Mara, aus dem Geschlecht der Brankovici, deren Schutz
sich namentlich die serbischen Athosmönche erfreuten. Auch den Mönchen des
Rylaklosters erwirkte sie die Bewilligung, daß sie sich den bulgarischen National¬
patron Joann Rylskyj aus Sofia holen konnten (1469); die Schilderung dieses
Ereignisses durch Vladislav den Grammatiker zeugt von der ungewöhnlichen
Ruhe, die damals in Bulgarien herrschte. An einer gewaltsamen Bekehrung
der slawischen Volksmassen hatten, abgesehen von strategisch wichtigen Punkten
wie z. B. im Nhooopegebirge, die Türken kein besondres Interesse, im Gegen¬
teil, den Grundherren mußte eine möglichst zahlreiche rechtlose Raja sehr will¬
kommen sein. Diese selbst fühlte ursprünglich den Unterschied nicht so stark,
weil sie im Grunde genommen nur die Herren gewechselt hatte. Erst allmählich
machten sich auch die schweren Folgen der türkischen Wirtschaft bemerkbar, und
seit dem Niedergang der türkischen Macht gegen Ende des sechzehnten Jahr¬
hunderts beginnt auch die Unterdrückung der Christen, die sofort zu Aufständen
bereit waren, wenn die Türkei nur irgendwo in einen größern Krieg ver¬
wickelt wurde. ^Dieser Kampflust bedienten sich auch gern die christlichen
Mächte, namentlich Österreich und Venedig. Solche Versuche mußten die
türkische" Christen allerdings schwer büßen, namentlich wenn sie mit einem
fremden Heere gemeinsame Sache gemacht hatten, das sich dann zurückzog, wie
die Österreicher 1689 aus Altserbien oder 1697 nach dem Streifzug des
Prinzen Eugen nach Bosnien. Die fortwährenden Wanderungen nach dem
Norden und Westen nahmen in solchen Kriegszeiten besonders große Dimensionen
an. So kamen zahlreiche orthodoxe Serben nach Ungarn weit über ihre jetzigen
Wohnsitze hinaus, wo sie trotz des Glaubensunterschiedes allmählich in der
übrigen Bevölkerung aufgingen, und in die österreichischen und ungarischen
Grenzgebiete, während andrerseits auch die Türkei orthodoxe Grenzwächter
(ma.rec>l08i aus dem griechischen "^daran>>.oL X "lUtt^rw^os) ansiedelte. Zahl¬
reiche Katholiken kamen aus Bosnien und der Herzegowina wieder nach Slawonieu
und in die Donaugebiete Ungarns (Bunjevci, Schokci), während sich andrerseits
kroatischeKatholiken in einem weiten Streifen im westlichen Ungarn bis nach Nieder¬
österreich und Mähren zerstreuten. So wurden große Teile von ihren Stammes¬
körpern losgelöst, nicht immer zum Vorteil der slawischen Nationalität; speziell
die Serben gaben auf diese Weise allmählich den größten Teil ihres Stamm-
landes preis, in dem der Prozeß des Zurttckweichens vor den aus den Bergen
herabsteigenden Albanesen bis auf den heutige" Tag nicht abgeschlossen ist.
Auch die großen religiösen und dialektischen Mischungen in den österreichisch¬
türkischen Grenzgebieten werden aus diesen Wanderungen erklärlich; in den


Die Türkenherrschaft und ihre Folgen

Die Türken selbst waren ursprünglich speziell gegen die slawischen ortho¬
doxen Christen nicht besonders intolerant. Anfangs gebührt ein Verdienst
dafür auch den bulgarischen und serbischen Fürstinnen, die aus politischen
Gründen den Harem der Sultane zieren mußten: Thamar, einer Schwester
Schischmans, Olivera. die von Konstantin von Kostenec als „serbische Esther'^
gefeiert wird, und Mara, aus dem Geschlecht der Brankovici, deren Schutz
sich namentlich die serbischen Athosmönche erfreuten. Auch den Mönchen des
Rylaklosters erwirkte sie die Bewilligung, daß sie sich den bulgarischen National¬
patron Joann Rylskyj aus Sofia holen konnten (1469); die Schilderung dieses
Ereignisses durch Vladislav den Grammatiker zeugt von der ungewöhnlichen
Ruhe, die damals in Bulgarien herrschte. An einer gewaltsamen Bekehrung
der slawischen Volksmassen hatten, abgesehen von strategisch wichtigen Punkten
wie z. B. im Nhooopegebirge, die Türken kein besondres Interesse, im Gegen¬
teil, den Grundherren mußte eine möglichst zahlreiche rechtlose Raja sehr will¬
kommen sein. Diese selbst fühlte ursprünglich den Unterschied nicht so stark,
weil sie im Grunde genommen nur die Herren gewechselt hatte. Erst allmählich
machten sich auch die schweren Folgen der türkischen Wirtschaft bemerkbar, und
seit dem Niedergang der türkischen Macht gegen Ende des sechzehnten Jahr¬
hunderts beginnt auch die Unterdrückung der Christen, die sofort zu Aufständen
bereit waren, wenn die Türkei nur irgendwo in einen größern Krieg ver¬
wickelt wurde. ^Dieser Kampflust bedienten sich auch gern die christlichen
Mächte, namentlich Österreich und Venedig. Solche Versuche mußten die
türkische» Christen allerdings schwer büßen, namentlich wenn sie mit einem
fremden Heere gemeinsame Sache gemacht hatten, das sich dann zurückzog, wie
die Österreicher 1689 aus Altserbien oder 1697 nach dem Streifzug des
Prinzen Eugen nach Bosnien. Die fortwährenden Wanderungen nach dem
Norden und Westen nahmen in solchen Kriegszeiten besonders große Dimensionen
an. So kamen zahlreiche orthodoxe Serben nach Ungarn weit über ihre jetzigen
Wohnsitze hinaus, wo sie trotz des Glaubensunterschiedes allmählich in der
übrigen Bevölkerung aufgingen, und in die österreichischen und ungarischen
Grenzgebiete, während andrerseits auch die Türkei orthodoxe Grenzwächter
(ma.rec>l08i aus dem griechischen «^daran>>.oL X «lUtt^rw^os) ansiedelte. Zahl¬
reiche Katholiken kamen aus Bosnien und der Herzegowina wieder nach Slawonieu
und in die Donaugebiete Ungarns (Bunjevci, Schokci), während sich andrerseits
kroatischeKatholiken in einem weiten Streifen im westlichen Ungarn bis nach Nieder¬
österreich und Mähren zerstreuten. So wurden große Teile von ihren Stammes¬
körpern losgelöst, nicht immer zum Vorteil der slawischen Nationalität; speziell
die Serben gaben auf diese Weise allmählich den größten Teil ihres Stamm-
landes preis, in dem der Prozeß des Zurttckweichens vor den aus den Bergen
herabsteigenden Albanesen bis auf den heutige» Tag nicht abgeschlossen ist.
Auch die großen religiösen und dialektischen Mischungen in den österreichisch¬
türkischen Grenzgebieten werden aus diesen Wanderungen erklärlich; in den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0071" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310482"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Türkenherrschaft und ihre Folgen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_319" next="#ID_320"> Die Türken selbst waren ursprünglich speziell gegen die slawischen ortho¬<lb/>
doxen Christen nicht besonders intolerant.  Anfangs gebührt ein Verdienst<lb/>
dafür auch den bulgarischen und serbischen Fürstinnen, die aus politischen<lb/>
Gründen den Harem der Sultane zieren mußten: Thamar, einer Schwester<lb/>
Schischmans, Olivera. die von Konstantin von Kostenec als &#x201E;serbische Esther'^<lb/>
gefeiert wird, und Mara, aus dem Geschlecht der Brankovici, deren Schutz<lb/>
sich namentlich die serbischen Athosmönche erfreuten. Auch den Mönchen des<lb/>
Rylaklosters erwirkte sie die Bewilligung, daß sie sich den bulgarischen National¬<lb/>
patron Joann Rylskyj aus Sofia holen konnten (1469); die Schilderung dieses<lb/>
Ereignisses durch Vladislav den Grammatiker zeugt von der ungewöhnlichen<lb/>
Ruhe, die damals in Bulgarien herrschte. An einer gewaltsamen Bekehrung<lb/>
der slawischen Volksmassen hatten, abgesehen von strategisch wichtigen Punkten<lb/>
wie z. B. im Nhooopegebirge, die Türken kein besondres Interesse, im Gegen¬<lb/>
teil, den Grundherren mußte eine möglichst zahlreiche rechtlose Raja sehr will¬<lb/>
kommen sein.  Diese selbst fühlte ursprünglich den Unterschied nicht so stark,<lb/>
weil sie im Grunde genommen nur die Herren gewechselt hatte. Erst allmählich<lb/>
machten sich auch die schweren Folgen der türkischen Wirtschaft bemerkbar, und<lb/>
seit dem Niedergang der türkischen Macht gegen Ende des sechzehnten Jahr¬<lb/>
hunderts beginnt auch die Unterdrückung der Christen, die sofort zu Aufständen<lb/>
bereit waren, wenn die Türkei nur irgendwo in einen größern Krieg ver¬<lb/>
wickelt wurde. ^Dieser Kampflust bedienten sich auch gern die christlichen<lb/>
Mächte, namentlich Österreich und Venedig.  Solche Versuche mußten die<lb/>
türkische» Christen allerdings schwer büßen, namentlich wenn sie mit einem<lb/>
fremden Heere gemeinsame Sache gemacht hatten, das sich dann zurückzog, wie<lb/>
die Österreicher 1689 aus Altserbien oder 1697 nach dem Streifzug des<lb/>
Prinzen Eugen nach Bosnien.  Die fortwährenden Wanderungen nach dem<lb/>
Norden und Westen nahmen in solchen Kriegszeiten besonders große Dimensionen<lb/>
an. So kamen zahlreiche orthodoxe Serben nach Ungarn weit über ihre jetzigen<lb/>
Wohnsitze hinaus, wo sie trotz des Glaubensunterschiedes allmählich in der<lb/>
übrigen Bevölkerung aufgingen, und in die österreichischen und ungarischen<lb/>
Grenzgebiete, während andrerseits auch die Türkei orthodoxe Grenzwächter<lb/>
(ma.rec&gt;l08i aus dem griechischen «^daran&gt;&gt;.oL X «lUtt^rw^os) ansiedelte. Zahl¬<lb/>
reiche Katholiken kamen aus Bosnien und der Herzegowina wieder nach Slawonieu<lb/>
und in die Donaugebiete Ungarns (Bunjevci, Schokci), während sich andrerseits<lb/>
kroatischeKatholiken in einem weiten Streifen im westlichen Ungarn bis nach Nieder¬<lb/>
österreich und Mähren zerstreuten. So wurden große Teile von ihren Stammes¬<lb/>
körpern losgelöst, nicht immer zum Vorteil der slawischen Nationalität; speziell<lb/>
die Serben gaben auf diese Weise allmählich den größten Teil ihres Stamm-<lb/>
landes preis, in dem der Prozeß des Zurttckweichens vor den aus den Bergen<lb/>
herabsteigenden Albanesen bis auf den heutige» Tag nicht abgeschlossen ist.<lb/>
Auch die großen religiösen und dialektischen Mischungen in den österreichisch¬<lb/>
türkischen Grenzgebieten werden aus diesen Wanderungen erklärlich; in den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0071] Die Türkenherrschaft und ihre Folgen Die Türken selbst waren ursprünglich speziell gegen die slawischen ortho¬ doxen Christen nicht besonders intolerant. Anfangs gebührt ein Verdienst dafür auch den bulgarischen und serbischen Fürstinnen, die aus politischen Gründen den Harem der Sultane zieren mußten: Thamar, einer Schwester Schischmans, Olivera. die von Konstantin von Kostenec als „serbische Esther'^ gefeiert wird, und Mara, aus dem Geschlecht der Brankovici, deren Schutz sich namentlich die serbischen Athosmönche erfreuten. Auch den Mönchen des Rylaklosters erwirkte sie die Bewilligung, daß sie sich den bulgarischen National¬ patron Joann Rylskyj aus Sofia holen konnten (1469); die Schilderung dieses Ereignisses durch Vladislav den Grammatiker zeugt von der ungewöhnlichen Ruhe, die damals in Bulgarien herrschte. An einer gewaltsamen Bekehrung der slawischen Volksmassen hatten, abgesehen von strategisch wichtigen Punkten wie z. B. im Nhooopegebirge, die Türken kein besondres Interesse, im Gegen¬ teil, den Grundherren mußte eine möglichst zahlreiche rechtlose Raja sehr will¬ kommen sein. Diese selbst fühlte ursprünglich den Unterschied nicht so stark, weil sie im Grunde genommen nur die Herren gewechselt hatte. Erst allmählich machten sich auch die schweren Folgen der türkischen Wirtschaft bemerkbar, und seit dem Niedergang der türkischen Macht gegen Ende des sechzehnten Jahr¬ hunderts beginnt auch die Unterdrückung der Christen, die sofort zu Aufständen bereit waren, wenn die Türkei nur irgendwo in einen größern Krieg ver¬ wickelt wurde. ^Dieser Kampflust bedienten sich auch gern die christlichen Mächte, namentlich Österreich und Venedig. Solche Versuche mußten die türkische» Christen allerdings schwer büßen, namentlich wenn sie mit einem fremden Heere gemeinsame Sache gemacht hatten, das sich dann zurückzog, wie die Österreicher 1689 aus Altserbien oder 1697 nach dem Streifzug des Prinzen Eugen nach Bosnien. Die fortwährenden Wanderungen nach dem Norden und Westen nahmen in solchen Kriegszeiten besonders große Dimensionen an. So kamen zahlreiche orthodoxe Serben nach Ungarn weit über ihre jetzigen Wohnsitze hinaus, wo sie trotz des Glaubensunterschiedes allmählich in der übrigen Bevölkerung aufgingen, und in die österreichischen und ungarischen Grenzgebiete, während andrerseits auch die Türkei orthodoxe Grenzwächter (ma.rec>l08i aus dem griechischen «^daran>>.oL X «lUtt^rw^os) ansiedelte. Zahl¬ reiche Katholiken kamen aus Bosnien und der Herzegowina wieder nach Slawonieu und in die Donaugebiete Ungarns (Bunjevci, Schokci), während sich andrerseits kroatischeKatholiken in einem weiten Streifen im westlichen Ungarn bis nach Nieder¬ österreich und Mähren zerstreuten. So wurden große Teile von ihren Stammes¬ körpern losgelöst, nicht immer zum Vorteil der slawischen Nationalität; speziell die Serben gaben auf diese Weise allmählich den größten Teil ihres Stamm- landes preis, in dem der Prozeß des Zurttckweichens vor den aus den Bergen herabsteigenden Albanesen bis auf den heutige» Tag nicht abgeschlossen ist. Auch die großen religiösen und dialektischen Mischungen in den österreichisch¬ türkischen Grenzgebieten werden aus diesen Wanderungen erklärlich; in den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/71
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/71>, abgerufen am 22.07.2024.