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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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vie Türkenherrschaft und ihre Folgen

nannten, aber auffällig ist es, daß die von Pec ebenfalls auf "alle Serben,
Bulgaren und viele andre Länder" oder ebenso auf "die übrigen" Anspruch
erhoben. Die Machtsphäre der beiden Kirchen erfuhr in der Türkenzeit sogar
eine Erweiterung, denn der von Ochrida war seit dem Ende des vierzehnten
bis zum sechzehnten Jahrhundert, allerdings mit Unterbrechungen, auch Rumänien
untergeordnet. Pec aber, das ohnehin ein wenig auf Kosten des Erzbistums
Ochrida im Südosten erweitert wurde, konnte erst jetzt die kirchliche Organisation
in Bosnien ausbauen und bekam nicht bloß die Orthodoxen in Ungarn,
Slawonien, Kroatien und Dalmatien zugewiesen, sondern türkische Machthaber
wollten seit dem sechzehnten Jahrhundert sogar die dortigen Katholiken der
Jurisdiktion des Patriarchen von Pec ausliefern. Man findet es vom Stand¬
punkte der Türkei auch vollkommen begreiflich, daß ihr der Patriarch von
Konstantinopel und der ebenfalls auf ihrem Territorium ansässige und von
ihr abhängige Patriarch von Pec lieber waren als der Papst, der nicht
müde wurde, die katholischen Mächte gegen sie aufzustacheln. Ebenso ver¬
ständlich ist das Bestreben, die Katholiken aus einem strategisch so wichtigen
Gebiet, wie es das Sandschakat Lila an der kroatisch-dalmatinischen Grenze
war, zu verdrängen. Die beiden genannten kirchlichen Würdenträger forderten
in der Tat zu wiederholten malen unbarmherzig Abgaben auch von den
Katholiken.

Die beiden autokephalen Kirchen, die dieselben Schwächen zeigten wie ihr
Musterbild am Bosporus, waren jedoch, obgleich Ochrida eine Stütze des
Hellenismus bildete, den Patriarchen von Konstantinopel und dem Phanar
aus finanziellen und nationalpolitischen Gründen ein Greuel. Immerhin ge¬
lang den Phanarioten erst dann, als sie ganz die Oberhand erreicht hatten,
die Vernichtung des autokephalen bulgarischen Erzbistums in Ochrida und
des serbischen Patriarchats in Pec (1767). So lastete endlich auf allen
orthodoxen Slawen der Türkei das Joch der griechischen Kirche, das speziell
in kultureller Hinsicht viel schlimmer war als das türkische und derartige Ge¬
fühle weckte, daß aus Haß gegen den habgierigen griechischen Klerus Über¬
tritte zum Islam vorkamen, z. B. in Altserbien. Die slawische Liturgie
erhielt sich bei den Bulgaren fast nur in den Dörfern, aber selbst in Serbien
gab es zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts griechische Bischöfe, die nur
schlecht slawisch konnten. Angesichts der panhellenistischen Träume war es
ein Glück für die Balkanslawen, daß die griechische Bildung auf eine sehr
niedrige Stufe gesunken und nur dadurch zugänglich war, daß man außer der
griechische" Umgangssprache noch die künstlich konservierte literarische lernen
mußte, weshalb die Griechen wenig Assimilativnskraft besaßen und den slawischen
Massen nicht gefährlich werden konnten. Die ganze Lage der orthodoxen Slawen
uuter der Herrschaft der Türken und Griechen macht es aber auch erklärlich,
daß das religiöse Leben der Bulgaren und Serben in einen tiefen Verfall
geriet und heute vom innigen Glauben der Russen ganz verschieden ist.


vie Türkenherrschaft und ihre Folgen

nannten, aber auffällig ist es, daß die von Pec ebenfalls auf „alle Serben,
Bulgaren und viele andre Länder" oder ebenso auf „die übrigen" Anspruch
erhoben. Die Machtsphäre der beiden Kirchen erfuhr in der Türkenzeit sogar
eine Erweiterung, denn der von Ochrida war seit dem Ende des vierzehnten
bis zum sechzehnten Jahrhundert, allerdings mit Unterbrechungen, auch Rumänien
untergeordnet. Pec aber, das ohnehin ein wenig auf Kosten des Erzbistums
Ochrida im Südosten erweitert wurde, konnte erst jetzt die kirchliche Organisation
in Bosnien ausbauen und bekam nicht bloß die Orthodoxen in Ungarn,
Slawonien, Kroatien und Dalmatien zugewiesen, sondern türkische Machthaber
wollten seit dem sechzehnten Jahrhundert sogar die dortigen Katholiken der
Jurisdiktion des Patriarchen von Pec ausliefern. Man findet es vom Stand¬
punkte der Türkei auch vollkommen begreiflich, daß ihr der Patriarch von
Konstantinopel und der ebenfalls auf ihrem Territorium ansässige und von
ihr abhängige Patriarch von Pec lieber waren als der Papst, der nicht
müde wurde, die katholischen Mächte gegen sie aufzustacheln. Ebenso ver¬
ständlich ist das Bestreben, die Katholiken aus einem strategisch so wichtigen
Gebiet, wie es das Sandschakat Lila an der kroatisch-dalmatinischen Grenze
war, zu verdrängen. Die beiden genannten kirchlichen Würdenträger forderten
in der Tat zu wiederholten malen unbarmherzig Abgaben auch von den
Katholiken.

Die beiden autokephalen Kirchen, die dieselben Schwächen zeigten wie ihr
Musterbild am Bosporus, waren jedoch, obgleich Ochrida eine Stütze des
Hellenismus bildete, den Patriarchen von Konstantinopel und dem Phanar
aus finanziellen und nationalpolitischen Gründen ein Greuel. Immerhin ge¬
lang den Phanarioten erst dann, als sie ganz die Oberhand erreicht hatten,
die Vernichtung des autokephalen bulgarischen Erzbistums in Ochrida und
des serbischen Patriarchats in Pec (1767). So lastete endlich auf allen
orthodoxen Slawen der Türkei das Joch der griechischen Kirche, das speziell
in kultureller Hinsicht viel schlimmer war als das türkische und derartige Ge¬
fühle weckte, daß aus Haß gegen den habgierigen griechischen Klerus Über¬
tritte zum Islam vorkamen, z. B. in Altserbien. Die slawische Liturgie
erhielt sich bei den Bulgaren fast nur in den Dörfern, aber selbst in Serbien
gab es zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts griechische Bischöfe, die nur
schlecht slawisch konnten. Angesichts der panhellenistischen Träume war es
ein Glück für die Balkanslawen, daß die griechische Bildung auf eine sehr
niedrige Stufe gesunken und nur dadurch zugänglich war, daß man außer der
griechische» Umgangssprache noch die künstlich konservierte literarische lernen
mußte, weshalb die Griechen wenig Assimilativnskraft besaßen und den slawischen
Massen nicht gefährlich werden konnten. Die ganze Lage der orthodoxen Slawen
uuter der Herrschaft der Türken und Griechen macht es aber auch erklärlich,
daß das religiöse Leben der Bulgaren und Serben in einen tiefen Verfall
geriet und heute vom innigen Glauben der Russen ganz verschieden ist.


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[0070] vie Türkenherrschaft und ihre Folgen nannten, aber auffällig ist es, daß die von Pec ebenfalls auf „alle Serben, Bulgaren und viele andre Länder" oder ebenso auf „die übrigen" Anspruch erhoben. Die Machtsphäre der beiden Kirchen erfuhr in der Türkenzeit sogar eine Erweiterung, denn der von Ochrida war seit dem Ende des vierzehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert, allerdings mit Unterbrechungen, auch Rumänien untergeordnet. Pec aber, das ohnehin ein wenig auf Kosten des Erzbistums Ochrida im Südosten erweitert wurde, konnte erst jetzt die kirchliche Organisation in Bosnien ausbauen und bekam nicht bloß die Orthodoxen in Ungarn, Slawonien, Kroatien und Dalmatien zugewiesen, sondern türkische Machthaber wollten seit dem sechzehnten Jahrhundert sogar die dortigen Katholiken der Jurisdiktion des Patriarchen von Pec ausliefern. Man findet es vom Stand¬ punkte der Türkei auch vollkommen begreiflich, daß ihr der Patriarch von Konstantinopel und der ebenfalls auf ihrem Territorium ansässige und von ihr abhängige Patriarch von Pec lieber waren als der Papst, der nicht müde wurde, die katholischen Mächte gegen sie aufzustacheln. Ebenso ver¬ ständlich ist das Bestreben, die Katholiken aus einem strategisch so wichtigen Gebiet, wie es das Sandschakat Lila an der kroatisch-dalmatinischen Grenze war, zu verdrängen. Die beiden genannten kirchlichen Würdenträger forderten in der Tat zu wiederholten malen unbarmherzig Abgaben auch von den Katholiken. Die beiden autokephalen Kirchen, die dieselben Schwächen zeigten wie ihr Musterbild am Bosporus, waren jedoch, obgleich Ochrida eine Stütze des Hellenismus bildete, den Patriarchen von Konstantinopel und dem Phanar aus finanziellen und nationalpolitischen Gründen ein Greuel. Immerhin ge¬ lang den Phanarioten erst dann, als sie ganz die Oberhand erreicht hatten, die Vernichtung des autokephalen bulgarischen Erzbistums in Ochrida und des serbischen Patriarchats in Pec (1767). So lastete endlich auf allen orthodoxen Slawen der Türkei das Joch der griechischen Kirche, das speziell in kultureller Hinsicht viel schlimmer war als das türkische und derartige Ge¬ fühle weckte, daß aus Haß gegen den habgierigen griechischen Klerus Über¬ tritte zum Islam vorkamen, z. B. in Altserbien. Die slawische Liturgie erhielt sich bei den Bulgaren fast nur in den Dörfern, aber selbst in Serbien gab es zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts griechische Bischöfe, die nur schlecht slawisch konnten. Angesichts der panhellenistischen Träume war es ein Glück für die Balkanslawen, daß die griechische Bildung auf eine sehr niedrige Stufe gesunken und nur dadurch zugänglich war, daß man außer der griechische» Umgangssprache noch die künstlich konservierte literarische lernen mußte, weshalb die Griechen wenig Assimilativnskraft besaßen und den slawischen Massen nicht gefährlich werden konnten. Die ganze Lage der orthodoxen Slawen uuter der Herrschaft der Türken und Griechen macht es aber auch erklärlich, daß das religiöse Leben der Bulgaren und Serben in einen tiefen Verfall geriet und heute vom innigen Glauben der Russen ganz verschieden ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/70>, abgerufen am 22.07.2024.