Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

zwei Züge schicken, hat aber wieder abgelehnt, der Hof läßt Pferde von
Sondershausen und Rudolstadt kommen . . - Meinen eignen Wagen hat der
Hof in Anspruch genommen. Gotha hat keinen Besuch und mehr Equipagen,
warum sucht man alles bei uns? Es soll aber weiter spekuliert werden . . .
Pächterpferde können nicht ins Kutschgeschirr gebracht werden, ohne ungeschickt
und gefährlich zu fahren, das sagen alle Herren, die ich darum fragte; der
Hof hat keine übrigen Kutschgcschirre und Pferde, das versichert Kirms sehr
hoch. Er ist auch in der ganzen Stadt herumgewesen; der Hof hat nur das
notdürftigste Geschirr seit der Plünderung, wo alle diese Vorräte draufgingen."
Dazwischen bedauert aber der verständnisvolle alte Herr, der selbst dnrch
Stafetten in der Nacht arg irritiert wird, den jüngern Kollegen in dem
Erfurter Trubel: "Ich würde krank an Ihrer Stelle, kann mir nicht den
zehnten Teil Ihrer Arbeit zumuten. Ich würde auch bei den Herren mit
meinem gcradebrechten Französisch schlecht bestehn . . . Von mir möge es heißen
Mi blue I-ion dsve vixit. Der Herzog hat ja immer selbst regiert und
dirigiert und nur Hilfskräfte gebraucht." ... In aller Mühsal und Aufregung
tröstet sich der Freund der alten Klassiker mit dem Horazischen: lknius lit
Mtisutig. (Mdciuiä oorrigero eist melas. In andrer Sprache redet ein Brief
des Oberstallmeisters von Seebach: "Equipage für Oudinot und Benevent
haben Sie gewünscht? Aber 1. was für Wagen? Alle sind den Herren zu
schlecht. 2. hat doch der König von Westfalen auch für sie Wagen gesandt.
3. wenn diese vornehmen Fremden nächstens alle nach Weimar kommen,
brauchen wir gewiß alle Wagen und Schwänze." Das war ein kräftiges
Stallmeisterdcutsch. Was mit der Sache schließlich geworden ist, ist nicht mehr
festzustellen.

Wichtiger waren politische Gedanken, die sich auch in Weimar regten.
Das Gebiet von Erfurt, bis 1803 kurmainzisch, dann bis 1806 preußisch,
war jetzt ohne deutschen Landesherrn und stand mit der Grafschaft Blanken-
hcnn nur unter französischer Oberhoheit. Auf Blankenhain hatte Weimar
rechtmäßige Ansprüche. Da lag der Gedanke nahe, mit dieser Herrschaft auch
Erfurt zu bekommen. Unter den Papieren des Kanzlers von Müller im
Goethearchiv findet sich ein Votum des Geheimen Rats von Wolzogen über
die Frage, ob man durch Vermittlung des Kaisers Alexander versuchen solle.
Erfurt zu erlangen. Es rät entschieden davon ab. Erfurt sei eine für
Zwanzig Jahre hinaus ruinierte Besitzung. Bei jeder politischen Änderung
mit Nußland werde es' wieder verloren gehn. Serenissimus habe doch dem
Kaiser Alexander geschrieben, daß er nicht mit Bitten um Verwendung werde
behelligt werden. Man kompromittiere sich gegen beide Kaiser, wenn man
vergeblich etwas wünsche. Sie müßten beide das Delikate dieser Denkungsart
fühlen, das gegen das ewige Sollizitieren so vieler Kompetenten absteche.
Man warte mindestens die Lustpartie nach Weimar erst ab, bei der man nicht
ohne Embarras sein werde, wenn die Bitte schon stattgefunden habe. Der


Grenzboten IV 1908

zwei Züge schicken, hat aber wieder abgelehnt, der Hof läßt Pferde von
Sondershausen und Rudolstadt kommen . . - Meinen eignen Wagen hat der
Hof in Anspruch genommen. Gotha hat keinen Besuch und mehr Equipagen,
warum sucht man alles bei uns? Es soll aber weiter spekuliert werden . . .
Pächterpferde können nicht ins Kutschgeschirr gebracht werden, ohne ungeschickt
und gefährlich zu fahren, das sagen alle Herren, die ich darum fragte; der
Hof hat keine übrigen Kutschgcschirre und Pferde, das versichert Kirms sehr
hoch. Er ist auch in der ganzen Stadt herumgewesen; der Hof hat nur das
notdürftigste Geschirr seit der Plünderung, wo alle diese Vorräte draufgingen."
Dazwischen bedauert aber der verständnisvolle alte Herr, der selbst dnrch
Stafetten in der Nacht arg irritiert wird, den jüngern Kollegen in dem
Erfurter Trubel: „Ich würde krank an Ihrer Stelle, kann mir nicht den
zehnten Teil Ihrer Arbeit zumuten. Ich würde auch bei den Herren mit
meinem gcradebrechten Französisch schlecht bestehn . . . Von mir möge es heißen
Mi blue I-ion dsve vixit. Der Herzog hat ja immer selbst regiert und
dirigiert und nur Hilfskräfte gebraucht." ... In aller Mühsal und Aufregung
tröstet sich der Freund der alten Klassiker mit dem Horazischen: lknius lit
Mtisutig. (Mdciuiä oorrigero eist melas. In andrer Sprache redet ein Brief
des Oberstallmeisters von Seebach: „Equipage für Oudinot und Benevent
haben Sie gewünscht? Aber 1. was für Wagen? Alle sind den Herren zu
schlecht. 2. hat doch der König von Westfalen auch für sie Wagen gesandt.
3. wenn diese vornehmen Fremden nächstens alle nach Weimar kommen,
brauchen wir gewiß alle Wagen und Schwänze." Das war ein kräftiges
Stallmeisterdcutsch. Was mit der Sache schließlich geworden ist, ist nicht mehr
festzustellen.

Wichtiger waren politische Gedanken, die sich auch in Weimar regten.
Das Gebiet von Erfurt, bis 1803 kurmainzisch, dann bis 1806 preußisch,
war jetzt ohne deutschen Landesherrn und stand mit der Grafschaft Blanken-
hcnn nur unter französischer Oberhoheit. Auf Blankenhain hatte Weimar
rechtmäßige Ansprüche. Da lag der Gedanke nahe, mit dieser Herrschaft auch
Erfurt zu bekommen. Unter den Papieren des Kanzlers von Müller im
Goethearchiv findet sich ein Votum des Geheimen Rats von Wolzogen über
die Frage, ob man durch Vermittlung des Kaisers Alexander versuchen solle.
Erfurt zu erlangen. Es rät entschieden davon ab. Erfurt sei eine für
Zwanzig Jahre hinaus ruinierte Besitzung. Bei jeder politischen Änderung
mit Nußland werde es' wieder verloren gehn. Serenissimus habe doch dem
Kaiser Alexander geschrieben, daß er nicht mit Bitten um Verwendung werde
behelligt werden. Man kompromittiere sich gegen beide Kaiser, wenn man
vergeblich etwas wünsche. Sie müßten beide das Delikate dieser Denkungsart
fühlen, das gegen das ewige Sollizitieren so vieler Kompetenten absteche.
Man warte mindestens die Lustpartie nach Weimar erst ab, bei der man nicht
ohne Embarras sein werde, wenn die Bitte schon stattgefunden habe. Der


Grenzboten IV 1908
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0577" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310988"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_3027" prev="#ID_3026"> zwei Züge schicken, hat aber wieder abgelehnt, der Hof läßt Pferde von<lb/>
Sondershausen und Rudolstadt kommen . . - Meinen eignen Wagen hat der<lb/>
Hof in Anspruch genommen. Gotha hat keinen Besuch und mehr Equipagen,<lb/>
warum sucht man alles bei uns? Es soll aber weiter spekuliert werden . . .<lb/>
Pächterpferde können nicht ins Kutschgeschirr gebracht werden, ohne ungeschickt<lb/>
und gefährlich zu fahren, das sagen alle Herren, die ich darum fragte; der<lb/>
Hof hat keine übrigen Kutschgcschirre und Pferde, das versichert Kirms sehr<lb/>
hoch. Er ist auch in der ganzen Stadt herumgewesen; der Hof hat nur das<lb/>
notdürftigste Geschirr seit der Plünderung, wo alle diese Vorräte draufgingen."<lb/>
Dazwischen bedauert aber der verständnisvolle alte Herr, der selbst dnrch<lb/>
Stafetten in der Nacht arg irritiert wird, den jüngern Kollegen in dem<lb/>
Erfurter Trubel: &#x201E;Ich würde krank an Ihrer Stelle, kann mir nicht den<lb/>
zehnten Teil Ihrer Arbeit zumuten. Ich würde auch bei den Herren mit<lb/>
meinem gcradebrechten Französisch schlecht bestehn . . . Von mir möge es heißen<lb/>
Mi blue I-ion dsve vixit. Der Herzog hat ja immer selbst regiert und<lb/>
dirigiert und nur Hilfskräfte gebraucht." ... In aller Mühsal und Aufregung<lb/>
tröstet sich der Freund der alten Klassiker mit dem Horazischen: lknius lit<lb/>
Mtisutig. (Mdciuiä oorrigero eist melas. In andrer Sprache redet ein Brief<lb/>
des Oberstallmeisters von Seebach: &#x201E;Equipage für Oudinot und Benevent<lb/>
haben Sie gewünscht? Aber 1. was für Wagen? Alle sind den Herren zu<lb/>
schlecht. 2. hat doch der König von Westfalen auch für sie Wagen gesandt.<lb/>
3. wenn diese vornehmen Fremden nächstens alle nach Weimar kommen,<lb/>
brauchen wir gewiß alle Wagen und Schwänze." Das war ein kräftiges<lb/>
Stallmeisterdcutsch. Was mit der Sache schließlich geworden ist, ist nicht mehr<lb/>
festzustellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3028" next="#ID_3029"> Wichtiger waren politische Gedanken, die sich auch in Weimar regten.<lb/>
Das Gebiet von Erfurt, bis 1803 kurmainzisch, dann bis 1806 preußisch,<lb/>
war jetzt ohne deutschen Landesherrn und stand mit der Grafschaft Blanken-<lb/>
hcnn nur unter französischer Oberhoheit. Auf Blankenhain hatte Weimar<lb/>
rechtmäßige Ansprüche. Da lag der Gedanke nahe, mit dieser Herrschaft auch<lb/>
Erfurt zu bekommen. Unter den Papieren des Kanzlers von Müller im<lb/>
Goethearchiv findet sich ein Votum des Geheimen Rats von Wolzogen über<lb/>
die Frage, ob man durch Vermittlung des Kaisers Alexander versuchen solle.<lb/>
Erfurt zu erlangen. Es rät entschieden davon ab. Erfurt sei eine für<lb/>
Zwanzig Jahre hinaus ruinierte Besitzung. Bei jeder politischen Änderung<lb/>
mit Nußland werde es' wieder verloren gehn. Serenissimus habe doch dem<lb/>
Kaiser Alexander geschrieben, daß er nicht mit Bitten um Verwendung werde<lb/>
behelligt werden. Man kompromittiere sich gegen beide Kaiser, wenn man<lb/>
vergeblich etwas wünsche. Sie müßten beide das Delikate dieser Denkungsart<lb/>
fühlen, das gegen das ewige Sollizitieren so vieler Kompetenten absteche.<lb/>
Man warte mindestens die Lustpartie nach Weimar erst ab, bei der man nicht<lb/>
ohne Embarras sein werde, wenn die Bitte schon stattgefunden habe. Der</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1908</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0577] zwei Züge schicken, hat aber wieder abgelehnt, der Hof läßt Pferde von Sondershausen und Rudolstadt kommen . . - Meinen eignen Wagen hat der Hof in Anspruch genommen. Gotha hat keinen Besuch und mehr Equipagen, warum sucht man alles bei uns? Es soll aber weiter spekuliert werden . . . Pächterpferde können nicht ins Kutschgeschirr gebracht werden, ohne ungeschickt und gefährlich zu fahren, das sagen alle Herren, die ich darum fragte; der Hof hat keine übrigen Kutschgcschirre und Pferde, das versichert Kirms sehr hoch. Er ist auch in der ganzen Stadt herumgewesen; der Hof hat nur das notdürftigste Geschirr seit der Plünderung, wo alle diese Vorräte draufgingen." Dazwischen bedauert aber der verständnisvolle alte Herr, der selbst dnrch Stafetten in der Nacht arg irritiert wird, den jüngern Kollegen in dem Erfurter Trubel: „Ich würde krank an Ihrer Stelle, kann mir nicht den zehnten Teil Ihrer Arbeit zumuten. Ich würde auch bei den Herren mit meinem gcradebrechten Französisch schlecht bestehn . . . Von mir möge es heißen Mi blue I-ion dsve vixit. Der Herzog hat ja immer selbst regiert und dirigiert und nur Hilfskräfte gebraucht." ... In aller Mühsal und Aufregung tröstet sich der Freund der alten Klassiker mit dem Horazischen: lknius lit Mtisutig. (Mdciuiä oorrigero eist melas. In andrer Sprache redet ein Brief des Oberstallmeisters von Seebach: „Equipage für Oudinot und Benevent haben Sie gewünscht? Aber 1. was für Wagen? Alle sind den Herren zu schlecht. 2. hat doch der König von Westfalen auch für sie Wagen gesandt. 3. wenn diese vornehmen Fremden nächstens alle nach Weimar kommen, brauchen wir gewiß alle Wagen und Schwänze." Das war ein kräftiges Stallmeisterdcutsch. Was mit der Sache schließlich geworden ist, ist nicht mehr festzustellen. Wichtiger waren politische Gedanken, die sich auch in Weimar regten. Das Gebiet von Erfurt, bis 1803 kurmainzisch, dann bis 1806 preußisch, war jetzt ohne deutschen Landesherrn und stand mit der Grafschaft Blanken- hcnn nur unter französischer Oberhoheit. Auf Blankenhain hatte Weimar rechtmäßige Ansprüche. Da lag der Gedanke nahe, mit dieser Herrschaft auch Erfurt zu bekommen. Unter den Papieren des Kanzlers von Müller im Goethearchiv findet sich ein Votum des Geheimen Rats von Wolzogen über die Frage, ob man durch Vermittlung des Kaisers Alexander versuchen solle. Erfurt zu erlangen. Es rät entschieden davon ab. Erfurt sei eine für Zwanzig Jahre hinaus ruinierte Besitzung. Bei jeder politischen Änderung mit Nußland werde es' wieder verloren gehn. Serenissimus habe doch dem Kaiser Alexander geschrieben, daß er nicht mit Bitten um Verwendung werde behelligt werden. Man kompromittiere sich gegen beide Kaiser, wenn man vergeblich etwas wünsche. Sie müßten beide das Delikate dieser Denkungsart fühlen, das gegen das ewige Sollizitieren so vieler Kompetenten absteche. Man warte mindestens die Lustpartie nach Weimar erst ab, bei der man nicht ohne Embarras sein werde, wenn die Bitte schon stattgefunden habe. Der Grenzboten IV 1908

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/577
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/577>, abgerufen am 22.07.2024.