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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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und sprudelt.") Auch die Reichsreform hat er in der durch die bayrische Erb¬
folgefrage 1778 heraufbeschwornen Krisis ins Auge gefaßt. Ihm gebührt nach
dem genannten Biographen "das Verdienst, daß er, der Dichter, seinerzeit der
einzige war, der einen günstigen Moment mit rascher Energie aufgriff, um eine
Heilung des kranken Deutschen Reiches zu versuchen!" Nach einem Bericht des
Weimarischen Gymnasialdirektors Böttiger ist es der Verdruß über die Ver¬
geblichkeit seiner Bemühungen um die Ordnung der herzoglichen Finanzen
gewesen, was den Entschluß in ihm reifte, die Amtsbürde abzuwerfen und nach
Italien zu fliehen. Zwei andre Motive haben dazu wohl noch stärker gewirkt:
das ihm lästig gewordne Verhältnis zur Frau von Stein und der Drang zum
poetischen Schaffen, der sich nun doch auf die Dauer nicht völlig unterdrücken
ließ, dem er aber in seiner ursprünglichen amtlichen Stellung ohne Pflicht¬
verletzung nicht hätte nachgeben können.

Goethe war ein universaler Geist mit fast allseitiger aber doch vorwiegend
poetischer Begabung. Diese Begabung brachte ihn unvermeidlich auch mit dem
Theater in Berührung, zu dem hinüber schon seine Knabenjahre mancherlei
Brücken geschlagen hatten. Schon in seinem achten Lebensjahre hat er drei
deutsch-lateinische Gespräche geschrieben, die bekundeten, daß der Frühreife dereinst
fähig sein werde, bühnengerechte Dialoge zu komponieren. Was er über seinen
Verkehr mit dem Schauspielerknaben Derones und über das Puppenspiel, das
ihm die Großmutter geschenkt hatte, erzählt, ist bekannt. An dem lebenslustigen
Hofe zu Weimar dann konnte es weder an Liebhaberaufführungen noch an einer
festen Bühne fehlen. Dabei mußte ihm, als dem für solche Dinge begabtesten,
die Rolle des Arrangeurs zufallen -- zunächst schon hatte er natürlich für
herzogliche Familienfeste die Stücke zu dichten --, und seine Stellung brachte
ihn auch in mehrfache amtliche Beziehungen zum Theater. Nach seiner Rückkehr
aus Italien behielt er, seiner übrigen Verpflichtungen ledig, die Oberaufsicht
Über die Anstalten für Kunst und Wissenschaft, und zu denen für Kunst gehörte
doch, nach der Auffassung des damaligen Weimar wenigstens, auch das Theater.
Es versteht sich, daß er sich der Leitung des Hoftheaters mit demselben Ernst
Wd derselben Hingabe widmete wie jeder andern Berufspflicht. Die Pflicht
des Tages erledigen und auch im Kleinsten treu sein, das war^ ihm ja der erste
und wichtigste Grundsatz seiner Moral. Nicht davon, was man zu tun habe,
hänge der Wert unsers Tuns ab, sondern wie man es verrichte. "Jedes reine
Bemühen ist auch ein Lebendiges, Zweck sein selbst, fördernd ohne Ziel, nützend,
wie man es nicht voraussehen konnte." Wie bedeutendes er fürs Weimarer
Theater mit geringen Mitteln geleistet hat, zeigt Bielschowsky. Freilich, zu den
lästigen Pflichten hat er die Arbeit fürs Theater nicht gerechnet. Wie könnte
man es einem Manne von Dichtergenie, der selbst eine lange Reihe von Dramen
geschrieben hat, verargen, daß er sich für deren Aufführung' und überhaupt
fürs Theater interessiert, an dessen Vervollkommnung mit Lust und Liebe arbeitet?
Und hübsche junge Schauspielerinnen in der Kunst, auch aus der Bühne zu


pas Theater als Kirche

und sprudelt.") Auch die Reichsreform hat er in der durch die bayrische Erb¬
folgefrage 1778 heraufbeschwornen Krisis ins Auge gefaßt. Ihm gebührt nach
dem genannten Biographen „das Verdienst, daß er, der Dichter, seinerzeit der
einzige war, der einen günstigen Moment mit rascher Energie aufgriff, um eine
Heilung des kranken Deutschen Reiches zu versuchen!" Nach einem Bericht des
Weimarischen Gymnasialdirektors Böttiger ist es der Verdruß über die Ver¬
geblichkeit seiner Bemühungen um die Ordnung der herzoglichen Finanzen
gewesen, was den Entschluß in ihm reifte, die Amtsbürde abzuwerfen und nach
Italien zu fliehen. Zwei andre Motive haben dazu wohl noch stärker gewirkt:
das ihm lästig gewordne Verhältnis zur Frau von Stein und der Drang zum
poetischen Schaffen, der sich nun doch auf die Dauer nicht völlig unterdrücken
ließ, dem er aber in seiner ursprünglichen amtlichen Stellung ohne Pflicht¬
verletzung nicht hätte nachgeben können.

Goethe war ein universaler Geist mit fast allseitiger aber doch vorwiegend
poetischer Begabung. Diese Begabung brachte ihn unvermeidlich auch mit dem
Theater in Berührung, zu dem hinüber schon seine Knabenjahre mancherlei
Brücken geschlagen hatten. Schon in seinem achten Lebensjahre hat er drei
deutsch-lateinische Gespräche geschrieben, die bekundeten, daß der Frühreife dereinst
fähig sein werde, bühnengerechte Dialoge zu komponieren. Was er über seinen
Verkehr mit dem Schauspielerknaben Derones und über das Puppenspiel, das
ihm die Großmutter geschenkt hatte, erzählt, ist bekannt. An dem lebenslustigen
Hofe zu Weimar dann konnte es weder an Liebhaberaufführungen noch an einer
festen Bühne fehlen. Dabei mußte ihm, als dem für solche Dinge begabtesten,
die Rolle des Arrangeurs zufallen — zunächst schon hatte er natürlich für
herzogliche Familienfeste die Stücke zu dichten —, und seine Stellung brachte
ihn auch in mehrfache amtliche Beziehungen zum Theater. Nach seiner Rückkehr
aus Italien behielt er, seiner übrigen Verpflichtungen ledig, die Oberaufsicht
Über die Anstalten für Kunst und Wissenschaft, und zu denen für Kunst gehörte
doch, nach der Auffassung des damaligen Weimar wenigstens, auch das Theater.
Es versteht sich, daß er sich der Leitung des Hoftheaters mit demselben Ernst
Wd derselben Hingabe widmete wie jeder andern Berufspflicht. Die Pflicht
des Tages erledigen und auch im Kleinsten treu sein, das war^ ihm ja der erste
und wichtigste Grundsatz seiner Moral. Nicht davon, was man zu tun habe,
hänge der Wert unsers Tuns ab, sondern wie man es verrichte. „Jedes reine
Bemühen ist auch ein Lebendiges, Zweck sein selbst, fördernd ohne Ziel, nützend,
wie man es nicht voraussehen konnte." Wie bedeutendes er fürs Weimarer
Theater mit geringen Mitteln geleistet hat, zeigt Bielschowsky. Freilich, zu den
lästigen Pflichten hat er die Arbeit fürs Theater nicht gerechnet. Wie könnte
man es einem Manne von Dichtergenie, der selbst eine lange Reihe von Dramen
geschrieben hat, verargen, daß er sich für deren Aufführung' und überhaupt
fürs Theater interessiert, an dessen Vervollkommnung mit Lust und Liebe arbeitet?
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/540>, abgerufen am 22.07.2024.