Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Theater als Kirche

bemüht und ernstlich angestellte Betrachtungen stetig und leidenschaftlich im
stillen verfolgt, dieses ist nicht so allgemein bekannt, noch weniger mit Auf¬
merksamkeit bedacht worden." Daß sich in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit auch
dieser Seite seiner Tätigkeit zuwendet, verdankt er dem Parteigeiste, der,
durchaus nicht in seinem Sinn, das Gewicht seines Namens zur Stützung der
Haeckelschen Doktrin mißbraucht. Was ihn aber in die Naturwissenschaften, die
samt der Natur selbst dem Stadtkinde, als welches er seine Knabenjahre
charakterisiert, ursprünglich fern lagen, später eingeführt hat, das war seine
Beamtentätigkeit, und diese ist es, die ihn vor allem achtungs- und ehrwürdig
macht. Die Beschäftigung mit der Forstwirtschaft hat ihm die Botanik, die mit
dem Bergbau die Mineralogie und die Geologie erschlossen. "Goethes eigentliche
Amtstätigkeit, schreibt Vielschowsky, ist leider noch nicht genügend durchforscht.
Teils fehlen die Akten, teils sind sie nicht verarbeitet. Man ist deshalb meist
aus gelegentliche Angaben in den Briefen und Tagebüchern angewiesen. Es kann
keine ärgere Verkennung der Dinge geben, als zu meinen, Goethe sei im wesent¬
lichen Hofpoet und viröotvur ass Msirs und nur nebenher Beamter gewesen.
Dieser Irrtum wird freilich leicht erzeugt durch die breiten Darstellungen von
Goethes Beteiligung'an Liebhabertheater, an Maskenscherzen und ähnlichen
Unterhaltungen. In Wahrheit nehmen diese Dinge während des Jahrzehnts
1776 bis 1786 einen verschwindend geringen Raum in seinem Leben und
Interesse ein, und sie werden ihm allmählich mehr eine Last als eine Lust. Der
Mittelpunkt seines Daseins in jener Periode ist sein politischer Beruf, dem er
sich mit ganzer Kraft hingibt." Man lese nur, was Vielschowsky trotz aller
Mangelhaftigkeit der Quellen davon zu erzählen weiß! Wie er theoretisch und
Praktisch für die Verwaltung wohl vorbereitet nach Weimar gekommen ist (be¬
kanntlich sind Justus Mösers Patriotische Phantasien längere Zeit hindurch
sein Lieblingsbnch gewesen) und auch Mit der Anlage dafür ausgerüstet war,
denn "dieser größte Phantast war zugleich der objektivste, eindringlichste
Beobachter" und zu jeder Art praktischen Tuns geschickt. Wie er die Jagd¬
ausflüge und andre Vergnügungsfahrten dazu benutzte, Land und Leute kennen
zu lernen, und wie er dem jungen Herzog Lust zur Arbeit beibrachte. Wie er
die Verwaltungsarbeit preist, daß sie ihn von Grillen und Leidenschaften heile,
und sich der schwierigen Aufgabe, aus dem in winzige Parzellen zerstückelten
kleinen Staate etwas Ordentliches zu machen und das Wohl der Untertanen
zu fördern > mit Enthusiasmus widmet. Wie er überall, wo sich Gelegenheit
darbietet; bei Feuer und Wassersnot selbst Hand anlegt. Wie er die manchmal
ein ihn herantretende Versuchung, sich dem anstrengenden Dienste zu entziehn
und seinem Poetcndrangc nachzugeben, als eine Versuchung zu unmännlicher
Schwäche zurückweist. (Über solche Versuchungen schreibt er unter anderen an Frau
von Stein: "Ich entziehe diesen Springwerken und Kaskaden sten Dichtungenj
so viel als möglich dieWasser und schlage sie auf Mühlen und in die Wässerungen,
aber ehe ich minds versehe, zieht ein böser Genius den Zapfen, und alles springt


Das Theater als Kirche

bemüht und ernstlich angestellte Betrachtungen stetig und leidenschaftlich im
stillen verfolgt, dieses ist nicht so allgemein bekannt, noch weniger mit Auf¬
merksamkeit bedacht worden." Daß sich in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit auch
dieser Seite seiner Tätigkeit zuwendet, verdankt er dem Parteigeiste, der,
durchaus nicht in seinem Sinn, das Gewicht seines Namens zur Stützung der
Haeckelschen Doktrin mißbraucht. Was ihn aber in die Naturwissenschaften, die
samt der Natur selbst dem Stadtkinde, als welches er seine Knabenjahre
charakterisiert, ursprünglich fern lagen, später eingeführt hat, das war seine
Beamtentätigkeit, und diese ist es, die ihn vor allem achtungs- und ehrwürdig
macht. Die Beschäftigung mit der Forstwirtschaft hat ihm die Botanik, die mit
dem Bergbau die Mineralogie und die Geologie erschlossen. „Goethes eigentliche
Amtstätigkeit, schreibt Vielschowsky, ist leider noch nicht genügend durchforscht.
Teils fehlen die Akten, teils sind sie nicht verarbeitet. Man ist deshalb meist
aus gelegentliche Angaben in den Briefen und Tagebüchern angewiesen. Es kann
keine ärgere Verkennung der Dinge geben, als zu meinen, Goethe sei im wesent¬
lichen Hofpoet und viröotvur ass Msirs und nur nebenher Beamter gewesen.
Dieser Irrtum wird freilich leicht erzeugt durch die breiten Darstellungen von
Goethes Beteiligung'an Liebhabertheater, an Maskenscherzen und ähnlichen
Unterhaltungen. In Wahrheit nehmen diese Dinge während des Jahrzehnts
1776 bis 1786 einen verschwindend geringen Raum in seinem Leben und
Interesse ein, und sie werden ihm allmählich mehr eine Last als eine Lust. Der
Mittelpunkt seines Daseins in jener Periode ist sein politischer Beruf, dem er
sich mit ganzer Kraft hingibt." Man lese nur, was Vielschowsky trotz aller
Mangelhaftigkeit der Quellen davon zu erzählen weiß! Wie er theoretisch und
Praktisch für die Verwaltung wohl vorbereitet nach Weimar gekommen ist (be¬
kanntlich sind Justus Mösers Patriotische Phantasien längere Zeit hindurch
sein Lieblingsbnch gewesen) und auch Mit der Anlage dafür ausgerüstet war,
denn „dieser größte Phantast war zugleich der objektivste, eindringlichste
Beobachter" und zu jeder Art praktischen Tuns geschickt. Wie er die Jagd¬
ausflüge und andre Vergnügungsfahrten dazu benutzte, Land und Leute kennen
zu lernen, und wie er dem jungen Herzog Lust zur Arbeit beibrachte. Wie er
die Verwaltungsarbeit preist, daß sie ihn von Grillen und Leidenschaften heile,
und sich der schwierigen Aufgabe, aus dem in winzige Parzellen zerstückelten
kleinen Staate etwas Ordentliches zu machen und das Wohl der Untertanen
zu fördern > mit Enthusiasmus widmet. Wie er überall, wo sich Gelegenheit
darbietet; bei Feuer und Wassersnot selbst Hand anlegt. Wie er die manchmal
ein ihn herantretende Versuchung, sich dem anstrengenden Dienste zu entziehn
und seinem Poetcndrangc nachzugeben, als eine Versuchung zu unmännlicher
Schwäche zurückweist. (Über solche Versuchungen schreibt er unter anderen an Frau
von Stein: „Ich entziehe diesen Springwerken und Kaskaden sten Dichtungenj
so viel als möglich dieWasser und schlage sie auf Mühlen und in die Wässerungen,
aber ehe ich minds versehe, zieht ein böser Genius den Zapfen, und alles springt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0539" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310950"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Theater als Kirche</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2854" prev="#ID_2853" next="#ID_2855"> bemüht und ernstlich angestellte Betrachtungen stetig und leidenschaftlich im<lb/>
stillen verfolgt, dieses ist nicht so allgemein bekannt, noch weniger mit Auf¬<lb/>
merksamkeit bedacht worden." Daß sich in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit auch<lb/>
dieser Seite seiner Tätigkeit zuwendet, verdankt er dem Parteigeiste, der,<lb/>
durchaus nicht in seinem Sinn, das Gewicht seines Namens zur Stützung der<lb/>
Haeckelschen Doktrin mißbraucht. Was ihn aber in die Naturwissenschaften, die<lb/>
samt der Natur selbst dem Stadtkinde, als welches er seine Knabenjahre<lb/>
charakterisiert, ursprünglich fern lagen, später eingeführt hat, das war seine<lb/>
Beamtentätigkeit, und diese ist es, die ihn vor allem achtungs- und ehrwürdig<lb/>
macht. Die Beschäftigung mit der Forstwirtschaft hat ihm die Botanik, die mit<lb/>
dem Bergbau die Mineralogie und die Geologie erschlossen. &#x201E;Goethes eigentliche<lb/>
Amtstätigkeit, schreibt Vielschowsky, ist leider noch nicht genügend durchforscht.<lb/>
Teils fehlen die Akten, teils sind sie nicht verarbeitet. Man ist deshalb meist<lb/>
aus gelegentliche Angaben in den Briefen und Tagebüchern angewiesen. Es kann<lb/>
keine ärgere Verkennung der Dinge geben, als zu meinen, Goethe sei im wesent¬<lb/>
lichen Hofpoet und viröotvur ass Msirs und nur nebenher Beamter gewesen.<lb/>
Dieser Irrtum wird freilich leicht erzeugt durch die breiten Darstellungen von<lb/>
Goethes Beteiligung'an Liebhabertheater, an Maskenscherzen und ähnlichen<lb/>
Unterhaltungen. In Wahrheit nehmen diese Dinge während des Jahrzehnts<lb/>
1776 bis 1786 einen verschwindend geringen Raum in seinem Leben und<lb/>
Interesse ein, und sie werden ihm allmählich mehr eine Last als eine Lust. Der<lb/>
Mittelpunkt seines Daseins in jener Periode ist sein politischer Beruf, dem er<lb/>
sich mit ganzer Kraft hingibt." Man lese nur, was Vielschowsky trotz aller<lb/>
Mangelhaftigkeit der Quellen davon zu erzählen weiß! Wie er theoretisch und<lb/>
Praktisch für die Verwaltung wohl vorbereitet nach Weimar gekommen ist (be¬<lb/>
kanntlich sind Justus Mösers Patriotische Phantasien längere Zeit hindurch<lb/>
sein Lieblingsbnch gewesen) und auch Mit der Anlage dafür ausgerüstet war,<lb/>
denn &#x201E;dieser größte Phantast war zugleich der objektivste, eindringlichste<lb/>
Beobachter" und zu jeder Art praktischen Tuns geschickt. Wie er die Jagd¬<lb/>
ausflüge und andre Vergnügungsfahrten dazu benutzte, Land und Leute kennen<lb/>
zu lernen, und wie er dem jungen Herzog Lust zur Arbeit beibrachte. Wie er<lb/>
die Verwaltungsarbeit preist, daß sie ihn von Grillen und Leidenschaften heile,<lb/>
und sich der schwierigen Aufgabe, aus dem in winzige Parzellen zerstückelten<lb/>
kleinen Staate etwas Ordentliches zu machen und das Wohl der Untertanen<lb/>
zu fördern &gt; mit Enthusiasmus widmet. Wie er überall, wo sich Gelegenheit<lb/>
darbietet; bei Feuer und Wassersnot selbst Hand anlegt. Wie er die manchmal<lb/>
ein ihn herantretende Versuchung, sich dem anstrengenden Dienste zu entziehn<lb/>
und seinem Poetcndrangc nachzugeben, als eine Versuchung zu unmännlicher<lb/>
Schwäche zurückweist. (Über solche Versuchungen schreibt er unter anderen an Frau<lb/>
von Stein: &#x201E;Ich entziehe diesen Springwerken und Kaskaden sten Dichtungenj<lb/>
so viel als möglich dieWasser und schlage sie auf Mühlen und in die Wässerungen,<lb/>
aber ehe ich minds versehe, zieht ein böser Genius den Zapfen, und alles springt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0539] Das Theater als Kirche bemüht und ernstlich angestellte Betrachtungen stetig und leidenschaftlich im stillen verfolgt, dieses ist nicht so allgemein bekannt, noch weniger mit Auf¬ merksamkeit bedacht worden." Daß sich in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit auch dieser Seite seiner Tätigkeit zuwendet, verdankt er dem Parteigeiste, der, durchaus nicht in seinem Sinn, das Gewicht seines Namens zur Stützung der Haeckelschen Doktrin mißbraucht. Was ihn aber in die Naturwissenschaften, die samt der Natur selbst dem Stadtkinde, als welches er seine Knabenjahre charakterisiert, ursprünglich fern lagen, später eingeführt hat, das war seine Beamtentätigkeit, und diese ist es, die ihn vor allem achtungs- und ehrwürdig macht. Die Beschäftigung mit der Forstwirtschaft hat ihm die Botanik, die mit dem Bergbau die Mineralogie und die Geologie erschlossen. „Goethes eigentliche Amtstätigkeit, schreibt Vielschowsky, ist leider noch nicht genügend durchforscht. Teils fehlen die Akten, teils sind sie nicht verarbeitet. Man ist deshalb meist aus gelegentliche Angaben in den Briefen und Tagebüchern angewiesen. Es kann keine ärgere Verkennung der Dinge geben, als zu meinen, Goethe sei im wesent¬ lichen Hofpoet und viröotvur ass Msirs und nur nebenher Beamter gewesen. Dieser Irrtum wird freilich leicht erzeugt durch die breiten Darstellungen von Goethes Beteiligung'an Liebhabertheater, an Maskenscherzen und ähnlichen Unterhaltungen. In Wahrheit nehmen diese Dinge während des Jahrzehnts 1776 bis 1786 einen verschwindend geringen Raum in seinem Leben und Interesse ein, und sie werden ihm allmählich mehr eine Last als eine Lust. Der Mittelpunkt seines Daseins in jener Periode ist sein politischer Beruf, dem er sich mit ganzer Kraft hingibt." Man lese nur, was Vielschowsky trotz aller Mangelhaftigkeit der Quellen davon zu erzählen weiß! Wie er theoretisch und Praktisch für die Verwaltung wohl vorbereitet nach Weimar gekommen ist (be¬ kanntlich sind Justus Mösers Patriotische Phantasien längere Zeit hindurch sein Lieblingsbnch gewesen) und auch Mit der Anlage dafür ausgerüstet war, denn „dieser größte Phantast war zugleich der objektivste, eindringlichste Beobachter" und zu jeder Art praktischen Tuns geschickt. Wie er die Jagd¬ ausflüge und andre Vergnügungsfahrten dazu benutzte, Land und Leute kennen zu lernen, und wie er dem jungen Herzog Lust zur Arbeit beibrachte. Wie er die Verwaltungsarbeit preist, daß sie ihn von Grillen und Leidenschaften heile, und sich der schwierigen Aufgabe, aus dem in winzige Parzellen zerstückelten kleinen Staate etwas Ordentliches zu machen und das Wohl der Untertanen zu fördern > mit Enthusiasmus widmet. Wie er überall, wo sich Gelegenheit darbietet; bei Feuer und Wassersnot selbst Hand anlegt. Wie er die manchmal ein ihn herantretende Versuchung, sich dem anstrengenden Dienste zu entziehn und seinem Poetcndrangc nachzugeben, als eine Versuchung zu unmännlicher Schwäche zurückweist. (Über solche Versuchungen schreibt er unter anderen an Frau von Stein: „Ich entziehe diesen Springwerken und Kaskaden sten Dichtungenj so viel als möglich dieWasser und schlage sie auf Mühlen und in die Wässerungen, aber ehe ich minds versehe, zieht ein böser Genius den Zapfen, und alles springt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/539
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/539>, abgerufen am 22.07.2024.