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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das Gnadenfest der heiligen Anna
Clara Hohrath von (Fortsetzung)

augsam bricht der Abend herein. Die Kreuze und Banner sind
wieder in der Kirche verschwunden. Der Aufbruch beginnt, blitz¬
schnell werden die Zelte zusammengerissen. Die Wagen und Karre"
rasseln davon, der Menschen werden immer weniger auf dem großen
zertretnen Festplntz Aufgeregt winkt Marie-Ange ihre kleine Gehilfin
heran. Schnell, schnell -- die Anker werden gelichtet -- die Segel
gerefft! Vorwärts! Vorwärts!

Und plötzlich sind sie alle fort. Einsam steht das fahrende Haus der Wahr¬
sagerin noch allein auf der Düne, denn QueHern will erst am andern Morgen ihre
immerwährende Reise fortsetzen.

Da steht Gwennola nun vor dem roten Vorhang und dreht ihr heißes Geld¬
stück zwischen den Fingern. Ihr Herz klopft zum Zerspringen, sie hat den Mut
nicht, den geheimnisvollen Vorhang aufzuheben und die große Wahrsagerin zu
belästigen.

Da fährt sie zusammen. Der Vorhang wird von energischer Hand herunter¬
gerissen und zusammengefaltet, es ist Quehern selbst, die das tut. Sie sieht das
Kind stehn.

Was willst du? Du willst zu mir! sagt sie.

Nola nickt.

Was möchtest du wissen? Ob du einen Mann bekommst, wenn dn groß bist?

Nola schüttelt den Kopf. Ob ich einmal ein Festkleid bekommen werde wie
die reichen Damen in der Prozession!

Da lacht QuLhern. Komm her, sagt sie und ergreift Nolas Hand und sieht
ihr in die Augen. Das Kind zittert wie Espenlaub, dann wird es ganz still und
steif, wie ein Vöglein, das eine Schlange im Bann hält.

Ich seh weit draußen auf dem Meer einen Schatten, sagt Quechern. Niemand
weiß von ihm als ich. Nach dem sehnst du dich. Aber ein steinernes Bild steht
zwischen ihm und dir . . .

Bekomme ich das Kleid? unterbricht sie das Kind, als spräche es im Tram".

Du Närrchen, sagt Quihern, ja du bekommst es!

Da reißt sich Nola los, stößt einen Freudenschrei aus und rennt davon mit
ausgebreiteten Armen, wie ein junger Vogel, der das Fliegen probiert.

Die Düne rannte sie hinab, sprang wie eine Katze über das zerklüftete Gestein
unten am Strande und wieder hinauf an der Klippenwand, auf der die Zollhütte
stand, in der sich die alte Monik einquartiert hatte.

Da saß die alte Frau denn auch richtig auf ihrem Seegraslager.

Mutter Monik, schrie Nola sie an, ich bekomme ein Festkleid, wenn ich groß
bin, mit Gold bestickt, aus schwerer bunter Seide, so kostbar -- so -- wie die
reichen Mädchen in der Prozession -- die Wahrsagerin hat es mir gesagt! Hörst
du auch, Mütterchen?




Das Gnadenfest der heiligen Anna
Clara Hohrath von (Fortsetzung)

augsam bricht der Abend herein. Die Kreuze und Banner sind
wieder in der Kirche verschwunden. Der Aufbruch beginnt, blitz¬
schnell werden die Zelte zusammengerissen. Die Wagen und Karre»
rasseln davon, der Menschen werden immer weniger auf dem großen
zertretnen Festplntz Aufgeregt winkt Marie-Ange ihre kleine Gehilfin
heran. Schnell, schnell — die Anker werden gelichtet — die Segel
gerefft! Vorwärts! Vorwärts!

Und plötzlich sind sie alle fort. Einsam steht das fahrende Haus der Wahr¬
sagerin noch allein auf der Düne, denn QueHern will erst am andern Morgen ihre
immerwährende Reise fortsetzen.

Da steht Gwennola nun vor dem roten Vorhang und dreht ihr heißes Geld¬
stück zwischen den Fingern. Ihr Herz klopft zum Zerspringen, sie hat den Mut
nicht, den geheimnisvollen Vorhang aufzuheben und die große Wahrsagerin zu
belästigen.

Da fährt sie zusammen. Der Vorhang wird von energischer Hand herunter¬
gerissen und zusammengefaltet, es ist Quehern selbst, die das tut. Sie sieht das
Kind stehn.

Was willst du? Du willst zu mir! sagt sie.

Nola nickt.

Was möchtest du wissen? Ob du einen Mann bekommst, wenn dn groß bist?

Nola schüttelt den Kopf. Ob ich einmal ein Festkleid bekommen werde wie
die reichen Damen in der Prozession!

Da lacht QuLhern. Komm her, sagt sie und ergreift Nolas Hand und sieht
ihr in die Augen. Das Kind zittert wie Espenlaub, dann wird es ganz still und
steif, wie ein Vöglein, das eine Schlange im Bann hält.

Ich seh weit draußen auf dem Meer einen Schatten, sagt Quechern. Niemand
weiß von ihm als ich. Nach dem sehnst du dich. Aber ein steinernes Bild steht
zwischen ihm und dir . . .

Bekomme ich das Kleid? unterbricht sie das Kind, als spräche es im Tram».

Du Närrchen, sagt Quihern, ja du bekommst es!

Da reißt sich Nola los, stößt einen Freudenschrei aus und rennt davon mit
ausgebreiteten Armen, wie ein junger Vogel, der das Fliegen probiert.

Die Düne rannte sie hinab, sprang wie eine Katze über das zerklüftete Gestein
unten am Strande und wieder hinauf an der Klippenwand, auf der die Zollhütte
stand, in der sich die alte Monik einquartiert hatte.

Da saß die alte Frau denn auch richtig auf ihrem Seegraslager.

Mutter Monik, schrie Nola sie an, ich bekomme ein Festkleid, wenn ich groß
bin, mit Gold bestickt, aus schwerer bunter Seide, so kostbar — so — wie die
reichen Mädchen in der Prozession — die Wahrsagerin hat es mir gesagt! Hörst
du auch, Mütterchen?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/506>, abgerufen am 02.07.2024.