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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Aeisebilder aus Dalmatien

Eine Toteninsel ist Lakroma, oder nur eine Insel des Vergessens, ein in
Schlaf gesenktes Eiland. Aber der Schlaf ist der Hüter der Traume, und das
Vergessen ein Sarkophag der Erinnerungen.

Ein solcher Lcgendenschrein, ein Riesensarkophag ist Latroma, ein stiller
Garten mitten im Meere und heimgesucht von dem Geist der Vergangenheit,
der hier Leben und Gegenwart ist. Eine Königsinsel, die die Erinnerung
an Richard Löwenherz wachruft und manches Zeichen tragischer Fürsten¬
naturen birgt. Diese Menschen, die ihr Schicksal in die Jnseleinsamleit trugen
und ihr Haupt in dem grünen Mantel vergruben, der den Felsensarkophag im
Ozean deckt, begabten Lakroma mit einer Melancholie, die wie eine verlaßne
Seele gespenstig zwischen den stillen Waldwegen, im verwilderten Garten, in
den erschreckt anhaltenden Räumen des Schlosses oder jetzigen Klosters oder an
den Felsblöcken und Klippen über der laut aufklagenden Brandung wandelt.

Der landschaftliche Schlußeffekt sind die Bocche von Cattaro. Idylle, Sec-
bilder, fjordartig ins Großartige gesteigert, aber jeder Berg ein Feuerschlund,
eine Festung, ein Landfrieden, der in Waffen starrt. Drei große Buchten von
hohen Bergen und einem Kranz lieblicher Orte umsäumt. An den Königssce
mag es den einen erinnern, namentlich angesichts der entzückenden winzigen
Kircheninseln am Ausgang der Catene, der engsten, einst gegen die Venezianer
mit Ketten abgeschloßnen Meeresstclle, an norwegische Uferbilder den andern.
S. Giorgio, die eine Insel, einst eine Benediktinerabtei, liegt verödet. Das
Nachbareiland Madonna dello Scalpello ist besucht. Eine Madonnenlegende
heiligt die Insel, die einen Wallfahrerzulauf hat.

Eine mehrfach gereihte Perlenschnur sind die Inseln, in Größe und
Schönheit verschieden, hell schimmernd auf dem saphirblauen Grunde. Der
Anblick ist berückend. Die ganze Küstenfahrt ist von diesen freundlichen Ge¬
sichten begleitet. Nirgends geht der Blick ins Endlose, Leere. Er ist lieblich
umstellt; vom Festland wie vom Meere her bieten sich dein Auge diese Ruhe.
Punkte, und wir reisen mit der zauberhaften Vorstellung, das Wunder der
geheimnisvollen, schier vergeßnen Eilande zu ergreifen.

Dalmatien, es ist nicht ohne Vewundrung und ohne Rührung anzusehn,
tels Land der Widersprüche, der Buntheit, der Monotonie und der Zukunft,
nur daß seine Vergangenheit eine unendlich eindringlichere Sprache führt.

Ein Vergessen lag über Dalmatien, jahrhundertelang; nun will das
interessante Land der Vergangenheit zur Gegenwart erwachen und vielleicht
ein Land der Zukunft werden. Vielleicht auch ein Land der künftigen wirtschaft¬
lichen Entfaltung.




Grenzboten IV 1908
Aeisebilder aus Dalmatien

Eine Toteninsel ist Lakroma, oder nur eine Insel des Vergessens, ein in
Schlaf gesenktes Eiland. Aber der Schlaf ist der Hüter der Traume, und das
Vergessen ein Sarkophag der Erinnerungen.

Ein solcher Lcgendenschrein, ein Riesensarkophag ist Latroma, ein stiller
Garten mitten im Meere und heimgesucht von dem Geist der Vergangenheit,
der hier Leben und Gegenwart ist. Eine Königsinsel, die die Erinnerung
an Richard Löwenherz wachruft und manches Zeichen tragischer Fürsten¬
naturen birgt. Diese Menschen, die ihr Schicksal in die Jnseleinsamleit trugen
und ihr Haupt in dem grünen Mantel vergruben, der den Felsensarkophag im
Ozean deckt, begabten Lakroma mit einer Melancholie, die wie eine verlaßne
Seele gespenstig zwischen den stillen Waldwegen, im verwilderten Garten, in
den erschreckt anhaltenden Räumen des Schlosses oder jetzigen Klosters oder an
den Felsblöcken und Klippen über der laut aufklagenden Brandung wandelt.

Der landschaftliche Schlußeffekt sind die Bocche von Cattaro. Idylle, Sec-
bilder, fjordartig ins Großartige gesteigert, aber jeder Berg ein Feuerschlund,
eine Festung, ein Landfrieden, der in Waffen starrt. Drei große Buchten von
hohen Bergen und einem Kranz lieblicher Orte umsäumt. An den Königssce
mag es den einen erinnern, namentlich angesichts der entzückenden winzigen
Kircheninseln am Ausgang der Catene, der engsten, einst gegen die Venezianer
mit Ketten abgeschloßnen Meeresstclle, an norwegische Uferbilder den andern.
S. Giorgio, die eine Insel, einst eine Benediktinerabtei, liegt verödet. Das
Nachbareiland Madonna dello Scalpello ist besucht. Eine Madonnenlegende
heiligt die Insel, die einen Wallfahrerzulauf hat.

Eine mehrfach gereihte Perlenschnur sind die Inseln, in Größe und
Schönheit verschieden, hell schimmernd auf dem saphirblauen Grunde. Der
Anblick ist berückend. Die ganze Küstenfahrt ist von diesen freundlichen Ge¬
sichten begleitet. Nirgends geht der Blick ins Endlose, Leere. Er ist lieblich
umstellt; vom Festland wie vom Meere her bieten sich dein Auge diese Ruhe.
Punkte, und wir reisen mit der zauberhaften Vorstellung, das Wunder der
geheimnisvollen, schier vergeßnen Eilande zu ergreifen.

Dalmatien, es ist nicht ohne Vewundrung und ohne Rührung anzusehn,
tels Land der Widersprüche, der Buntheit, der Monotonie und der Zukunft,
nur daß seine Vergangenheit eine unendlich eindringlichere Sprache führt.

Ein Vergessen lag über Dalmatien, jahrhundertelang; nun will das
interessante Land der Vergangenheit zur Gegenwart erwachen und vielleicht
ein Land der Zukunft werden. Vielleicht auch ein Land der künftigen wirtschaft¬
lichen Entfaltung.




Grenzboten IV 1908
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[0505] Aeisebilder aus Dalmatien Eine Toteninsel ist Lakroma, oder nur eine Insel des Vergessens, ein in Schlaf gesenktes Eiland. Aber der Schlaf ist der Hüter der Traume, und das Vergessen ein Sarkophag der Erinnerungen. Ein solcher Lcgendenschrein, ein Riesensarkophag ist Latroma, ein stiller Garten mitten im Meere und heimgesucht von dem Geist der Vergangenheit, der hier Leben und Gegenwart ist. Eine Königsinsel, die die Erinnerung an Richard Löwenherz wachruft und manches Zeichen tragischer Fürsten¬ naturen birgt. Diese Menschen, die ihr Schicksal in die Jnseleinsamleit trugen und ihr Haupt in dem grünen Mantel vergruben, der den Felsensarkophag im Ozean deckt, begabten Lakroma mit einer Melancholie, die wie eine verlaßne Seele gespenstig zwischen den stillen Waldwegen, im verwilderten Garten, in den erschreckt anhaltenden Räumen des Schlosses oder jetzigen Klosters oder an den Felsblöcken und Klippen über der laut aufklagenden Brandung wandelt. Der landschaftliche Schlußeffekt sind die Bocche von Cattaro. Idylle, Sec- bilder, fjordartig ins Großartige gesteigert, aber jeder Berg ein Feuerschlund, eine Festung, ein Landfrieden, der in Waffen starrt. Drei große Buchten von hohen Bergen und einem Kranz lieblicher Orte umsäumt. An den Königssce mag es den einen erinnern, namentlich angesichts der entzückenden winzigen Kircheninseln am Ausgang der Catene, der engsten, einst gegen die Venezianer mit Ketten abgeschloßnen Meeresstclle, an norwegische Uferbilder den andern. S. Giorgio, die eine Insel, einst eine Benediktinerabtei, liegt verödet. Das Nachbareiland Madonna dello Scalpello ist besucht. Eine Madonnenlegende heiligt die Insel, die einen Wallfahrerzulauf hat. Eine mehrfach gereihte Perlenschnur sind die Inseln, in Größe und Schönheit verschieden, hell schimmernd auf dem saphirblauen Grunde. Der Anblick ist berückend. Die ganze Küstenfahrt ist von diesen freundlichen Ge¬ sichten begleitet. Nirgends geht der Blick ins Endlose, Leere. Er ist lieblich umstellt; vom Festland wie vom Meere her bieten sich dein Auge diese Ruhe. Punkte, und wir reisen mit der zauberhaften Vorstellung, das Wunder der geheimnisvollen, schier vergeßnen Eilande zu ergreifen. Dalmatien, es ist nicht ohne Vewundrung und ohne Rührung anzusehn, tels Land der Widersprüche, der Buntheit, der Monotonie und der Zukunft, nur daß seine Vergangenheit eine unendlich eindringlichere Sprache führt. Ein Vergessen lag über Dalmatien, jahrhundertelang; nun will das interessante Land der Vergangenheit zur Gegenwart erwachen und vielleicht ein Land der Zukunft werden. Vielleicht auch ein Land der künftigen wirtschaft¬ lichen Entfaltung. Grenzboten IV 1908

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/505>, abgerufen am 30.06.2024.