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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Reisebilder aus Dalmatien

Selbst die Mauerungetüme, die mächtigen Rundtürme, die malerische Wucht
schlichter Massen, die sich ins Meer hinausschiebt und eine Macht verkündet,
die ihre Hand herrschend auf die azurblaue See legt, entbehrt nicht eines leisen
theatralischen Anstriches. Die Befestigungen, die ihre Zweckmäßigkeit allerdings
erwiesen haben und mehr als einmal der Belagerung die Stirn boten, wirkten
zugleich ehrfurchtcrregend und abschreckend, mehr durch den Schein als durch
die Tatsache, ein Bollwerk, das einen wirksamen Theatereffekt darstellte, auch
insofern als hinter den Kulissen keinesfalls die Wehrmacht stand, die nach außen
so bedrohlich aussah. Die Republik hatte kein eigentliches Heer und bedürfte
bei der diplomatisch beherrschten Lage der Dinge keines solchen. Sie hatte nur
ein vielköpfiges Haupt und dienende Glieder, die in Kasten geteilt waren, in
ein starres System der Unterordnung, ganz antik in der mittelalterlichen Auf¬
fassung der überlieferten obligatorischen Verfassungsform.

Es ist das Ragusa, dem Onofrio die baukünstlerische Prügung gab, nach
dem erhabnen Düster der vielfachen Mauern, Bastionen und Tore, durch die
man in Ragusa einfährt, die freundlich ernste Anmut des Platzes mit dem
runden, kuppelüberdeckten Brunnen, den gemeißelten Kirchenportaleu und der
offnen breiten Stradone mit den einstigen Adelspalästen und dem heutigen
Geschäftsleben und abendlichen Korso, stimmungsvoll abgeschlossen von den
Staatsgebäuden, der alten Dogana und Münze, der Hauptwache, den Monu¬
mentaltoren der Porta Ploce, dem Stadthaus und dem Nektorenpalast, dem
köstlichsten Bauwerk Ragusas, dem venezianischen Dogenpalast verwandt, gleich
dem sich nicht weit davon befindenden von Genien bevölkerten Brunnen ein
Werk des genannten Onofrio. Hier vor diesem Staatsgebüude breitet sich wieder
ein saalartigcr Platz, im übrigen vom Dom und der Kirche S. Bagio mit
breiten Freitreppen festlich und hoheitlich umstanden, sodaß das Stadtgebilde
der Hauptsache nach durch eine breite Prachtstraße mit je einem Monumeutcil-
platz am obern und am untern Ende und weitläufigen Toranlagen charakterisiert
ist. Links und rechts von der Stradone klettert in engen steilen Güßchen über
viele Stufen die Kleinstadt empor, bis unter die Festungsmauern, die an
der Meerseite über dem zerfreßneu Felsensockel ihr Gegenbild im blauen
Spiegel sehn.

Ein farbensprühendes Gewand ist um Ragusa gelegt, das von altersher
bis heute in gewissem Sinne Weltstadt geblieben ist, von allen Nationen heim¬
gesucht: der straffe, in leichte Falten gespannte blaue Mantel des Meeres, mit
dem dunkelgrünen Juwel Lakroma geziert, darüber der immergrüne Kranz, von
dem sich ein reiches Blumen-, Frucht- und Blätterfeston links und rechts an
den Küsten entlang wie eine lässig nachschleifende Girlande erstreckt, und am
Horizont wie hinter Blumengittern das Purpur der Sonnenaufgange, die
strahlend über dem Farbenbukett der Landschaft stehn.

Ein bengalisches Märchen mit der Farbentrunkenheit des Orients, das
ist Ragusa.


Reisebilder aus Dalmatien

Selbst die Mauerungetüme, die mächtigen Rundtürme, die malerische Wucht
schlichter Massen, die sich ins Meer hinausschiebt und eine Macht verkündet,
die ihre Hand herrschend auf die azurblaue See legt, entbehrt nicht eines leisen
theatralischen Anstriches. Die Befestigungen, die ihre Zweckmäßigkeit allerdings
erwiesen haben und mehr als einmal der Belagerung die Stirn boten, wirkten
zugleich ehrfurchtcrregend und abschreckend, mehr durch den Schein als durch
die Tatsache, ein Bollwerk, das einen wirksamen Theatereffekt darstellte, auch
insofern als hinter den Kulissen keinesfalls die Wehrmacht stand, die nach außen
so bedrohlich aussah. Die Republik hatte kein eigentliches Heer und bedürfte
bei der diplomatisch beherrschten Lage der Dinge keines solchen. Sie hatte nur
ein vielköpfiges Haupt und dienende Glieder, die in Kasten geteilt waren, in
ein starres System der Unterordnung, ganz antik in der mittelalterlichen Auf¬
fassung der überlieferten obligatorischen Verfassungsform.

Es ist das Ragusa, dem Onofrio die baukünstlerische Prügung gab, nach
dem erhabnen Düster der vielfachen Mauern, Bastionen und Tore, durch die
man in Ragusa einfährt, die freundlich ernste Anmut des Platzes mit dem
runden, kuppelüberdeckten Brunnen, den gemeißelten Kirchenportaleu und der
offnen breiten Stradone mit den einstigen Adelspalästen und dem heutigen
Geschäftsleben und abendlichen Korso, stimmungsvoll abgeschlossen von den
Staatsgebäuden, der alten Dogana und Münze, der Hauptwache, den Monu¬
mentaltoren der Porta Ploce, dem Stadthaus und dem Nektorenpalast, dem
köstlichsten Bauwerk Ragusas, dem venezianischen Dogenpalast verwandt, gleich
dem sich nicht weit davon befindenden von Genien bevölkerten Brunnen ein
Werk des genannten Onofrio. Hier vor diesem Staatsgebüude breitet sich wieder
ein saalartigcr Platz, im übrigen vom Dom und der Kirche S. Bagio mit
breiten Freitreppen festlich und hoheitlich umstanden, sodaß das Stadtgebilde
der Hauptsache nach durch eine breite Prachtstraße mit je einem Monumeutcil-
platz am obern und am untern Ende und weitläufigen Toranlagen charakterisiert
ist. Links und rechts von der Stradone klettert in engen steilen Güßchen über
viele Stufen die Kleinstadt empor, bis unter die Festungsmauern, die an
der Meerseite über dem zerfreßneu Felsensockel ihr Gegenbild im blauen
Spiegel sehn.

Ein farbensprühendes Gewand ist um Ragusa gelegt, das von altersher
bis heute in gewissem Sinne Weltstadt geblieben ist, von allen Nationen heim¬
gesucht: der straffe, in leichte Falten gespannte blaue Mantel des Meeres, mit
dem dunkelgrünen Juwel Lakroma geziert, darüber der immergrüne Kranz, von
dem sich ein reiches Blumen-, Frucht- und Blätterfeston links und rechts an
den Küsten entlang wie eine lässig nachschleifende Girlande erstreckt, und am
Horizont wie hinter Blumengittern das Purpur der Sonnenaufgange, die
strahlend über dem Farbenbukett der Landschaft stehn.

Ein bengalisches Märchen mit der Farbentrunkenheit des Orients, das
ist Ragusa.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/504>, abgerufen am 27.06.2024.