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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Reisebilder aus Valmatien

Spalato mit seinen Türmen und dem bedeutendsten Bauwerk Dalmatiens,
dem Palast des Diokletian, rückt zurück, nach dem offnen Meer hin; in der Bucht
mit der schützend vorgelagerten Insel Rua taucht Vranizza auf, Klein-Venedig,
ganz von Wasser umspült, ein artiges Spielzeug von der Straßenhöhe gesehn;
Salona, die in Schutt gesunkne Stadt römischer Hochkultur, breitet sich rechts
hin; ein riesiger Trümmeracker, die Bergkrone Clissa. ein altes Felsenkastell,
funkelt auf dem Felsenkegel wie auf dem Haupt eines riesenhaften Sayenkönigs.
der sein Land wachsam überschaut, weit über das Gestade mit seinen Ölbäumen.
Weingärten und den schimmernden Ortschaften der sieben Kastelle, die, von der
Welle bespült, bis Trau hinziehn.

Der Glanzpunkt ist Ragusa, die republikanische Stadt, die Aristokratische,
die Einzige, die das Sinnbild des Flügellöwen in ihren Mauern nicht auf¬
nahm, und die mit Venedig, der größern Rivalin, im friedlichen Wettstreit lag,
eine kleine Nebensonne, die sich im eignen Glanz behauptete, trotz des mächtigen
Strahlengestirns, das jahrhundertelang über Jllyrien leuchtete. Lieber suchte
Ragusa unter dem Halbmond Schirm, ehe es von den Fittichen des Löwen
beschattet werden wollte.

Die Handelsrepublik mit einer durchaus aristokratischen Verfassung sah
während ihrer mehr als tausendjährigen Selbständigkeit keinen Feind in ihren
Mauern, außer dem Erdbeben und der Feuersbrunst, die 1667 die Blüte der
Stadt knickten. Es war der erste Stoß, der den Stern langsam zum Sinken
brachte. Napoleon bedeutete den Fall der Republik, die im siebenten Jahrhundert
entstand, als sich griechisch-römische Kolonisten aus dem von den Avaren zerstörten
Epidaurus (dem jetzigen Ragusa vecchia) auf der felsigen Halbinsel des heutigen
Ragusa niederließen. Ein Meeresarm an Stelle der heutigen breiten Stradone, der
Hauptstraße Nagusas, schnitt in den ältesten Zeiten die Stadt vom Festland ab.

Wie eine Stadt mit 800 Häusern in den unaufhörlichen politischen und
kriegerischen Katastrophen ihre Freiheit bewahren konnte, erscheint rätselhaft.
In der gefährlichen Nachbarschaft großer Mächte, in einer Atmosphäre, die
durch die'unvermeidlichen Reibungen erhitzt und mit Zündstoff geladen war.

Denn die massigen Mauern, so trotzig und wehrhaft sie auch auf das
Meer hinausschauen, eine bewehrte Faust, die sich drohend hinausreckt, sie
allein konnten die Sicherheit nicht auf die Dauer gewähren, wenn sie auch der
momentanen Abwehr außerordentlich dienten.

Mehr als die Mauern und mehr als die Schutzherrschaft von Byzanz,
von Venedig, Ungarn und vom Osmanenreich, die einander ablösten und gegen
klingende Münze nur dem Namen nach dawaren und die Freiheit der ragusäischen
Stadtrepublik nicht im mindesten antasteten, mehr als die Gnade und Für¬
sprache des Papstes war es die handelspolitische und diplomatische Klugheit
der ragusäischen Regierung, die sogar in ungewissen Zeiten, wo immer alles
auf dem Spiele stand, das Gleichgewicht zu halten wußte. Der Bestand der
kleinen Republik war ein Sieg der Intelligenz.


Reisebilder aus Valmatien

Spalato mit seinen Türmen und dem bedeutendsten Bauwerk Dalmatiens,
dem Palast des Diokletian, rückt zurück, nach dem offnen Meer hin; in der Bucht
mit der schützend vorgelagerten Insel Rua taucht Vranizza auf, Klein-Venedig,
ganz von Wasser umspült, ein artiges Spielzeug von der Straßenhöhe gesehn;
Salona, die in Schutt gesunkne Stadt römischer Hochkultur, breitet sich rechts
hin; ein riesiger Trümmeracker, die Bergkrone Clissa. ein altes Felsenkastell,
funkelt auf dem Felsenkegel wie auf dem Haupt eines riesenhaften Sayenkönigs.
der sein Land wachsam überschaut, weit über das Gestade mit seinen Ölbäumen.
Weingärten und den schimmernden Ortschaften der sieben Kastelle, die, von der
Welle bespült, bis Trau hinziehn.

Der Glanzpunkt ist Ragusa, die republikanische Stadt, die Aristokratische,
die Einzige, die das Sinnbild des Flügellöwen in ihren Mauern nicht auf¬
nahm, und die mit Venedig, der größern Rivalin, im friedlichen Wettstreit lag,
eine kleine Nebensonne, die sich im eignen Glanz behauptete, trotz des mächtigen
Strahlengestirns, das jahrhundertelang über Jllyrien leuchtete. Lieber suchte
Ragusa unter dem Halbmond Schirm, ehe es von den Fittichen des Löwen
beschattet werden wollte.

Die Handelsrepublik mit einer durchaus aristokratischen Verfassung sah
während ihrer mehr als tausendjährigen Selbständigkeit keinen Feind in ihren
Mauern, außer dem Erdbeben und der Feuersbrunst, die 1667 die Blüte der
Stadt knickten. Es war der erste Stoß, der den Stern langsam zum Sinken
brachte. Napoleon bedeutete den Fall der Republik, die im siebenten Jahrhundert
entstand, als sich griechisch-römische Kolonisten aus dem von den Avaren zerstörten
Epidaurus (dem jetzigen Ragusa vecchia) auf der felsigen Halbinsel des heutigen
Ragusa niederließen. Ein Meeresarm an Stelle der heutigen breiten Stradone, der
Hauptstraße Nagusas, schnitt in den ältesten Zeiten die Stadt vom Festland ab.

Wie eine Stadt mit 800 Häusern in den unaufhörlichen politischen und
kriegerischen Katastrophen ihre Freiheit bewahren konnte, erscheint rätselhaft.
In der gefährlichen Nachbarschaft großer Mächte, in einer Atmosphäre, die
durch die'unvermeidlichen Reibungen erhitzt und mit Zündstoff geladen war.

Denn die massigen Mauern, so trotzig und wehrhaft sie auch auf das
Meer hinausschauen, eine bewehrte Faust, die sich drohend hinausreckt, sie
allein konnten die Sicherheit nicht auf die Dauer gewähren, wenn sie auch der
momentanen Abwehr außerordentlich dienten.

Mehr als die Mauern und mehr als die Schutzherrschaft von Byzanz,
von Venedig, Ungarn und vom Osmanenreich, die einander ablösten und gegen
klingende Münze nur dem Namen nach dawaren und die Freiheit der ragusäischen
Stadtrepublik nicht im mindesten antasteten, mehr als die Gnade und Für¬
sprache des Papstes war es die handelspolitische und diplomatische Klugheit
der ragusäischen Regierung, die sogar in ungewissen Zeiten, wo immer alles
auf dem Spiele stand, das Gleichgewicht zu halten wußte. Der Bestand der
kleinen Republik war ein Sieg der Intelligenz.


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[0503] Reisebilder aus Valmatien Spalato mit seinen Türmen und dem bedeutendsten Bauwerk Dalmatiens, dem Palast des Diokletian, rückt zurück, nach dem offnen Meer hin; in der Bucht mit der schützend vorgelagerten Insel Rua taucht Vranizza auf, Klein-Venedig, ganz von Wasser umspült, ein artiges Spielzeug von der Straßenhöhe gesehn; Salona, die in Schutt gesunkne Stadt römischer Hochkultur, breitet sich rechts hin; ein riesiger Trümmeracker, die Bergkrone Clissa. ein altes Felsenkastell, funkelt auf dem Felsenkegel wie auf dem Haupt eines riesenhaften Sayenkönigs. der sein Land wachsam überschaut, weit über das Gestade mit seinen Ölbäumen. Weingärten und den schimmernden Ortschaften der sieben Kastelle, die, von der Welle bespült, bis Trau hinziehn. Der Glanzpunkt ist Ragusa, die republikanische Stadt, die Aristokratische, die Einzige, die das Sinnbild des Flügellöwen in ihren Mauern nicht auf¬ nahm, und die mit Venedig, der größern Rivalin, im friedlichen Wettstreit lag, eine kleine Nebensonne, die sich im eignen Glanz behauptete, trotz des mächtigen Strahlengestirns, das jahrhundertelang über Jllyrien leuchtete. Lieber suchte Ragusa unter dem Halbmond Schirm, ehe es von den Fittichen des Löwen beschattet werden wollte. Die Handelsrepublik mit einer durchaus aristokratischen Verfassung sah während ihrer mehr als tausendjährigen Selbständigkeit keinen Feind in ihren Mauern, außer dem Erdbeben und der Feuersbrunst, die 1667 die Blüte der Stadt knickten. Es war der erste Stoß, der den Stern langsam zum Sinken brachte. Napoleon bedeutete den Fall der Republik, die im siebenten Jahrhundert entstand, als sich griechisch-römische Kolonisten aus dem von den Avaren zerstörten Epidaurus (dem jetzigen Ragusa vecchia) auf der felsigen Halbinsel des heutigen Ragusa niederließen. Ein Meeresarm an Stelle der heutigen breiten Stradone, der Hauptstraße Nagusas, schnitt in den ältesten Zeiten die Stadt vom Festland ab. Wie eine Stadt mit 800 Häusern in den unaufhörlichen politischen und kriegerischen Katastrophen ihre Freiheit bewahren konnte, erscheint rätselhaft. In der gefährlichen Nachbarschaft großer Mächte, in einer Atmosphäre, die durch die'unvermeidlichen Reibungen erhitzt und mit Zündstoff geladen war. Denn die massigen Mauern, so trotzig und wehrhaft sie auch auf das Meer hinausschauen, eine bewehrte Faust, die sich drohend hinausreckt, sie allein konnten die Sicherheit nicht auf die Dauer gewähren, wenn sie auch der momentanen Abwehr außerordentlich dienten. Mehr als die Mauern und mehr als die Schutzherrschaft von Byzanz, von Venedig, Ungarn und vom Osmanenreich, die einander ablösten und gegen klingende Münze nur dem Namen nach dawaren und die Freiheit der ragusäischen Stadtrepublik nicht im mindesten antasteten, mehr als die Gnade und Für¬ sprache des Papstes war es die handelspolitische und diplomatische Klugheit der ragusäischen Regierung, die sogar in ungewissen Zeiten, wo immer alles auf dem Spiele stand, das Gleichgewicht zu halten wußte. Der Bestand der kleinen Republik war ein Sieg der Intelligenz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/503>, abgerufen am 21.06.2024.