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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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politische Bildung und Nationalbewußtsein

daß ein gewisser Partikularismus historisch berechtigt ist. Jede deutsche
Dynastie hat sich zuzeiten wirkliche Verdienste um ihr Land erworben, und
in allen jetzigen Bundesstaaten hatte die dynastische, nicht nationale, Politik
begriffen, daß der Glanz des Fürstenhauses am sichersten durch das Wohl
des Landes gefördert werde. Seit den Greueln des Dreißigjährigen Krieges,
"ach denen meist mit redlicher Arbeit die einzelnen deutschen Fürsten ihre
verarmten, gebrochnen und verwilderten Untertanen wieder aufrichteten, erzogen
und an ein sehr unterwürfiges aber geordnetes Staatsleben gewöhnten, hatten
sich die besten politische" Kräfte unsers Volkes in den Einzelstaaten entfaltet,
das machtlose Reich tat nichts. Den Fürstenhäusern gebührt Lob und Tadel
für alles, was zwei Jahrhunderte hindurch in Deutschland geschah. Wohl
waren es nur Notstaaten , ohne Macht und mit beschränktem politischen
Horizont, aber sie handelten doch nach ihren schwachen Kräften für wirtschaft¬
liche und politische Zwecke, während das nur noch dem Namen nach bestehende
Reich immer mehr versank. Obgleich die Erinnerung an die frühere Größe
des Reichs niemals ganz verschwand und mit der Neubelebung des Volks-
tums von neuem rege wurde, blieb doch der Eindruck der Wohltaten der
neuern Zeit mächtiger. Es bedürfte der einigenden Gewalt der großen
deutschen Literaturperiode. einer tiefen Erniedrigung der gesamten Nation unter
das napoleonische Joch und der treuen Arbeit weitblickender Männer, um den
Reichsgedanken überhaupt wieder zu einer wirksamen Triebkraft im Bewußt¬
sein des Volks zu erheben. Daneben blieb aber das Dankgefühl für die
langjährige Fürsorge der Fürstenhäuser bestehn, die übrigens, wenn sie auch
nicht nach den Umwandlungen von 1803 und 1806 sowie den Beschlüssen
des Wiener Kongresses für alle ihre Untertanen als "angestaunt" gelten
konnten, wenigstens nicht landfremd waren wie die meisten Kleinfürsten
Italiens. Auch die aus Frankreich zu verschiednen Zeiten herüberschlagenden
republikanischen Wellen haben daran nichts geändert, sogar die Begründung
des Deutschen Reiches nur wenig, weil sich die deutschen Reichsfürsten in klarer
Erkennung der Weltlage, die den Mittel- und Kleinstaaten keine Bedeutung
'mehr zuerkennt, mit nicht auf allen Seiten erwarteter Entschiedenheit und
Treue auf den Boden des Reichs gestellt haben. Der Bürger der Einzel¬
staaten vermag darum in der Regel keine Beeinträchtigung der Reichsidee
darin zu erkennen, daß er in allem und jedem hinter seinen Landesfürsten
und den Sonderinteressen seines Landes steht.

Soweit ist der Partikularismus berechtigt und gewissermaßen auch durch
die Reichsverfassung sanktioniert. Daß er einen Vorteil gegenüber den in
leder staatlichen Beziehung einheitlich gestalteten Reichen bedeute, soll damit
keineswegs gesagt werden. Wir müssen aber damit auszukommen suchen, und
^ ist bisher auch gegangen. So stark ist dieser Partikularismus nicht, daß
^ bei der heutigen Weltlage das Reich wieder auseinandertreiben könnte,
^iber ist ein großer Teil unsrer besten politischen Kräfte in den Reihen des


politische Bildung und Nationalbewußtsein

daß ein gewisser Partikularismus historisch berechtigt ist. Jede deutsche
Dynastie hat sich zuzeiten wirkliche Verdienste um ihr Land erworben, und
in allen jetzigen Bundesstaaten hatte die dynastische, nicht nationale, Politik
begriffen, daß der Glanz des Fürstenhauses am sichersten durch das Wohl
des Landes gefördert werde. Seit den Greueln des Dreißigjährigen Krieges,
«ach denen meist mit redlicher Arbeit die einzelnen deutschen Fürsten ihre
verarmten, gebrochnen und verwilderten Untertanen wieder aufrichteten, erzogen
und an ein sehr unterwürfiges aber geordnetes Staatsleben gewöhnten, hatten
sich die besten politische» Kräfte unsers Volkes in den Einzelstaaten entfaltet,
das machtlose Reich tat nichts. Den Fürstenhäusern gebührt Lob und Tadel
für alles, was zwei Jahrhunderte hindurch in Deutschland geschah. Wohl
waren es nur Notstaaten , ohne Macht und mit beschränktem politischen
Horizont, aber sie handelten doch nach ihren schwachen Kräften für wirtschaft¬
liche und politische Zwecke, während das nur noch dem Namen nach bestehende
Reich immer mehr versank. Obgleich die Erinnerung an die frühere Größe
des Reichs niemals ganz verschwand und mit der Neubelebung des Volks-
tums von neuem rege wurde, blieb doch der Eindruck der Wohltaten der
neuern Zeit mächtiger. Es bedürfte der einigenden Gewalt der großen
deutschen Literaturperiode. einer tiefen Erniedrigung der gesamten Nation unter
das napoleonische Joch und der treuen Arbeit weitblickender Männer, um den
Reichsgedanken überhaupt wieder zu einer wirksamen Triebkraft im Bewußt¬
sein des Volks zu erheben. Daneben blieb aber das Dankgefühl für die
langjährige Fürsorge der Fürstenhäuser bestehn, die übrigens, wenn sie auch
nicht nach den Umwandlungen von 1803 und 1806 sowie den Beschlüssen
des Wiener Kongresses für alle ihre Untertanen als „angestaunt" gelten
konnten, wenigstens nicht landfremd waren wie die meisten Kleinfürsten
Italiens. Auch die aus Frankreich zu verschiednen Zeiten herüberschlagenden
republikanischen Wellen haben daran nichts geändert, sogar die Begründung
des Deutschen Reiches nur wenig, weil sich die deutschen Reichsfürsten in klarer
Erkennung der Weltlage, die den Mittel- und Kleinstaaten keine Bedeutung
'mehr zuerkennt, mit nicht auf allen Seiten erwarteter Entschiedenheit und
Treue auf den Boden des Reichs gestellt haben. Der Bürger der Einzel¬
staaten vermag darum in der Regel keine Beeinträchtigung der Reichsidee
darin zu erkennen, daß er in allem und jedem hinter seinen Landesfürsten
und den Sonderinteressen seines Landes steht.

Soweit ist der Partikularismus berechtigt und gewissermaßen auch durch
die Reichsverfassung sanktioniert. Daß er einen Vorteil gegenüber den in
leder staatlichen Beziehung einheitlich gestalteten Reichen bedeute, soll damit
keineswegs gesagt werden. Wir müssen aber damit auszukommen suchen, und
^ ist bisher auch gegangen. So stark ist dieser Partikularismus nicht, daß
^ bei der heutigen Weltlage das Reich wieder auseinandertreiben könnte,
^iber ist ein großer Teil unsrer besten politischen Kräfte in den Reihen des


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[0475] politische Bildung und Nationalbewußtsein daß ein gewisser Partikularismus historisch berechtigt ist. Jede deutsche Dynastie hat sich zuzeiten wirkliche Verdienste um ihr Land erworben, und in allen jetzigen Bundesstaaten hatte die dynastische, nicht nationale, Politik begriffen, daß der Glanz des Fürstenhauses am sichersten durch das Wohl des Landes gefördert werde. Seit den Greueln des Dreißigjährigen Krieges, «ach denen meist mit redlicher Arbeit die einzelnen deutschen Fürsten ihre verarmten, gebrochnen und verwilderten Untertanen wieder aufrichteten, erzogen und an ein sehr unterwürfiges aber geordnetes Staatsleben gewöhnten, hatten sich die besten politische» Kräfte unsers Volkes in den Einzelstaaten entfaltet, das machtlose Reich tat nichts. Den Fürstenhäusern gebührt Lob und Tadel für alles, was zwei Jahrhunderte hindurch in Deutschland geschah. Wohl waren es nur Notstaaten , ohne Macht und mit beschränktem politischen Horizont, aber sie handelten doch nach ihren schwachen Kräften für wirtschaft¬ liche und politische Zwecke, während das nur noch dem Namen nach bestehende Reich immer mehr versank. Obgleich die Erinnerung an die frühere Größe des Reichs niemals ganz verschwand und mit der Neubelebung des Volks- tums von neuem rege wurde, blieb doch der Eindruck der Wohltaten der neuern Zeit mächtiger. Es bedürfte der einigenden Gewalt der großen deutschen Literaturperiode. einer tiefen Erniedrigung der gesamten Nation unter das napoleonische Joch und der treuen Arbeit weitblickender Männer, um den Reichsgedanken überhaupt wieder zu einer wirksamen Triebkraft im Bewußt¬ sein des Volks zu erheben. Daneben blieb aber das Dankgefühl für die langjährige Fürsorge der Fürstenhäuser bestehn, die übrigens, wenn sie auch nicht nach den Umwandlungen von 1803 und 1806 sowie den Beschlüssen des Wiener Kongresses für alle ihre Untertanen als „angestaunt" gelten konnten, wenigstens nicht landfremd waren wie die meisten Kleinfürsten Italiens. Auch die aus Frankreich zu verschiednen Zeiten herüberschlagenden republikanischen Wellen haben daran nichts geändert, sogar die Begründung des Deutschen Reiches nur wenig, weil sich die deutschen Reichsfürsten in klarer Erkennung der Weltlage, die den Mittel- und Kleinstaaten keine Bedeutung 'mehr zuerkennt, mit nicht auf allen Seiten erwarteter Entschiedenheit und Treue auf den Boden des Reichs gestellt haben. Der Bürger der Einzel¬ staaten vermag darum in der Regel keine Beeinträchtigung der Reichsidee darin zu erkennen, daß er in allem und jedem hinter seinen Landesfürsten und den Sonderinteressen seines Landes steht. Soweit ist der Partikularismus berechtigt und gewissermaßen auch durch die Reichsverfassung sanktioniert. Daß er einen Vorteil gegenüber den in leder staatlichen Beziehung einheitlich gestalteten Reichen bedeute, soll damit keineswegs gesagt werden. Wir müssen aber damit auszukommen suchen, und ^ ist bisher auch gegangen. So stark ist dieser Partikularismus nicht, daß ^ bei der heutigen Weltlage das Reich wieder auseinandertreiben könnte, ^iber ist ein großer Teil unsrer besten politischen Kräfte in den Reihen des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/475>, abgerufen am 22.07.2024.