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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Junge Richter und junge Rechtsanwälte

Wohl des Mündels zu fördern, und er kann den Vormund mit Schimpf und
Schande entlassen. Der Vormundschaftsrichter hat ferner bei Streitigkeiten
unter Eheleuten zu entscheiden, wenn die Frau die Zustimmung zu der vom
Mann beabsichtigten Verfügung über ihr Vermögen verweigert, und ebenso,
wenn der Mann eine Maßnahme verweigert, die die Frau zur ordnungsmäßigen
Besorgung ihrer persönlichen Angelegenheiten für nötig erachtet. Und endlich
hat der Vormundschaftsrichter nach der Ehescheidung in dem Widerstreit der
gegeneinander verbitterten Eltern darüber zu entscheiden, wie es mit der
Kindererziehung gehalten werden soll. Alle diese Entschließungen des Vor¬
mundschaftsrichters fordern zumeist ein kräftiges schnelles Einschreiten; darum
bestimmt das Gesetz, daß die bezeichneten Verfügungen grundsätzlich schon mit
der bloßen Bekanntmachung an die Beteiligten in Wirksamkeit treten.

Der Nachlaßrichter kann auf Antrag eines Gläubigers eme "Nachlaß-
Verwaltung" anordnen und hiermit die Erben in die Rechtsstellung der Geschafts-
beschrünkten oder des Gemeinschuldners hineinzwängen, wenn er Grund zu der
Annahme zu haben glaubt, daß die Befriedigung der Gläubiger aus dem Nachlaß
durch das Verhalten oder die Vermögenslage der Erben gefährdet wird, eine
Fesstellung. die ungleich schwerer ist als die Feststellung der Zahlungseinstellung
w Konkurs. Der Nachlaßrichtcr hat ferner zu entscheiden, wenn zwischen
mehreren Testamentsvollstreckern Meinungsverschiedenheit über die Zweckmäßigkeit
einer Maßregel besteht; und er soll ferner bei der Auseinandersetzung der Erben
eine schlichtende und vermittelnde Tätigkeit entfalten, auf möglichste Beseitigungvon Streitigkeiten und auf eine Teilung hinwirken, die den Interessen aller
Beteiligten gerecht wird.

Dem Negisterrichter gibt das Gesetz bei Streitigkeiten zwischen Handels¬
gesellschaftern.' ferner zwischen Aktionären oder Vereinsmitgliedern und dem
Vorstand mehrfach das Recht, dem Antragsteller Befugnisse einzuräumen, wo-
fern ..wichtige Gründe" vorliegen oder dies sonst bei einer gerechten Abwägung
d°r gegenseitige" Interessen nötig erscheint. - Bei der Beurkundung rechts¬
geschäftlicher Erklärungen hat der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit die
Vorschriften der ..Kautelarjurisprudenz" zu beobachten, das heißt we Urkunde
"sicher und zweckmäßig, wie es den Lebens- und Verkehrsverhältnissen der Be¬
teiligten entspricht", abzufassen. - Der Grundbuchrichter soll die Beteiligten
"icht zu ..Objekten wandelbarer Rechtsansichten" machen; er soll eme Ein¬
tragung, der naheliegende Bedenken nicht entgegenstehn, nicht ablehnen wegen
der fern abliegenden Möglichkeit einer entgegengesetzten Rechtsauffassung.'

Alles in allem genommen: der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit
h°t sich bei seiner Rechte begründenden oder aufhebenden Tätigkeit zumeist
Wischer entgegengesetzten Interessen zu entscheiden; und die Abwägung zwischen
diesen fordert eine eingehende Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse, prak¬
tischen Takt. Kenntnis der Lebensverhültnisse wenigstens der Volkskre.se. nut
denen der Richter am meisten in Berührung kommt, kurz ähnliche Eigenschaften.


Junge Richter und junge Rechtsanwälte

Wohl des Mündels zu fördern, und er kann den Vormund mit Schimpf und
Schande entlassen. Der Vormundschaftsrichter hat ferner bei Streitigkeiten
unter Eheleuten zu entscheiden, wenn die Frau die Zustimmung zu der vom
Mann beabsichtigten Verfügung über ihr Vermögen verweigert, und ebenso,
wenn der Mann eine Maßnahme verweigert, die die Frau zur ordnungsmäßigen
Besorgung ihrer persönlichen Angelegenheiten für nötig erachtet. Und endlich
hat der Vormundschaftsrichter nach der Ehescheidung in dem Widerstreit der
gegeneinander verbitterten Eltern darüber zu entscheiden, wie es mit der
Kindererziehung gehalten werden soll. Alle diese Entschließungen des Vor¬
mundschaftsrichters fordern zumeist ein kräftiges schnelles Einschreiten; darum
bestimmt das Gesetz, daß die bezeichneten Verfügungen grundsätzlich schon mit
der bloßen Bekanntmachung an die Beteiligten in Wirksamkeit treten.

Der Nachlaßrichter kann auf Antrag eines Gläubigers eme »Nachlaß-
Verwaltung" anordnen und hiermit die Erben in die Rechtsstellung der Geschafts-
beschrünkten oder des Gemeinschuldners hineinzwängen, wenn er Grund zu der
Annahme zu haben glaubt, daß die Befriedigung der Gläubiger aus dem Nachlaß
durch das Verhalten oder die Vermögenslage der Erben gefährdet wird, eine
Fesstellung. die ungleich schwerer ist als die Feststellung der Zahlungseinstellung
w Konkurs. Der Nachlaßrichtcr hat ferner zu entscheiden, wenn zwischen
mehreren Testamentsvollstreckern Meinungsverschiedenheit über die Zweckmäßigkeit
einer Maßregel besteht; und er soll ferner bei der Auseinandersetzung der Erben
eine schlichtende und vermittelnde Tätigkeit entfalten, auf möglichste Beseitigungvon Streitigkeiten und auf eine Teilung hinwirken, die den Interessen aller
Beteiligten gerecht wird.

Dem Negisterrichter gibt das Gesetz bei Streitigkeiten zwischen Handels¬
gesellschaftern.' ferner zwischen Aktionären oder Vereinsmitgliedern und dem
Vorstand mehrfach das Recht, dem Antragsteller Befugnisse einzuräumen, wo-
fern ..wichtige Gründe" vorliegen oder dies sonst bei einer gerechten Abwägung
d°r gegenseitige» Interessen nötig erscheint. - Bei der Beurkundung rechts¬
geschäftlicher Erklärungen hat der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit die
Vorschriften der ..Kautelarjurisprudenz" zu beobachten, das heißt we Urkunde
»sicher und zweckmäßig, wie es den Lebens- und Verkehrsverhältnissen der Be¬
teiligten entspricht", abzufassen. - Der Grundbuchrichter soll die Beteiligten
"icht zu ..Objekten wandelbarer Rechtsansichten" machen; er soll eme Ein¬
tragung, der naheliegende Bedenken nicht entgegenstehn, nicht ablehnen wegen
der fern abliegenden Möglichkeit einer entgegengesetzten Rechtsauffassung.'

Alles in allem genommen: der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit
h°t sich bei seiner Rechte begründenden oder aufhebenden Tätigkeit zumeist
Wischer entgegengesetzten Interessen zu entscheiden; und die Abwägung zwischen
diesen fordert eine eingehende Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse, prak¬
tischen Takt. Kenntnis der Lebensverhültnisse wenigstens der Volkskre.se. nut
denen der Richter am meisten in Berührung kommt, kurz ähnliche Eigenschaften.


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[0389] Junge Richter und junge Rechtsanwälte Wohl des Mündels zu fördern, und er kann den Vormund mit Schimpf und Schande entlassen. Der Vormundschaftsrichter hat ferner bei Streitigkeiten unter Eheleuten zu entscheiden, wenn die Frau die Zustimmung zu der vom Mann beabsichtigten Verfügung über ihr Vermögen verweigert, und ebenso, wenn der Mann eine Maßnahme verweigert, die die Frau zur ordnungsmäßigen Besorgung ihrer persönlichen Angelegenheiten für nötig erachtet. Und endlich hat der Vormundschaftsrichter nach der Ehescheidung in dem Widerstreit der gegeneinander verbitterten Eltern darüber zu entscheiden, wie es mit der Kindererziehung gehalten werden soll. Alle diese Entschließungen des Vor¬ mundschaftsrichters fordern zumeist ein kräftiges schnelles Einschreiten; darum bestimmt das Gesetz, daß die bezeichneten Verfügungen grundsätzlich schon mit der bloßen Bekanntmachung an die Beteiligten in Wirksamkeit treten. Der Nachlaßrichter kann auf Antrag eines Gläubigers eme »Nachlaß- Verwaltung" anordnen und hiermit die Erben in die Rechtsstellung der Geschafts- beschrünkten oder des Gemeinschuldners hineinzwängen, wenn er Grund zu der Annahme zu haben glaubt, daß die Befriedigung der Gläubiger aus dem Nachlaß durch das Verhalten oder die Vermögenslage der Erben gefährdet wird, eine Fesstellung. die ungleich schwerer ist als die Feststellung der Zahlungseinstellung w Konkurs. Der Nachlaßrichtcr hat ferner zu entscheiden, wenn zwischen mehreren Testamentsvollstreckern Meinungsverschiedenheit über die Zweckmäßigkeit einer Maßregel besteht; und er soll ferner bei der Auseinandersetzung der Erben eine schlichtende und vermittelnde Tätigkeit entfalten, auf möglichste Beseitigungvon Streitigkeiten und auf eine Teilung hinwirken, die den Interessen aller Beteiligten gerecht wird. Dem Negisterrichter gibt das Gesetz bei Streitigkeiten zwischen Handels¬ gesellschaftern.' ferner zwischen Aktionären oder Vereinsmitgliedern und dem Vorstand mehrfach das Recht, dem Antragsteller Befugnisse einzuräumen, wo- fern ..wichtige Gründe" vorliegen oder dies sonst bei einer gerechten Abwägung d°r gegenseitige» Interessen nötig erscheint. - Bei der Beurkundung rechts¬ geschäftlicher Erklärungen hat der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Vorschriften der ..Kautelarjurisprudenz" zu beobachten, das heißt we Urkunde »sicher und zweckmäßig, wie es den Lebens- und Verkehrsverhältnissen der Be¬ teiligten entspricht", abzufassen. - Der Grundbuchrichter soll die Beteiligten "icht zu ..Objekten wandelbarer Rechtsansichten" machen; er soll eme Ein¬ tragung, der naheliegende Bedenken nicht entgegenstehn, nicht ablehnen wegen der fern abliegenden Möglichkeit einer entgegengesetzten Rechtsauffassung.' Alles in allem genommen: der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit h°t sich bei seiner Rechte begründenden oder aufhebenden Tätigkeit zumeist Wischer entgegengesetzten Interessen zu entscheiden; und die Abwägung zwischen diesen fordert eine eingehende Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse, prak¬ tischen Takt. Kenntnis der Lebensverhültnisse wenigstens der Volkskre.se. nut denen der Richter am meisten in Berührung kommt, kurz ähnliche Eigenschaften.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/389>, abgerufen am 22.07.2024.