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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Zunge Richter und junge Rechtsanwälte

wie sie oben beim Strafrichter als wünschenswert nachgewiesen wurden. Danach
erscheint ein junger Richter zur Handhabung der freiwilligen Gerichtsbarkeit
keinesfalls -- wie dies so oft angenommen wird -- als besonders geeignet.
Zuzugeben ist nur, daß sich Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
im allgemeinen einfach und glatt abwickeln, daß also die oben gekenn¬
zeichneten Entscheidungen, bei denen besondre praktische Fähigkeiten des Richters
in Frage kommen, verhältnismäßig selten sind.

Aber, wird man sagen: der junge Richter steht nicht anders da als der
junge Offizier und der junge Gymnasiallehrer, der junge Staatsanwalt und
der junge Regierungsassessor, der junge Rechtsanwalt, Notar oder Arzt; auch
alle diese erlangen nicht sofort durch Ablegung der Staatsprüfung die Fähigkeit
zu einer gedeihlichen Ausübung des Berufs, sondern ganz wie der Richter
erst durch langjährige praktische Tätigkeit, und doch liegt ihnen sofort nach
Ablegung der Staatsprüfung eine durchaus selbständige Berufsausübung ob.
Dieser Vergleich des Richters mit andern Berufsständen trifft jedoch nicht zu.
Wenn infolge mangelnden praktischen Geschicks ein junger Offizier oder
Gymnasiallehrer in der Ausbildung der Soldaten unrichtig verfährt oder an
die Schüler zu hohe Anforderungen stellt, so kann dies dem vorgesetzten Hör.^-
manu oder Direktor nicht verborgen bleiben, und er schreitet dann sofort ein,
um dem Mißstand abzuhelfen. Und wenn ein junger Regierungsassessor bei
den Beratungen der Abteilung Ansichten vorbringt, die seine Fähigkeit zur
selbständigen Bearbeitung von Verwaltungssachen in Zweifel stellen, so wird
der Oberregierungsrat oder der Regierungspräsident der fernern Amtstätigkeit
dieses Assessors eine besondre Aufmerksamkeit zuwenden. Sieht ferner der
erste Staatsanwalt, daß Anträge eines jüngern Staatsanwalts oder Assessors
besonders häufig vom Gericht abgelehnt werden, oder daß seine Verfügungen auf
Beschwerde auffallend oft vom Oberstaatsanwalt aufgehoben werden, so wird der
erste Staatsanwalt auf eine anderweite Arbeitsweise eines solchen Beamten hin¬
wirken, oder er wird für sich selbst eine gewisse Mitwirkung bei Erledigung der
Amtsgeschäfte dieses Beamten in Anspruch nehmen. So ist also der Vorgesetzte
jederzeit in der Lage, helfend, verbessernd und mahnend einzugreifen.

Anders beim Richter. Die heutige Gerichtsverfassung hat das Einzel-
richtertum in seiner ganzen Schroffheit ausgebildet, sodaß der junge Amts¬
richter jedem wohltätigen Einfluß kollegialgerichtlicher Rechtsprechung entzogen
ist, ebenso aber auch fast jeder Einwirkung der Dienstaufsichtsbehörde. Dieser
(die übrigens doch nur ausnahmsweise am Orte ist) steht eine Einwirkung auf
die materielle Entscheidung des Amtsrichters keinesfalls zu; eine solche Ein¬
wirkung wäre mit der richterlichen Unabhängigkeit, die doch der Eckstein unsrer
Rechtspflege ist, unvereinbar, und der junge Richter ist sich also völlig selbst
überlassen. Während ferner bei den andern oben erwähnten Berufen die vor¬
gesetzte Dienstbehörde, wenn sie einen Beamten für die Amtsgeschäfte, deren
Bearbeitung ihm obliegt, als ungeeignet erachtet, ihm jederzeit einen andern


Zunge Richter und junge Rechtsanwälte

wie sie oben beim Strafrichter als wünschenswert nachgewiesen wurden. Danach
erscheint ein junger Richter zur Handhabung der freiwilligen Gerichtsbarkeit
keinesfalls — wie dies so oft angenommen wird — als besonders geeignet.
Zuzugeben ist nur, daß sich Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
im allgemeinen einfach und glatt abwickeln, daß also die oben gekenn¬
zeichneten Entscheidungen, bei denen besondre praktische Fähigkeiten des Richters
in Frage kommen, verhältnismäßig selten sind.

Aber, wird man sagen: der junge Richter steht nicht anders da als der
junge Offizier und der junge Gymnasiallehrer, der junge Staatsanwalt und
der junge Regierungsassessor, der junge Rechtsanwalt, Notar oder Arzt; auch
alle diese erlangen nicht sofort durch Ablegung der Staatsprüfung die Fähigkeit
zu einer gedeihlichen Ausübung des Berufs, sondern ganz wie der Richter
erst durch langjährige praktische Tätigkeit, und doch liegt ihnen sofort nach
Ablegung der Staatsprüfung eine durchaus selbständige Berufsausübung ob.
Dieser Vergleich des Richters mit andern Berufsständen trifft jedoch nicht zu.
Wenn infolge mangelnden praktischen Geschicks ein junger Offizier oder
Gymnasiallehrer in der Ausbildung der Soldaten unrichtig verfährt oder an
die Schüler zu hohe Anforderungen stellt, so kann dies dem vorgesetzten Hör.^-
manu oder Direktor nicht verborgen bleiben, und er schreitet dann sofort ein,
um dem Mißstand abzuhelfen. Und wenn ein junger Regierungsassessor bei
den Beratungen der Abteilung Ansichten vorbringt, die seine Fähigkeit zur
selbständigen Bearbeitung von Verwaltungssachen in Zweifel stellen, so wird
der Oberregierungsrat oder der Regierungspräsident der fernern Amtstätigkeit
dieses Assessors eine besondre Aufmerksamkeit zuwenden. Sieht ferner der
erste Staatsanwalt, daß Anträge eines jüngern Staatsanwalts oder Assessors
besonders häufig vom Gericht abgelehnt werden, oder daß seine Verfügungen auf
Beschwerde auffallend oft vom Oberstaatsanwalt aufgehoben werden, so wird der
erste Staatsanwalt auf eine anderweite Arbeitsweise eines solchen Beamten hin¬
wirken, oder er wird für sich selbst eine gewisse Mitwirkung bei Erledigung der
Amtsgeschäfte dieses Beamten in Anspruch nehmen. So ist also der Vorgesetzte
jederzeit in der Lage, helfend, verbessernd und mahnend einzugreifen.

Anders beim Richter. Die heutige Gerichtsverfassung hat das Einzel-
richtertum in seiner ganzen Schroffheit ausgebildet, sodaß der junge Amts¬
richter jedem wohltätigen Einfluß kollegialgerichtlicher Rechtsprechung entzogen
ist, ebenso aber auch fast jeder Einwirkung der Dienstaufsichtsbehörde. Dieser
(die übrigens doch nur ausnahmsweise am Orte ist) steht eine Einwirkung auf
die materielle Entscheidung des Amtsrichters keinesfalls zu; eine solche Ein¬
wirkung wäre mit der richterlichen Unabhängigkeit, die doch der Eckstein unsrer
Rechtspflege ist, unvereinbar, und der junge Richter ist sich also völlig selbst
überlassen. Während ferner bei den andern oben erwähnten Berufen die vor¬
gesetzte Dienstbehörde, wenn sie einen Beamten für die Amtsgeschäfte, deren
Bearbeitung ihm obliegt, als ungeeignet erachtet, ihm jederzeit einen andern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/390>, abgerufen am 22.07.2024.