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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Hier drinnen war es blendend hell. Die große Lampe aus weißem Porzellan
stand ohne Schirm auf dem Nachttisch. Auf der andern Seite des Bettes stand
eine andre Lampe mit hellbrennender Flamme.

Frau Haut lag mit gefalteten Händen auf dem Bettuch. Ihr Haar war ge¬
kämmt, fest und glatt lag es an der Stirn an. Ihre Augen waren geschlossen.
In dem grellen Licht traten die Züge in dem magern Gesicht scharf hervor und
warfen tiefe Schatten.

Aber ihre Lippen lächelten.

Geräuschlos erhob sich die Diakonisse von ihrem Stuhl am Bett und zog sich
in den Schatten zurück.

Svend Bugge nahm den Oberlehrer bei der Hand und führte ihn an das Fu߬
ende des Bettes.

Sehen Sie; flüsterte er, sehen Sie, nun hat sie Frieden gefunden!




Es wurde ein trüber Winter.

Kein ordentlicher, weißer Schnee bis ganz kurz vor Weihnachten. Da aber
fiel er in Haufen herab, und in der Weihnachtswoche lag die Stadt vergraben da
und guckte jammervoll durch die Fenster des zweiten Stockwerks über die weißen
Schneeschanzen. Bis an die Haustüren wurden tiefe Hohlwege gegraben.

Und dann kam der Januar, eine einzige finstere Nacht mit Sturm und Geheul
und Geheul und Sturm, von Norden her fünf Tage lang, von Süden sieben
Tage und dann wieder von Norden. Immer und ewig dasselbe Einerlei, denn
da draußen sah und hörte man nichts, mochte es aus dem einen Ende der Welt
kommen oder aus dem andern. Dunkel war es hinten und dunkel war es vorn,
und das Schneetreiben fuhr wagerecht von beiden Seiten an den Wänden des
Hauses entlang. Der Schnee, der nicht vom Himmel herab kam. kam aus den
hohen Schneeschanzen dahergewirbelt.

Daß sich die Schiffe vorwärtsstampften, daß die Postsäcke an Land kamen
und bis zu dem Postmeister in der Stadt gelangten, daß die Briefe und Zeitungen
wie gewöhnlich und in trocknem Zustande ringsherum in den Häusern abgeliefert
wurden, dabei dachte sich niemand etwas, niemand dachte darüber nach, welch ein
Wunder das im Grunde war! Niemand, außer vielleicht Svend Bugge, der
zweimal in der Woche gerade während der Postzeit zwischen zwölf und eins
norwegisch in der Prima gab, und der dann gewöhnlich am Fenster stand und
beobachtete, wie die vier Postboten in dem grauen, finstern Mittag den Postschlitten
vom Quai über den Hügel schleppten. Aber er war ja auch neu hier am Ort
und sah alles mit erstaunten Augen.

Sie löschten in der Regel die Lampen nach Süden zu in den Klassen aus,
in dieser Stunde. Weniger des Tageslichts wegen, denn das war kümmerlich
genug, als vielmehr aus Anstandsgefühl, des lieben Gottes und der vernünftigen
Naturordnung halber!

Um zwei Uhr, wenn sich groß und klein nach beendeter Schulzeit durch
das Wetter hindurch nach Hause arbeitete, standen die Straßenlaternen angezündet
da und leuchteten trübe durch die schneebedeckten Glaskuppeln. Aus der Mädchen¬
schule kamen sie in dem Unwetter in ganzen Schlittenladungen gefahren.

Und dann war man zu Hause, und es war für den Nest der vierundzwanzig
Stunden Nacht, den ganzen nächsten Morgen und bis tief in den nächsten Tag
hinein. Und währenddes heulte der Sturm, und das Schneetreiben peitschte gegen
die Fenster. "




Hier drinnen war es blendend hell. Die große Lampe aus weißem Porzellan
stand ohne Schirm auf dem Nachttisch. Auf der andern Seite des Bettes stand
eine andre Lampe mit hellbrennender Flamme.

Frau Haut lag mit gefalteten Händen auf dem Bettuch. Ihr Haar war ge¬
kämmt, fest und glatt lag es an der Stirn an. Ihre Augen waren geschlossen.
In dem grellen Licht traten die Züge in dem magern Gesicht scharf hervor und
warfen tiefe Schatten.

Aber ihre Lippen lächelten.

Geräuschlos erhob sich die Diakonisse von ihrem Stuhl am Bett und zog sich
in den Schatten zurück.

Svend Bugge nahm den Oberlehrer bei der Hand und führte ihn an das Fu߬
ende des Bettes.

Sehen Sie; flüsterte er, sehen Sie, nun hat sie Frieden gefunden!




Es wurde ein trüber Winter.

Kein ordentlicher, weißer Schnee bis ganz kurz vor Weihnachten. Da aber
fiel er in Haufen herab, und in der Weihnachtswoche lag die Stadt vergraben da
und guckte jammervoll durch die Fenster des zweiten Stockwerks über die weißen
Schneeschanzen. Bis an die Haustüren wurden tiefe Hohlwege gegraben.

Und dann kam der Januar, eine einzige finstere Nacht mit Sturm und Geheul
und Geheul und Sturm, von Norden her fünf Tage lang, von Süden sieben
Tage und dann wieder von Norden. Immer und ewig dasselbe Einerlei, denn
da draußen sah und hörte man nichts, mochte es aus dem einen Ende der Welt
kommen oder aus dem andern. Dunkel war es hinten und dunkel war es vorn,
und das Schneetreiben fuhr wagerecht von beiden Seiten an den Wänden des
Hauses entlang. Der Schnee, der nicht vom Himmel herab kam. kam aus den
hohen Schneeschanzen dahergewirbelt.

Daß sich die Schiffe vorwärtsstampften, daß die Postsäcke an Land kamen
und bis zu dem Postmeister in der Stadt gelangten, daß die Briefe und Zeitungen
wie gewöhnlich und in trocknem Zustande ringsherum in den Häusern abgeliefert
wurden, dabei dachte sich niemand etwas, niemand dachte darüber nach, welch ein
Wunder das im Grunde war! Niemand, außer vielleicht Svend Bugge, der
zweimal in der Woche gerade während der Postzeit zwischen zwölf und eins
norwegisch in der Prima gab, und der dann gewöhnlich am Fenster stand und
beobachtete, wie die vier Postboten in dem grauen, finstern Mittag den Postschlitten
vom Quai über den Hügel schleppten. Aber er war ja auch neu hier am Ort
und sah alles mit erstaunten Augen.

Sie löschten in der Regel die Lampen nach Süden zu in den Klassen aus,
in dieser Stunde. Weniger des Tageslichts wegen, denn das war kümmerlich
genug, als vielmehr aus Anstandsgefühl, des lieben Gottes und der vernünftigen
Naturordnung halber!

Um zwei Uhr, wenn sich groß und klein nach beendeter Schulzeit durch
das Wetter hindurch nach Hause arbeitete, standen die Straßenlaternen angezündet
da und leuchteten trübe durch die schneebedeckten Glaskuppeln. Aus der Mädchen¬
schule kamen sie in dem Unwetter in ganzen Schlittenladungen gefahren.

Und dann war man zu Hause, und es war für den Nest der vierundzwanzig
Stunden Nacht, den ganzen nächsten Morgen und bis tief in den nächsten Tag
hinein. Und währenddes heulte der Sturm, und das Schneetreiben peitschte gegen
die Fenster. „




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[0358] Hier drinnen war es blendend hell. Die große Lampe aus weißem Porzellan stand ohne Schirm auf dem Nachttisch. Auf der andern Seite des Bettes stand eine andre Lampe mit hellbrennender Flamme. Frau Haut lag mit gefalteten Händen auf dem Bettuch. Ihr Haar war ge¬ kämmt, fest und glatt lag es an der Stirn an. Ihre Augen waren geschlossen. In dem grellen Licht traten die Züge in dem magern Gesicht scharf hervor und warfen tiefe Schatten. Aber ihre Lippen lächelten. Geräuschlos erhob sich die Diakonisse von ihrem Stuhl am Bett und zog sich in den Schatten zurück. Svend Bugge nahm den Oberlehrer bei der Hand und führte ihn an das Fu߬ ende des Bettes. Sehen Sie; flüsterte er, sehen Sie, nun hat sie Frieden gefunden! Es wurde ein trüber Winter. Kein ordentlicher, weißer Schnee bis ganz kurz vor Weihnachten. Da aber fiel er in Haufen herab, und in der Weihnachtswoche lag die Stadt vergraben da und guckte jammervoll durch die Fenster des zweiten Stockwerks über die weißen Schneeschanzen. Bis an die Haustüren wurden tiefe Hohlwege gegraben. Und dann kam der Januar, eine einzige finstere Nacht mit Sturm und Geheul und Geheul und Sturm, von Norden her fünf Tage lang, von Süden sieben Tage und dann wieder von Norden. Immer und ewig dasselbe Einerlei, denn da draußen sah und hörte man nichts, mochte es aus dem einen Ende der Welt kommen oder aus dem andern. Dunkel war es hinten und dunkel war es vorn, und das Schneetreiben fuhr wagerecht von beiden Seiten an den Wänden des Hauses entlang. Der Schnee, der nicht vom Himmel herab kam. kam aus den hohen Schneeschanzen dahergewirbelt. Daß sich die Schiffe vorwärtsstampften, daß die Postsäcke an Land kamen und bis zu dem Postmeister in der Stadt gelangten, daß die Briefe und Zeitungen wie gewöhnlich und in trocknem Zustande ringsherum in den Häusern abgeliefert wurden, dabei dachte sich niemand etwas, niemand dachte darüber nach, welch ein Wunder das im Grunde war! Niemand, außer vielleicht Svend Bugge, der zweimal in der Woche gerade während der Postzeit zwischen zwölf und eins norwegisch in der Prima gab, und der dann gewöhnlich am Fenster stand und beobachtete, wie die vier Postboten in dem grauen, finstern Mittag den Postschlitten vom Quai über den Hügel schleppten. Aber er war ja auch neu hier am Ort und sah alles mit erstaunten Augen. Sie löschten in der Regel die Lampen nach Süden zu in den Klassen aus, in dieser Stunde. Weniger des Tageslichts wegen, denn das war kümmerlich genug, als vielmehr aus Anstandsgefühl, des lieben Gottes und der vernünftigen Naturordnung halber! Um zwei Uhr, wenn sich groß und klein nach beendeter Schulzeit durch das Wetter hindurch nach Hause arbeitete, standen die Straßenlaternen angezündet da und leuchteten trübe durch die schneebedeckten Glaskuppeln. Aus der Mädchen¬ schule kamen sie in dem Unwetter in ganzen Schlittenladungen gefahren. Und dann war man zu Hause, und es war für den Nest der vierundzwanzig Stunden Nacht, den ganzen nächsten Morgen und bis tief in den nächsten Tag hinein. Und währenddes heulte der Sturm, und das Schneetreiben peitschte gegen die Fenster. „

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/358>, abgerufen am 22.07.2024.