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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die Ziele und Aussichten der Gartenstadtbewegung

Fabriken gebaut worden. Vor allem sind es große Buchdruckereien und Buch¬
bindereien, ferner feinmechanische und kunstgewerbliche Betriebe, die aus London
und andern großen Städten nach Letchworth übersiedeln. Der Boden wird
ausschließlich in Erbpacht "Mös Kolcl) abgegeben. Viele Einwohner lassen sich
von ihren Architekten Familienhäuser bauen. Andre Gebäude werden von
Bauunternehmern für den Verkauf gebaut. Sehr rege ist auch die gemein¬
nützige Bautätigkeit. Eine einzige Baugenossenschaft, die Oaräen Lüd? I^ranks,
hat ein Viertel sämtlicher Neubauten errichtet.

Zahlreiche Vereine haben sich gebildet, die sich alle möglichen Ziele setzen,
die der Pflege von Geist und Körper dienen, und so herrscht ein sehr an¬
geregtes und geistiges Leben. Deshalb ist schon im zweiten Baujahr ein
öffentliches Versammlungshaus mit Bibliothek und Lesehalle aufgeführt worden,
und da der Saal von 250 Plätzen für die Menge der Besucher schon zu klein
geworden ist, beabsichtigt man neuerdings den Bau einer Halle von 800 bis
1000 Plätzen.

Interessant ist die Stellungnahme der Einwohner zum Alkoholproblem.
Da die (Zlaräen (At^ l^im. Besitzerin des ganzen Bodens ist, hat sie es ja in
der Hand, die Abgabe von Bauland zu Wirtshauszwecken zu versagen. Von
dieser Möglichkeit ist in der Weise Gebrauch gemacht worden, daß man den
Ausschcmk alkoholhaltiger Getränke nur in zwei der Gesellschaft gehörenden und
von ihr kontrollierten Gasthäusern zugelassen hat. Schon jetzt gilt das erste
englische Unternehmen als gesichert. Seit dem Frühjahr ist eine zweite Aktiengesell¬
schaft mit dem Bau einer Gartenvorstadt Hampstead bei London beschäftigt, und
zwei weitere Gründungen sind bei Manchester und Liverpool in Vorbereitung.

In Deutschland hat schon zwei Jahre vor dem englischen Buche Theodor
Fritsch*) ähnliche Vorschläge gemacht, doch kam die deutsche Bewegung erst
unter dem Einfluß der englischen Erfolge in Fluß. Vor nunmehr fünf Jahren
ist in Berlin die Deutsche Gartenstadtgesellschaft^) gegründet worden, die durch
Wort und Schrift den Gartenstadtgedanken in weite Kreise getragen hat. Es
zeigt sich, daß auch in Deutschland die Zeit für diese Bewegung gekommen
ist. Ernste Zeitschriften und Zeitungen bringen ausführliche Berichte. In dem
erweiterten Vorstand ist eine ganze Reihe unsrer bekanntesten Volkswirte,
Sozialpolitiker, Künstler, Hygieniker und Vertreter von Industrie und Land¬
wirtschaft eingetreten. Welches Interesse gerade die Hygieniker neuerdings der
Gartenstadtbewegung entgegenbringen, sieht man daraus, daß die vier nam¬
haftesten Veranstaltungen des Jahres (der Internationale Kongreß für soziale
Hygiene und Demographie, Berlin, und die Jahrestaguugeu des niederrheinischen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, des Deutschen Vereins für öffentliche




*) Theodor Fritsch, Die Stadt der Zukunft.
**) Ein Mitgliedsbeitrag von fünf Mark auswärts berechtigt zum Bezug des Vereinsorgans
und der sonstigen Druckschriften. Weitere Auskunft erteilt der Generalsekretär Hans Kampff-
mey er, Karlsruhe, Ettlinger Straße S.
Die Ziele und Aussichten der Gartenstadtbewegung

Fabriken gebaut worden. Vor allem sind es große Buchdruckereien und Buch¬
bindereien, ferner feinmechanische und kunstgewerbliche Betriebe, die aus London
und andern großen Städten nach Letchworth übersiedeln. Der Boden wird
ausschließlich in Erbpacht «Mös Kolcl) abgegeben. Viele Einwohner lassen sich
von ihren Architekten Familienhäuser bauen. Andre Gebäude werden von
Bauunternehmern für den Verkauf gebaut. Sehr rege ist auch die gemein¬
nützige Bautätigkeit. Eine einzige Baugenossenschaft, die Oaräen Lüd? I^ranks,
hat ein Viertel sämtlicher Neubauten errichtet.

Zahlreiche Vereine haben sich gebildet, die sich alle möglichen Ziele setzen,
die der Pflege von Geist und Körper dienen, und so herrscht ein sehr an¬
geregtes und geistiges Leben. Deshalb ist schon im zweiten Baujahr ein
öffentliches Versammlungshaus mit Bibliothek und Lesehalle aufgeführt worden,
und da der Saal von 250 Plätzen für die Menge der Besucher schon zu klein
geworden ist, beabsichtigt man neuerdings den Bau einer Halle von 800 bis
1000 Plätzen.

Interessant ist die Stellungnahme der Einwohner zum Alkoholproblem.
Da die (Zlaräen (At^ l^im. Besitzerin des ganzen Bodens ist, hat sie es ja in
der Hand, die Abgabe von Bauland zu Wirtshauszwecken zu versagen. Von
dieser Möglichkeit ist in der Weise Gebrauch gemacht worden, daß man den
Ausschcmk alkoholhaltiger Getränke nur in zwei der Gesellschaft gehörenden und
von ihr kontrollierten Gasthäusern zugelassen hat. Schon jetzt gilt das erste
englische Unternehmen als gesichert. Seit dem Frühjahr ist eine zweite Aktiengesell¬
schaft mit dem Bau einer Gartenvorstadt Hampstead bei London beschäftigt, und
zwei weitere Gründungen sind bei Manchester und Liverpool in Vorbereitung.

In Deutschland hat schon zwei Jahre vor dem englischen Buche Theodor
Fritsch*) ähnliche Vorschläge gemacht, doch kam die deutsche Bewegung erst
unter dem Einfluß der englischen Erfolge in Fluß. Vor nunmehr fünf Jahren
ist in Berlin die Deutsche Gartenstadtgesellschaft^) gegründet worden, die durch
Wort und Schrift den Gartenstadtgedanken in weite Kreise getragen hat. Es
zeigt sich, daß auch in Deutschland die Zeit für diese Bewegung gekommen
ist. Ernste Zeitschriften und Zeitungen bringen ausführliche Berichte. In dem
erweiterten Vorstand ist eine ganze Reihe unsrer bekanntesten Volkswirte,
Sozialpolitiker, Künstler, Hygieniker und Vertreter von Industrie und Land¬
wirtschaft eingetreten. Welches Interesse gerade die Hygieniker neuerdings der
Gartenstadtbewegung entgegenbringen, sieht man daraus, daß die vier nam¬
haftesten Veranstaltungen des Jahres (der Internationale Kongreß für soziale
Hygiene und Demographie, Berlin, und die Jahrestaguugeu des niederrheinischen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, des Deutschen Vereins für öffentliche




*) Theodor Fritsch, Die Stadt der Zukunft.
**) Ein Mitgliedsbeitrag von fünf Mark auswärts berechtigt zum Bezug des Vereinsorgans
und der sonstigen Druckschriften. Weitere Auskunft erteilt der Generalsekretär Hans Kampff-
mey er, Karlsruhe, Ettlinger Straße S.
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[0245] Die Ziele und Aussichten der Gartenstadtbewegung Fabriken gebaut worden. Vor allem sind es große Buchdruckereien und Buch¬ bindereien, ferner feinmechanische und kunstgewerbliche Betriebe, die aus London und andern großen Städten nach Letchworth übersiedeln. Der Boden wird ausschließlich in Erbpacht «Mös Kolcl) abgegeben. Viele Einwohner lassen sich von ihren Architekten Familienhäuser bauen. Andre Gebäude werden von Bauunternehmern für den Verkauf gebaut. Sehr rege ist auch die gemein¬ nützige Bautätigkeit. Eine einzige Baugenossenschaft, die Oaräen Lüd? I^ranks, hat ein Viertel sämtlicher Neubauten errichtet. Zahlreiche Vereine haben sich gebildet, die sich alle möglichen Ziele setzen, die der Pflege von Geist und Körper dienen, und so herrscht ein sehr an¬ geregtes und geistiges Leben. Deshalb ist schon im zweiten Baujahr ein öffentliches Versammlungshaus mit Bibliothek und Lesehalle aufgeführt worden, und da der Saal von 250 Plätzen für die Menge der Besucher schon zu klein geworden ist, beabsichtigt man neuerdings den Bau einer Halle von 800 bis 1000 Plätzen. Interessant ist die Stellungnahme der Einwohner zum Alkoholproblem. Da die (Zlaräen (At^ l^im. Besitzerin des ganzen Bodens ist, hat sie es ja in der Hand, die Abgabe von Bauland zu Wirtshauszwecken zu versagen. Von dieser Möglichkeit ist in der Weise Gebrauch gemacht worden, daß man den Ausschcmk alkoholhaltiger Getränke nur in zwei der Gesellschaft gehörenden und von ihr kontrollierten Gasthäusern zugelassen hat. Schon jetzt gilt das erste englische Unternehmen als gesichert. Seit dem Frühjahr ist eine zweite Aktiengesell¬ schaft mit dem Bau einer Gartenvorstadt Hampstead bei London beschäftigt, und zwei weitere Gründungen sind bei Manchester und Liverpool in Vorbereitung. In Deutschland hat schon zwei Jahre vor dem englischen Buche Theodor Fritsch*) ähnliche Vorschläge gemacht, doch kam die deutsche Bewegung erst unter dem Einfluß der englischen Erfolge in Fluß. Vor nunmehr fünf Jahren ist in Berlin die Deutsche Gartenstadtgesellschaft^) gegründet worden, die durch Wort und Schrift den Gartenstadtgedanken in weite Kreise getragen hat. Es zeigt sich, daß auch in Deutschland die Zeit für diese Bewegung gekommen ist. Ernste Zeitschriften und Zeitungen bringen ausführliche Berichte. In dem erweiterten Vorstand ist eine ganze Reihe unsrer bekanntesten Volkswirte, Sozialpolitiker, Künstler, Hygieniker und Vertreter von Industrie und Land¬ wirtschaft eingetreten. Welches Interesse gerade die Hygieniker neuerdings der Gartenstadtbewegung entgegenbringen, sieht man daraus, daß die vier nam¬ haftesten Veranstaltungen des Jahres (der Internationale Kongreß für soziale Hygiene und Demographie, Berlin, und die Jahrestaguugeu des niederrheinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, des Deutschen Vereins für öffentliche *) Theodor Fritsch, Die Stadt der Zukunft. **) Ein Mitgliedsbeitrag von fünf Mark auswärts berechtigt zum Bezug des Vereinsorgans und der sonstigen Druckschriften. Weitere Auskunft erteilt der Generalsekretär Hans Kampff- mey er, Karlsruhe, Ettlinger Straße S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/245>, abgerufen am 22.07.2024.