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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Julius Ivolfs exakte Nationalökonomie

entscheiden. Mir erscheint in der Tat vieles originell, andres wenn auch nicht
originell so doch beachtenswert, und ohne mich an Wolfs Verzeichnis zu halten,
will ich einiges davon anführen.

Mit Recht wird hervorgehoben, daß nicht bloß mangelhafte, sondern auch
überschüssige Begabung den Erfolg der Arbeit in Frage stellt. Ein Feldherrn¬
genie wird kaum einen guten Unteroffizier, ein Dichtergenie kaum einen tüchtigen
Schustergesellen abgeben. Was von der Begabung, das gilt auch vom Wissen.
Ein Verbrecher wurde ini Zuchthause in der Erdkunde unterrichtet. Er meinte,
das sei ja alles sehr interessant, aber er werde sich bemühen, es schleunigst
wieder zu vergessen. Warum? "Ja, wenn ich solche Sachen im Kopfe habe,
wie soll ich da meine Gedanken bei einem Einbruch gehörig beisammen be¬
halten? Für mein Metier range sowas nicht." Kenntnisse setzen das Denken
in Bewegung, und ein Kellner, ein Weichensteller, der mit dem Nachdenken
über physikalische, politische oder religiöse Probleme beschäftigt wäre, würde
kaum mit der nötigen Aufmerksamkeit seinen Dienst verrichten. Kartelle und
Trusts werden scharf unterschieden: jene seien Vereinigungen gleichartiger
Unternehmungen, die einander sonst Konkurrenz machen würden, diese Ver¬
bindungen verschiedenartiger aber, als der verschiednen Stadien von der ersten
Nvhstofsverarbcitung bis zur Fertigmachung des Produkts, zusammengehörender
Betriebe. Unter den Faktoren der Preisbildung werden auch die Tradition,
an der besonders der Käufer festzuhalten pflege, und "die Psychologie der
Zahl" nicht vergessen. Man liebt die runden und die geraden Zahlen, und
zwar rundet der Käufer gern nach unten, der Verkäufer lieber nach oben ab.
Thurms Zonengesctz (daß die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse von
den Transportkosten abhängt, darum Früchte, die hohe Transportkosten ver¬
ursachen, in weiter Entfernung vom Markte nicht angebaut werden können)
wird in mehrern Beziehungen berichtigt. Insbesondre wird hervorgehoben,
daß der Einfluß der Erniedrigung der Transportkosten ans die Erhöhung der
Grundrente bei der städtischen Bodenrenke reiner und ungestörter in die Er¬
scheinung trete als bei der landwirtschaftlichen. In Beziehung auf jene wird
(in Übereinstimmung mit meiner Ansicht) behauptet, daß nicht die hohe Grund¬
rente die Miete und diese den Warenpreis erhöhe, sondern daß umgekehrt die
Aussicht, größern Gewinn aus den Waren zu, erreichen, die Ursache sei, daß
die konkurrierenden Lcidenmieter einander steigern (mit der Wohnungsmiete
verhält es sich ähnlich), und daß die hohe Ladenmiete natürlich eine hohe
Rente bedeute. Trotzdem bleibe die Tatsache bestehn, daß der Mieter dem
Rentner fröne, daß seine geschäftlichen Erfolge mehr diesem als ihm selbst
zugute kommen. Als erste Funktion des Geldes wird angeführt, daß es die
Ware sei, auf die "als gemeinsamen Nenner alle Waren im Hinblick auf den
Tausch bezogen werden (aber nicht: an der sie gemessen werden. Geld ist
nicht, wie oft gesagt wird, Wertmesser, kann es nicht sein)". Wenn man das
Wort "Wert" in seinem strengen Sinne nimmt und darunter versteht, was


Grenzboten IV 1908 31
Julius Ivolfs exakte Nationalökonomie

entscheiden. Mir erscheint in der Tat vieles originell, andres wenn auch nicht
originell so doch beachtenswert, und ohne mich an Wolfs Verzeichnis zu halten,
will ich einiges davon anführen.

Mit Recht wird hervorgehoben, daß nicht bloß mangelhafte, sondern auch
überschüssige Begabung den Erfolg der Arbeit in Frage stellt. Ein Feldherrn¬
genie wird kaum einen guten Unteroffizier, ein Dichtergenie kaum einen tüchtigen
Schustergesellen abgeben. Was von der Begabung, das gilt auch vom Wissen.
Ein Verbrecher wurde ini Zuchthause in der Erdkunde unterrichtet. Er meinte,
das sei ja alles sehr interessant, aber er werde sich bemühen, es schleunigst
wieder zu vergessen. Warum? „Ja, wenn ich solche Sachen im Kopfe habe,
wie soll ich da meine Gedanken bei einem Einbruch gehörig beisammen be¬
halten? Für mein Metier range sowas nicht." Kenntnisse setzen das Denken
in Bewegung, und ein Kellner, ein Weichensteller, der mit dem Nachdenken
über physikalische, politische oder religiöse Probleme beschäftigt wäre, würde
kaum mit der nötigen Aufmerksamkeit seinen Dienst verrichten. Kartelle und
Trusts werden scharf unterschieden: jene seien Vereinigungen gleichartiger
Unternehmungen, die einander sonst Konkurrenz machen würden, diese Ver¬
bindungen verschiedenartiger aber, als der verschiednen Stadien von der ersten
Nvhstofsverarbcitung bis zur Fertigmachung des Produkts, zusammengehörender
Betriebe. Unter den Faktoren der Preisbildung werden auch die Tradition,
an der besonders der Käufer festzuhalten pflege, und „die Psychologie der
Zahl" nicht vergessen. Man liebt die runden und die geraden Zahlen, und
zwar rundet der Käufer gern nach unten, der Verkäufer lieber nach oben ab.
Thurms Zonengesctz (daß die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse von
den Transportkosten abhängt, darum Früchte, die hohe Transportkosten ver¬
ursachen, in weiter Entfernung vom Markte nicht angebaut werden können)
wird in mehrern Beziehungen berichtigt. Insbesondre wird hervorgehoben,
daß der Einfluß der Erniedrigung der Transportkosten ans die Erhöhung der
Grundrente bei der städtischen Bodenrenke reiner und ungestörter in die Er¬
scheinung trete als bei der landwirtschaftlichen. In Beziehung auf jene wird
(in Übereinstimmung mit meiner Ansicht) behauptet, daß nicht die hohe Grund¬
rente die Miete und diese den Warenpreis erhöhe, sondern daß umgekehrt die
Aussicht, größern Gewinn aus den Waren zu, erreichen, die Ursache sei, daß
die konkurrierenden Lcidenmieter einander steigern (mit der Wohnungsmiete
verhält es sich ähnlich), und daß die hohe Ladenmiete natürlich eine hohe
Rente bedeute. Trotzdem bleibe die Tatsache bestehn, daß der Mieter dem
Rentner fröne, daß seine geschäftlichen Erfolge mehr diesem als ihm selbst
zugute kommen. Als erste Funktion des Geldes wird angeführt, daß es die
Ware sei, auf die „als gemeinsamen Nenner alle Waren im Hinblick auf den
Tausch bezogen werden (aber nicht: an der sie gemessen werden. Geld ist
nicht, wie oft gesagt wird, Wertmesser, kann es nicht sein)". Wenn man das
Wort „Wert" in seinem strengen Sinne nimmt und darunter versteht, was


Grenzboten IV 1908 31
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/233>, abgerufen am 22.07.2024.