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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die englische Erbschaftssteuer

beträgt die Steuer für die ersten 20 Millionen Mark 10 Prozent, für die weitern
10 Millionen wird sie um je ein Prozent erhöht -- jedoch im ganzen nicht
über 5 Prozent), sodaß ein Nachlaß von 80 Millionen Mark die kstate aut>7
in der Höhe von 11 Millionen Mark bezahlt, und zwar ohne Rücksicht darauf,
ob er nahen oder entfernten Verwandten zufällt. Übrigens haben die Erbschaften
von weniger als 20000 Mark fast gar keine Rolle in den englischen Finanzen
gespielt, die Erbschaften von 20000 bis 200000 Mark haben nur eine bescheidne
Bedeutung, sie geben 14,1 Prozent der estats aut^, und fast der ganze Ertrag
fällt auf die Erbschaften von mehr als 200000 Mark.

Die estado aut^ belastet, wie angedeutet worden ist, das Vermögen des
Verstorbnen, und zu welchen Fiktionen wir auch Zuflucht nehmen, um der
Erbschaftsmasse das Gepräge einer juristischen Person oder den Begriff der
d.kreäitg.8 Mvens zu geben oder das Prinzip 1s mort saiÄt 1s vit anzunehmen,
die Wirkung der Steuer bleibt dieselbe: das Vermögen des Verstorbnen ver¬
mindert sich um die Steuersumme. Der Erbe kann aus legalem Wege die
Erbschaft nicht anders erhalten als durch Vermittlung des Testamentsvollstreckers,
der aus der Erbschaftsmasse die zur Bezahlung der Steuer notwendige Summe
zu einem bestimmten Termine vorwegnehmen muß.

Über die technischen Vorzüge dieser Steuer spricht sich Paul Haensel,
Privatdozent an der Universität Moskau, in seinem in russischer Sprache von
der Uuiversitätsdruckerei in Moskau herausgegebnen Werke: Die Erbschafts¬
steuer in England, eine Untersuchung zur Geschichte der englischen Finanzen,
aus dem jüngst im Finanzarchiv eine ausführliche Wiedergabe in deutscher
Sprache erschienen ist, wie folgt aus: Die Vermögenssteuer in der Form der
Erbschaftssteuer hat unersetzliche technische Vorteile vor einer reinen Vermögens¬
steuer oder einer allgemeinen Einkommensteuer. Es ist völlig klar, daß das
jährliche Einkommen einer Person viel schwerer zu berechnen ist als der Wert
einer Erbschaft. Wenn man es bei der Vermögenssteuer mit einer großen Anzahl
von Vermögen zu tun hat, die zumal oft im Werte schwanken, zum Beispiel
Wertpapiere im Laufe eines Jahres, so besteuert der Fiskus bei der Erbschafts¬
steuer jährlich eine mindestens dreißigmal kleinere Zahl von Vermögen, deren
einzelne Teile man zudem mit Genauigkeit für einen bestimmten Zeitpunkt
feststellen kann. Wichtig ist auch, daß die Erbschaftssteuer verhältnismäßig kleine
Vermögen aufsaugen kann, während bei der Einkommen- und besonders Ver¬
mögenssteuer ein verhältnismäßig hohes Existenzminimum schon infolge der
Unmöglichkeit, die große Masse der Zensiten einzuschätzen, nötig ist. Daher ist
in England das Existenzminimum, während es bei der Einkommensteuer
3200 Mark beträgt, bei der Erbschaftssteuer 20000 Mark, das heißt im letzten
Falle ist es verhältnismäßig vierzigmal kleiner, bei der Vermögenssteuer aber
muß es bedeutend erhöht werden.

Selbstverständlich -- auch Haensel erkennt dies an -- kann der Staat
sein Finanzsystem nicht auf der Erbschaftssteuer allein als einziger direkter


Die englische Erbschaftssteuer

beträgt die Steuer für die ersten 20 Millionen Mark 10 Prozent, für die weitern
10 Millionen wird sie um je ein Prozent erhöht — jedoch im ganzen nicht
über 5 Prozent), sodaß ein Nachlaß von 80 Millionen Mark die kstate aut>7
in der Höhe von 11 Millionen Mark bezahlt, und zwar ohne Rücksicht darauf,
ob er nahen oder entfernten Verwandten zufällt. Übrigens haben die Erbschaften
von weniger als 20000 Mark fast gar keine Rolle in den englischen Finanzen
gespielt, die Erbschaften von 20000 bis 200000 Mark haben nur eine bescheidne
Bedeutung, sie geben 14,1 Prozent der estats aut^, und fast der ganze Ertrag
fällt auf die Erbschaften von mehr als 200000 Mark.

Die estado aut^ belastet, wie angedeutet worden ist, das Vermögen des
Verstorbnen, und zu welchen Fiktionen wir auch Zuflucht nehmen, um der
Erbschaftsmasse das Gepräge einer juristischen Person oder den Begriff der
d.kreäitg.8 Mvens zu geben oder das Prinzip 1s mort saiÄt 1s vit anzunehmen,
die Wirkung der Steuer bleibt dieselbe: das Vermögen des Verstorbnen ver¬
mindert sich um die Steuersumme. Der Erbe kann aus legalem Wege die
Erbschaft nicht anders erhalten als durch Vermittlung des Testamentsvollstreckers,
der aus der Erbschaftsmasse die zur Bezahlung der Steuer notwendige Summe
zu einem bestimmten Termine vorwegnehmen muß.

Über die technischen Vorzüge dieser Steuer spricht sich Paul Haensel,
Privatdozent an der Universität Moskau, in seinem in russischer Sprache von
der Uuiversitätsdruckerei in Moskau herausgegebnen Werke: Die Erbschafts¬
steuer in England, eine Untersuchung zur Geschichte der englischen Finanzen,
aus dem jüngst im Finanzarchiv eine ausführliche Wiedergabe in deutscher
Sprache erschienen ist, wie folgt aus: Die Vermögenssteuer in der Form der
Erbschaftssteuer hat unersetzliche technische Vorteile vor einer reinen Vermögens¬
steuer oder einer allgemeinen Einkommensteuer. Es ist völlig klar, daß das
jährliche Einkommen einer Person viel schwerer zu berechnen ist als der Wert
einer Erbschaft. Wenn man es bei der Vermögenssteuer mit einer großen Anzahl
von Vermögen zu tun hat, die zumal oft im Werte schwanken, zum Beispiel
Wertpapiere im Laufe eines Jahres, so besteuert der Fiskus bei der Erbschafts¬
steuer jährlich eine mindestens dreißigmal kleinere Zahl von Vermögen, deren
einzelne Teile man zudem mit Genauigkeit für einen bestimmten Zeitpunkt
feststellen kann. Wichtig ist auch, daß die Erbschaftssteuer verhältnismäßig kleine
Vermögen aufsaugen kann, während bei der Einkommen- und besonders Ver¬
mögenssteuer ein verhältnismäßig hohes Existenzminimum schon infolge der
Unmöglichkeit, die große Masse der Zensiten einzuschätzen, nötig ist. Daher ist
in England das Existenzminimum, während es bei der Einkommensteuer
3200 Mark beträgt, bei der Erbschaftssteuer 20000 Mark, das heißt im letzten
Falle ist es verhältnismäßig vierzigmal kleiner, bei der Vermögenssteuer aber
muß es bedeutend erhöht werden.

Selbstverständlich — auch Haensel erkennt dies an — kann der Staat
sein Finanzsystem nicht auf der Erbschaftssteuer allein als einziger direkter


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[0221] Die englische Erbschaftssteuer beträgt die Steuer für die ersten 20 Millionen Mark 10 Prozent, für die weitern 10 Millionen wird sie um je ein Prozent erhöht — jedoch im ganzen nicht über 5 Prozent), sodaß ein Nachlaß von 80 Millionen Mark die kstate aut>7 in der Höhe von 11 Millionen Mark bezahlt, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob er nahen oder entfernten Verwandten zufällt. Übrigens haben die Erbschaften von weniger als 20000 Mark fast gar keine Rolle in den englischen Finanzen gespielt, die Erbschaften von 20000 bis 200000 Mark haben nur eine bescheidne Bedeutung, sie geben 14,1 Prozent der estats aut^, und fast der ganze Ertrag fällt auf die Erbschaften von mehr als 200000 Mark. Die estado aut^ belastet, wie angedeutet worden ist, das Vermögen des Verstorbnen, und zu welchen Fiktionen wir auch Zuflucht nehmen, um der Erbschaftsmasse das Gepräge einer juristischen Person oder den Begriff der d.kreäitg.8 Mvens zu geben oder das Prinzip 1s mort saiÄt 1s vit anzunehmen, die Wirkung der Steuer bleibt dieselbe: das Vermögen des Verstorbnen ver¬ mindert sich um die Steuersumme. Der Erbe kann aus legalem Wege die Erbschaft nicht anders erhalten als durch Vermittlung des Testamentsvollstreckers, der aus der Erbschaftsmasse die zur Bezahlung der Steuer notwendige Summe zu einem bestimmten Termine vorwegnehmen muß. Über die technischen Vorzüge dieser Steuer spricht sich Paul Haensel, Privatdozent an der Universität Moskau, in seinem in russischer Sprache von der Uuiversitätsdruckerei in Moskau herausgegebnen Werke: Die Erbschafts¬ steuer in England, eine Untersuchung zur Geschichte der englischen Finanzen, aus dem jüngst im Finanzarchiv eine ausführliche Wiedergabe in deutscher Sprache erschienen ist, wie folgt aus: Die Vermögenssteuer in der Form der Erbschaftssteuer hat unersetzliche technische Vorteile vor einer reinen Vermögens¬ steuer oder einer allgemeinen Einkommensteuer. Es ist völlig klar, daß das jährliche Einkommen einer Person viel schwerer zu berechnen ist als der Wert einer Erbschaft. Wenn man es bei der Vermögenssteuer mit einer großen Anzahl von Vermögen zu tun hat, die zumal oft im Werte schwanken, zum Beispiel Wertpapiere im Laufe eines Jahres, so besteuert der Fiskus bei der Erbschafts¬ steuer jährlich eine mindestens dreißigmal kleinere Zahl von Vermögen, deren einzelne Teile man zudem mit Genauigkeit für einen bestimmten Zeitpunkt feststellen kann. Wichtig ist auch, daß die Erbschaftssteuer verhältnismäßig kleine Vermögen aufsaugen kann, während bei der Einkommen- und besonders Ver¬ mögenssteuer ein verhältnismäßig hohes Existenzminimum schon infolge der Unmöglichkeit, die große Masse der Zensiten einzuschätzen, nötig ist. Daher ist in England das Existenzminimum, während es bei der Einkommensteuer 3200 Mark beträgt, bei der Erbschaftssteuer 20000 Mark, das heißt im letzten Falle ist es verhältnismäßig vierzigmal kleiner, bei der Vermögenssteuer aber muß es bedeutend erhöht werden. Selbstverständlich — auch Haensel erkennt dies an — kann der Staat sein Finanzsystem nicht auf der Erbschaftssteuer allein als einziger direkter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/221>, abgerufen am 22.07.2024.