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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die englische Erbschaftssteuer

Eigentümer durchdrungen. Der verehrte Sir hat eine Hetzjagd gegen die
Grundbesitzer unternommen." Noch wilder tobte die Sprache in der Presse
und Literatur. "Ein versteckt sozialistisches Budget" wird die Finanzbill von
einer einflußreichen konservativen Zeitschrift genannt; "der Ackerbau ist auf
den Tod besteuert", heißt es in einem andern Artikel; "Die Plünderung mit
Hilfe der Erbschaftssteuern" ist eine dritte Arbeit betitelt.

Nach so stürmischen Angriffen hätte man als das logisch Natürliche
erwarten dürfen, daß das erste, was bei dem wenige Jahre später erfolgenden
gründlichen Wechsel der Parlamentsherrschaft geschah, die Abänderung oder die
Beseitigung der Harcourtschen Reformbill gewesen wäre. Nichts von alledem
trat ein. Der neue konservative Schatzkanzler Hicks Beach erklärte sofort, daß
sich die Erbschaftssteuer in ihrer jetzigen Ausdehnung und Progression bewährt
habe, und daß an eine Änderung nicht mehr gedacht werden könne. In der
Tat hatte sich auch die konservative Partei innerlich und äußerlich in wenigen
Jahren mit dem Gesetz ausgesöhnt und wünschte keine Veränderung. Auch das
RoM Lomliuttöö 0Q ^.Arieulwrö stellte der Steuer in ihrer neuen Gestalt
ausdrücklich das Zeugnis ans, daß sie die allergerechteste und gleichmäßigste
Steuerquelle sei, die den Grund und Boden keinesfalls mehr als andre Ver¬
mögensarten bedrücke. Trotz der leidenschaftlichen Angriffe gegen die Anwendung
der progressiven Besteuerung von seiten der durch die Reform Harcourts betroffnen
Klassen erwartete die progressive Steuermethode nur einen weitern Sieg, der,
begünstigt durch die ungeheure Ungleichheit in der Verteilung des Volks-
vermögens, im Jahre 1907 erfolgt ist.

Der theoretische Gedanke, der der englischen Erbschaftssteuer zugrunde
liegt, ist die sogenannte lumx "um tköor^, nach der die Erbschaftssteuer als
eine summierte Einkommensteuer betrachtet wird, die nur einmal im Leben,
und nicht jedes Jahr wiederkehrend, gezahlt wird. Am deutlichsten drückt den
Charakter der englischen Erbschaftssteuer als einer summierten Einkommensteuer
die Eigentümlichkeit aus, daß die obenerwähnte Steuer von Korporationen, die
eine einfache fünfprozentige Einkommensteuer darstellt, für diese "nie sterbenden"
Korporationen die Erbschaftssteuer vertritt und von der offiziellen Statistik
unter die Rubrik der Erbschaftssteuern gebracht wird. Nach einer hundertjährigen
Erfahrung kam England zum Schluß, daß das einzig regelrechte Kriterium bei
der Erbschaftsbesteuerung nur die Erbschaftssumme sein könne und nicht der
Verwandtschaftsgrad zwischen Erblasser und Erben. Die Erbschaftssteuer soll
hiernach das gesamte Erbe vor der Teilung unter den Miterben mit progressiven
Sätzen belasten. Die in England in beschränktem Umfange erhaltene Abstufung
der Steuerfüße nach dem Verwandtschaftsgrade ist nur ein Überbleibsel. Die
Gesetzgebung nimmt immer mehr die Kapitalsumme, die durch die Erbschaft
übertragen wird, zum Maßstab der Erbschaftsbesteuerung. Bei einem Nachlaß
von 200000 Mark beträgt die Steuer 4 Prozent, bei 2000000 Mark beträgt
die Steuer 6 Prozent, und sie steigt allmählich bis zu 15 Prozent (seit 1907


Die englische Erbschaftssteuer

Eigentümer durchdrungen. Der verehrte Sir hat eine Hetzjagd gegen die
Grundbesitzer unternommen." Noch wilder tobte die Sprache in der Presse
und Literatur. „Ein versteckt sozialistisches Budget" wird die Finanzbill von
einer einflußreichen konservativen Zeitschrift genannt; „der Ackerbau ist auf
den Tod besteuert", heißt es in einem andern Artikel; „Die Plünderung mit
Hilfe der Erbschaftssteuern" ist eine dritte Arbeit betitelt.

Nach so stürmischen Angriffen hätte man als das logisch Natürliche
erwarten dürfen, daß das erste, was bei dem wenige Jahre später erfolgenden
gründlichen Wechsel der Parlamentsherrschaft geschah, die Abänderung oder die
Beseitigung der Harcourtschen Reformbill gewesen wäre. Nichts von alledem
trat ein. Der neue konservative Schatzkanzler Hicks Beach erklärte sofort, daß
sich die Erbschaftssteuer in ihrer jetzigen Ausdehnung und Progression bewährt
habe, und daß an eine Änderung nicht mehr gedacht werden könne. In der
Tat hatte sich auch die konservative Partei innerlich und äußerlich in wenigen
Jahren mit dem Gesetz ausgesöhnt und wünschte keine Veränderung. Auch das
RoM Lomliuttöö 0Q ^.Arieulwrö stellte der Steuer in ihrer neuen Gestalt
ausdrücklich das Zeugnis ans, daß sie die allergerechteste und gleichmäßigste
Steuerquelle sei, die den Grund und Boden keinesfalls mehr als andre Ver¬
mögensarten bedrücke. Trotz der leidenschaftlichen Angriffe gegen die Anwendung
der progressiven Besteuerung von seiten der durch die Reform Harcourts betroffnen
Klassen erwartete die progressive Steuermethode nur einen weitern Sieg, der,
begünstigt durch die ungeheure Ungleichheit in der Verteilung des Volks-
vermögens, im Jahre 1907 erfolgt ist.

Der theoretische Gedanke, der der englischen Erbschaftssteuer zugrunde
liegt, ist die sogenannte lumx «um tköor^, nach der die Erbschaftssteuer als
eine summierte Einkommensteuer betrachtet wird, die nur einmal im Leben,
und nicht jedes Jahr wiederkehrend, gezahlt wird. Am deutlichsten drückt den
Charakter der englischen Erbschaftssteuer als einer summierten Einkommensteuer
die Eigentümlichkeit aus, daß die obenerwähnte Steuer von Korporationen, die
eine einfache fünfprozentige Einkommensteuer darstellt, für diese „nie sterbenden"
Korporationen die Erbschaftssteuer vertritt und von der offiziellen Statistik
unter die Rubrik der Erbschaftssteuern gebracht wird. Nach einer hundertjährigen
Erfahrung kam England zum Schluß, daß das einzig regelrechte Kriterium bei
der Erbschaftsbesteuerung nur die Erbschaftssumme sein könne und nicht der
Verwandtschaftsgrad zwischen Erblasser und Erben. Die Erbschaftssteuer soll
hiernach das gesamte Erbe vor der Teilung unter den Miterben mit progressiven
Sätzen belasten. Die in England in beschränktem Umfange erhaltene Abstufung
der Steuerfüße nach dem Verwandtschaftsgrade ist nur ein Überbleibsel. Die
Gesetzgebung nimmt immer mehr die Kapitalsumme, die durch die Erbschaft
übertragen wird, zum Maßstab der Erbschaftsbesteuerung. Bei einem Nachlaß
von 200000 Mark beträgt die Steuer 4 Prozent, bei 2000000 Mark beträgt
die Steuer 6 Prozent, und sie steigt allmählich bis zu 15 Prozent (seit 1907


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[0220] Die englische Erbschaftssteuer Eigentümer durchdrungen. Der verehrte Sir hat eine Hetzjagd gegen die Grundbesitzer unternommen." Noch wilder tobte die Sprache in der Presse und Literatur. „Ein versteckt sozialistisches Budget" wird die Finanzbill von einer einflußreichen konservativen Zeitschrift genannt; „der Ackerbau ist auf den Tod besteuert", heißt es in einem andern Artikel; „Die Plünderung mit Hilfe der Erbschaftssteuern" ist eine dritte Arbeit betitelt. Nach so stürmischen Angriffen hätte man als das logisch Natürliche erwarten dürfen, daß das erste, was bei dem wenige Jahre später erfolgenden gründlichen Wechsel der Parlamentsherrschaft geschah, die Abänderung oder die Beseitigung der Harcourtschen Reformbill gewesen wäre. Nichts von alledem trat ein. Der neue konservative Schatzkanzler Hicks Beach erklärte sofort, daß sich die Erbschaftssteuer in ihrer jetzigen Ausdehnung und Progression bewährt habe, und daß an eine Änderung nicht mehr gedacht werden könne. In der Tat hatte sich auch die konservative Partei innerlich und äußerlich in wenigen Jahren mit dem Gesetz ausgesöhnt und wünschte keine Veränderung. Auch das RoM Lomliuttöö 0Q ^.Arieulwrö stellte der Steuer in ihrer neuen Gestalt ausdrücklich das Zeugnis ans, daß sie die allergerechteste und gleichmäßigste Steuerquelle sei, die den Grund und Boden keinesfalls mehr als andre Ver¬ mögensarten bedrücke. Trotz der leidenschaftlichen Angriffe gegen die Anwendung der progressiven Besteuerung von seiten der durch die Reform Harcourts betroffnen Klassen erwartete die progressive Steuermethode nur einen weitern Sieg, der, begünstigt durch die ungeheure Ungleichheit in der Verteilung des Volks- vermögens, im Jahre 1907 erfolgt ist. Der theoretische Gedanke, der der englischen Erbschaftssteuer zugrunde liegt, ist die sogenannte lumx «um tköor^, nach der die Erbschaftssteuer als eine summierte Einkommensteuer betrachtet wird, die nur einmal im Leben, und nicht jedes Jahr wiederkehrend, gezahlt wird. Am deutlichsten drückt den Charakter der englischen Erbschaftssteuer als einer summierten Einkommensteuer die Eigentümlichkeit aus, daß die obenerwähnte Steuer von Korporationen, die eine einfache fünfprozentige Einkommensteuer darstellt, für diese „nie sterbenden" Korporationen die Erbschaftssteuer vertritt und von der offiziellen Statistik unter die Rubrik der Erbschaftssteuern gebracht wird. Nach einer hundertjährigen Erfahrung kam England zum Schluß, daß das einzig regelrechte Kriterium bei der Erbschaftsbesteuerung nur die Erbschaftssumme sein könne und nicht der Verwandtschaftsgrad zwischen Erblasser und Erben. Die Erbschaftssteuer soll hiernach das gesamte Erbe vor der Teilung unter den Miterben mit progressiven Sätzen belasten. Die in England in beschränktem Umfange erhaltene Abstufung der Steuerfüße nach dem Verwandtschaftsgrade ist nur ein Überbleibsel. Die Gesetzgebung nimmt immer mehr die Kapitalsumme, die durch die Erbschaft übertragen wird, zum Maßstab der Erbschaftsbesteuerung. Bei einem Nachlaß von 200000 Mark beträgt die Steuer 4 Prozent, bei 2000000 Mark beträgt die Steuer 6 Prozent, und sie steigt allmählich bis zu 15 Prozent (seit 1907

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/220>, abgerufen am 22.07.2024.